Beitragvon Jerkovic » 05.06.06 @ 21:19
Fax von Vonlanthen: «Ich bin fit!»
Drei Tage vor dem Transfer der Schweizer WM-Equipe nach Bad Bertrich hat sich Johan Vonlanthen zurückgemeldet. Der wegen einer Verletzung in der Oberschenkelmuskulatur aus dem Kader ausgeschiedene Stürmer behauptet, er sei fit und ab sofort wieder einsatzfähig. Und er fühlt sich ungerecht behandelt.
Am Samstag, nach dem 4:1-Erfolg im letzten Test gegen China, hatte der Schweizer Fussball-Verband (SFV) bei der FIFA den Antrag eingereicht, Vonlanthen auf der verbindlichen 23er-WM-Liste durch den nachselektionierten YB-Regisseur Hakan Yakin zu ersetzen. Der Weltverband bestätigte auf Anfrage den Eingang der SFV-Papiere und wird den Sachverhalt durch die medizinische Kommission unter der Leitung von Dr. Jiri Dvorak prüfen lassen. Andere Dokumente liegen der FIFA bislang nicht vor.
Nun hat Johan Vonlanthen seine eigene Sicht der Lage geschildert. Per Fax beschrieb der 20-Jährige seinen Gesundheitszustand erheblich anders als die Verantwortlichen des Verbandes vor kurzem. «Ich fühle mich fit und bin trainingsbereit», liess er im persönlichen Schreiben verlauten. «Der letzte Fitnesstest am Freitag, 2. Juni, mit Sprints und Ball hatte zum Ergebnis, dass ich absolut schmerzfrei bin.» Eine Verletzung liege demnach nicht mehr vor, schloss Vonlanthen; er könne deshalb «ab sofort wieder mit der Mannschaft mittrainieren».
Dr. Heinz Bühlmann, bei dem sich Vonlanthen seit vorletztem Sonntag behandeln liess, bestätigte die Aussagen des 17-fachen Internationalen im Grundsatz. In der letzten Woche hatte der Arzt an drei verschiedenen Tagen Belastungstests angeordnet. Nach einem abschliessenden «Maximaltest» (Bühlmann) kam der Mediziner zum Schluss, «dass er (Vonlanthen) körperlich gesund ist und ihn die Verletzung nicht mehr stört». Im Vollbesitz seiner Kräfte sei Vonlanthen aber nicht, schränkte Bühlmann ein, «weil er ja einen rechten Teil der Vorbereitung verpasst hat».
Mit einem MRI-Test in Aarau will der 20-Jährige seine Aussagen am Dienstag belegen. «Es handelt sich um exakt den gleichen Test, welchen der Verband vor zwei Wochen durchgeführt hat», erklärte Bühlmann. Die Ergebnisse werden danach unverzüglich dem Verband zugestellt. «Welche Schlüsse die Verantwortlichen beim Verband daraus ziehen, ist ihre Sache. Ich betrachte das Problem nur von der medizinischen Seite her.»
Der «Fall Vonlanthen» wirft Fragen und womöglich unnötig hohe (mediale) Wellen auf. Die drei erfahrenen SFV-Ärzte Roland Grossen, Rudolf Roder und Cuno Wetzel taxierten Vonlanthen nach eingehenden Checks und in Absprache mit neutralen Spezialisten sowie drei SFV-Physiotherapeuten unisono als nicht «wm-tauglich». Roder bezeichnete den Teilriss im linken Oberschenkel als eine «normalerweise langwierige Verletzung». Nationalcoach Köbi Kuhn handelte entsprechend rasch und bot Hakan Yakin als Ersatz auf.
Sollte der MRI-Test von heute die Einschätzung des SFV-Staffs grundsätzlich widerlegen, wird sich die FIFA mit dem Fall womöglich intensiver befassen müssen; auch wenn für den Weltverband zur Beurteilung medizinischer Fälle prinzipiell die Angaben der jeweiligen Verbandsärzte massgebend seien, wie FIFA-Sprecher Andreas Herren erklärte.
Ernst Lämmli missfällt der neuste Akt im Theater um Vonlanthen zwar, «allzu hektisch sehe ich das Ganze aber nicht». Der Delegierte der Nationalmannschaft vertraut der Arbeit der medizinischen Abteilung vollumfänglich. «Unsere drei Ärzte sind ja keine Nobodys. Zusammen mit den Physios waren sich alle einig, dass die Verletzung von Johan schwerwiegend ist. Wieso sollten sich gleich sechs Profis irren? Wir warten jetzt einfach einmal ab. Unsere Beurteilung ist klar. Ich denke, die FIFA wird das gleich sehen.»
Vom Schreiben Vonlanthens erfuhr Lämmli über Umwege. Dass der «junge Bursche» das WM-Out nicht wahrhaben wolle, sei bedauernswert. Am Wochenende unterhielt sich Lämmli mehrere Stunden mit dem Spieler und dessen Berater. Er bot Vonlanthen gar an, während der WM auf Kosten des Verbands in Magglingen mit einem Privatcoach und einem Physio-Therapeuten ein Aufbautraining zu absolvieren. Der 20-jährige Stürmer lehnte ab.
Vonlanthen glaubt, seinen Platz im WM-Kader zu Unrecht verloren zu haben. Er misstraut offenkundig der gesamten Ärzte-Crew des Verbands - vielleicht auch weil er weiss, dass er an der WM-Endrunde gutes Geld verdienen könnte; 5000 Franken pro Punkt und 75 000 Franken Bonus für eine durchaus realistische Achtelfinal-Qualifikation.
Quelle: SI