Eiszeit im FCZ-Goal
ZÜRICH – Davide Taini (29) war die Nummer 1 im Tor des FC Zürich. Ein sensibler Kerl, der seinen Nachfolger so wenig mag wie die Rolle des Ersatzmannes.
Hätte er diesen Ball gehalten, stünde er heute womöglich noch im Tor. Es war eine Verzweiflungstat von Adriano in der Nachspielzeit. Doch der Schuss aus dreissig Metern sass und kostete dem FC Zürich zwei Punkte, weil statt dem schon sicher geglaubten Heimsieg nur ein Remis resultierte.
«Von aussen schien der Ball haltbar», sagte FCZ-Trainer Lucien Favre nach dem Spiel trocken. Noch wusste Taini nicht, dass dieser Satz bereits seine fussballerische Zukunft vorwegnahm. Denn seitdem sitzt der Goalie dort, wo kein Fussballer gerne sitzt. Auf der Ersatzbank.
Für Torhüter die undankbarste Rolle überhaupt. Denn für sie gibt es nur einen Platz auf dem Rasen. Der Reservemann muss auf die Fehler des anderen warten oder auf eine Verletzung hoffen. Gleichzeitig darf er diese Hoffnung gegen aussen nie zeigen und schon gar nicht darüber reden, das gälte als unkameradschaftlich.
Aber Torhüter sind auch nur Menschen, in den meisten Fällen die sensibelsten Spieler des ganzen Teams. Trotzdem müssen sie gegen aussen stets abgebrüht und souverän wirken. Brust raus, Fäuste hoch, Klappe zu. Für den Ersatzgoalie gilt, sich unterzuordnen, loyal und allzeit bereit zu sein.
Davide Taini sitzt leicht geknickt vor einem Teller Spaghetti. Im Restaurant nahe dem Zürcher Letzigrund hat man ihn erkannt und flüstert. Taini bemerkt es nicht. Vielleicht sieht er auch darüber hinweg. Wer weiss, was da geflüstert wird.
Er hat Mühe, die Erwartungen an einen Ersatzgoalie zu erfüllen, dazu steht er. Wie soll er gegenüber Johnny Leoni loyal sein? Er mag ihn nicht und hat ihn schon am ersten Tag nicht gemocht. «Wir haben einfach nicht die gleiche Wellenlänge», umschreibt er die Situation vorsichtig.
Im Ausnahmezustand
Taini, sein Vater stammt aus Norditalien, ist in Rapperswil aufgewachsen. Er ist ein ruhiger, harmoniebedürftiger Mensch. Einer, der jedes Trainingsmätschli normalerweise ernst nimmt wie einen WM-Final. Doch die jetzige Situation ist für ihn alles andere als normal. Er ist im Ausnahmezustand.
Taini kann seine Degradierung nicht verstehen. Immerhin stand er doch im Mai noch ganz oben. Als der FCZ Cupsieger wurde, da durfte er als Erster den Pokal in die Höhe stemmen. Wie gut ihm dieser Sieg tat. Denn kritisiert wurde er als FCZ-Goalie zur Genüge. Seit Miroslav König im Sommer 2003 in die Türkei wechselte, stand Taini im Brennpunkt.
Die Zürcher waren schlecht in die Saison gestartet und bald gabs Zoff. Captain Stephan Keller wurde in seiner Funktion abgesetzt, und die Wahl des neuen Spielführers fiel auf Taini. Nach kurzer Bedenkzeit nahm er an. Mit der Binde am Arm erhoffte er sich einen Schub.
«Das war ein Fehler», sagt Sportchef Fredy Bickel rückblickend. «Dave wollte es als Captain besonders gut machen. Er war für alle Spieler da und verzettelte sich so im Detail.» Auch Taini sagt heute: «Ich hätte mich gescheiter voll auf meinen Job als Torhüter konzentriert.»
Doch die Zeiten für den FCZ änderten sich nach der Winterpause. In der Rückrunde war er gar der erfolgreichste Klub der Super League. Auch Taini hat seinen Beitrag geleistet. Ein klares Bekenntnis zu ihm gab es seitens des Vereins trotzdem nie. Das hat ihn gestört.
Auch in der Vorbereitung nach dem Cupsieg kam dieses Bekenntnis nicht. Vielmehr stellte Trainer Lucien Favre seine beiden Goalies auf die gleiche Stufe. Jeder spielte in den Testpartien gleich lang. Und am Ende der Vorbereitung stand Favre unschlüssig da, konnte sich nicht für eine klare Nummer 1 entscheiden. Er gab zwar Taini den Vorzug, doch im gleichen Atemzug sagte er ihm, dass Leoni sehr stark trainiert habe und auf gutem Weg sei.
Taini registrierte die Warnung. Sie passte ins Bild, dass er sich machte. Er glaubte, dass sich längst alles gegen ihn verschworen habe. Er fand, dass ihn der Trainer auffallend oft kritisierte und Leoni überschwänglich lobte.
Und da war diese Sache mit der Hochzeit. Normalerweise heiraten Fussballer im Juni, weil dann Pause ist und die Spieler Zeit haben. Doch weil ein Jahr zuvor seine Mutter im Juni starb, wollte er seine Hochzeit nicht im gleichen Monat feiern, verschob sie darum auf den Juli. Auf das vorletzte Wochenende vor Meisterschaftsstart. Auf den Tag nach der Rückkehr der Spieler vom Trainingslager, müde und mit der Aussicht auf ein letztes freies Wochenende.
Am Ende folgten nur fünf Spieler der Einladung, was Taini betroffen machte. Schon vor Meisterschaftsbeginn sagte er zu seiner Frau Tanja: «Ich glaube, ich muss hier weg. Da läuft etwas gegen mich.» Es war eine Vorahnung, die sich mit der Degradierung auf die Ersatzbank zu bestätigen schien.
Seither ist Taini ein anderer Mensch. Er hat sich zurückgezogen. Obwohl nicht offiziell im Amt abgesetzt, übernimmt er keine Captain-Aufgaben mehr. Er ist enttäuscht. Vor allem vom Trainerstab, von dem er mehr Rückendeckung erwartet hatte. «Ich schaue jetzt auf mich. Das ist die Lektion, die ich aus dieser Sache gelernt habe.»
Taini bald Papi
Martin Brunner, der Goalietrainer des FC Zürich, will Taini nichts vorwerfen. «Seine Trainingsleistungen sind weiterhin zufriedenstellend.» Doch auch Brunner hat gemerkt, dass Taini nicht mehr lächelt, dass das innere Feuer fehlt.
Im Training herrscht zwischen den Goalies Eiszeit. Sie grüssen sich. Mehr nicht. Nach der Arbeit gehen beide ihrer Wege. Taini zieht es heim zu Tanja, die ein Kind erwartet. Er hat einen Berater engagiert, der sich umschaