Aus der NZZ:
Michael von Ledebur
14.11.2018, 05:00 Uhr
Der Auszug von GC und FCZ aus dem Letzigrund würde die Stadt nichts kosten
Würde im Hardturm ein neues Stadion gebaut, hätte dies finanziell keine Auswirkungen auf den Betrieb des Letzigrunds.
Doch an einer klaren Zukunftsstrategie für das Leichtathletikstadion fehlt es.
An spielfreien Tagen erinnert das Letzigrundstadion an einen Badestrand im Winter. Hinter dem rostbraunen Zaun liegt das Fussballfeld ungewohnt still da.
Es hallen keine Gesänge und keine Fan-Parolen durch das Rund, niemand bevölkert die Traminsel mit der Bierbüchse in der Hand.
Sollten die Stimmberechtigten am Sonntag in knapp zwei Wochen der Stadionvorlage zustimmen, könnte die Ruhe zum Dauerzustand werden.
Finanziell hätte der Wegfall der beiden wichtigsten Mieter GC und FCZ erstaunlicherweise wenig Auswirkungen.
Die beiden Vereine zahlen heute, abhängig vom Erfolg, zwischen einer halben und einer Million Franken Miete pro Jahr,
in Ausnahmefällen wie dem Erreichen der Champions League wird die Millionengrenze überschritten.
Die Spiele verursachen aber auch Kosten in etwa derselben Höhe, wie das Sportamt auf Anfrage mitteilt.
Genaue Zahlen zu den Aufwendungen für den Spielbetrieb sind indes nicht zu erhalten.
Der Auszug von GC und FCZ ist für die Stadt laut Sportamt kostenneutral. Die Frage nach der Daseinsberechtigung eines Stadions ohne Fussballbetrieb,
das die Stadt jährlich mit fast zehn Millionen Franken alimentiert, stellt sich trotzdem.
Nutzniesser des Auszugs der Fussballklubs wären die Zürcher Leichtathleten. Heute sind sie durch deren Spielplan eingeschränkt. Das gilt längst nicht nur für die Wiese und die Tartanbahn, sondern auch für die Infrastruktur im Stadionbauch. Dort befinden sich zwei Krafträume, eine Turnhalle sowie ein 110 Meter langer Lauftunnel. Am Spieltag wird in der Turnhalle das VIP-Catering aufgebaut, im Tunnel wird das Sicherheitspersonal stationiert. An einem Samstagsspiel müssen die Leichtathleten spätestens um 14 Uhr weichen. Trägt einer der Klubs Euro-League-Spiele aus, wie dieses Jahr der FC Zürich, ist bereits am Mittwoch vor dem Spieltag um 14 Uhr Trainingsschluss.
Endlich flögen wieder Speere
Marco Aeschlimann, Präsident des Leichtathletik-Clubs Zürich, ist bewusst, dass der Leichtathletikbetrieb die Stadioninfrastruktur nur zu einem Teil nutzt.
«Wir brauchen für unseren Trainingsbetrieb nicht Platz für 25 000 Zuschauer.» Aber die Einschränkungen für die Leichtathleten würden bisweilen unterschätzt.
«Es handelt sich nicht um Hobbysportler, sondern um EM- und WM-Teilnehmer.» Gut hundert Athleten trainieren täglich im Letzigrund.
Hochzeitsfoto vor leeren Rängen
Zur Generierung von Zusatzeinkommen könnten auch kleinere Anlässe beitragen. Davon gibt es heute bereits zwischen 250 und 300 in den Räumlichkeiten des Letzigrunds: Generalversammlungen von Vereinen, Firmenjubiläen, Trainingscamps, Hochzeitsfoto-Shootings oder Schulanlässe. Darunter fallen auch Veranstaltungen wie der jährliche Pink Ribbon Charity Walk oder Fussball-Länderspiele. Wie einträglich diese Anlässe sind und ob sich die Einnahmen daraus steigern lassen, vermag das Sportamt nicht zu beantworten. Man erhalte aber immer wieder Anfragen, die man aus terminlichen Gründen negativ beantworte.
Klar ist, dass Steigerungspotenzial vorhanden wäre, weil ohne Spielbetrieb deutlich mehr freie Termine zu Verfügung stünden. Angaben über konkrete Anlässe könne man aber keine machen. Der politische Auftrag sei bisher, in erster Linie Sport zu fördern, nicht kommerzielle Anlässe, sagt Manuela Schläpfer vom Zürcher Sportamt. Es gibt keinen politischen Auftrag, sich um die Akquisition von Anlässen zu bemühen.
Eine Strategie, wie das Letzigrundstadion dereinst besser genutzt und rentabler gemacht werden könnte, fehlt also weitgehend. Dies sei ein Umstand, der laut SP-Gemeinderat Davy Graf im Abstimmungskampf bisher zu wenig beachtet worden sei. Es sei aber an den Befürwortern des Stadionprojekts auf dem Hardturm, auf die Frage nach der Zukunft des Letzigrunds Antworten zu geben. Klar sei für ihn, dass eine Steigerung der Anzahl Konzerte nicht infrage komme, denn dies bedeute mehr Lärm für die Anwohner.
Doppelt so viele Konzerte
FDP-Präsident Severin Pflüger macht sich keine Sorgen um die Zukunft des Letzigrunds: Er sei überzeugt, dass man das Stadion vielfältig werde nutzen können. Man dürfe auch nicht vergessen, dass das Volk das Letzigrundstadion angenommen habe im Wissen um die wirtschaftlichen Voraussetzungen. Dennoch sei klar, dass die Stadt aktiver werden und das Defizit reduzieren müsste, sollten die Klubs ausziehen, sagt Pflüger. Für ihn ist es durchaus denkbar, dass man die Zahl der Konzerte erhöhe oder gar verdopple. Die Bedürfnisse der Anwohner seien zwar zu beachten, aber der Wegzug des Fussballbetriebs brächte ihnen ja auch eine gewisse Entlastung.
Wollte man mehr Konzerte veranstalten, wäre eine Gestaltungsplanänderung durch den Gemeinderat Voraussetzung. Ob dieses Mittel tauglich wäre, um das Defizit zu reduzieren, ist aber so oder so fraglich. Denn die Nachfrage nach Grosskonzerten ist beschränkt. Das Sportamt musste nach eigenen Angaben noch nie eine Absage erteilen, weil die maximale Anzahl Konzerte ausgeschöpft gewesen wäre.
Stehen Fussballspiele an, müssen sie ins Sihlhölzli ausweichen, das aber bereits durch die Verein TV Unterstrass und LC Turicum belegt sei. Man sei dort geduldet, aber die Platzverhältnisse seien eng. Ein reines Leichtathletikstadion würde Befreiung vom Korsett des Fussballspielplans bringen. Und womöglich könnte man auch wieder Speer- oder Diskuswerfen im Letzigrund trainieren. Das ist heute verboten.
Für volle Ränge sorgen die Leichtathleten nur einmal im Jahr, wenn «Weltklasse Zürich» ansteht. Bevölkert ist das Stadion auch bei den Open-Air-Konzerten. Sie sind für die Stadt ein einträgliches Geschäft: Sie spülen ihr einige hunderttausend Franken in die Kasse. Anders gesagt: Mit zwei Konzerten zusätzlich liesse sich die Miete der Fussballverein beinahe schon ausgleichen.
Die Zahl der Konzerte ist heute aber beschränkt. Sie liegt gemäss Gestaltungsplan bei jährlich vier Open-Air-Konzerte, zudem ist alle drei Jahre maximal ein fünftes Konzert möglich. Dieses Kontingent wurde in den letzten beiden Jahren allerdings bereits ausgeschöpft, ohne dass das Defizit geschrumpft wäre. 2017 waren es vier Konzerte, 2016 deren fünf; 2015 drei und 2014 ein Konzert.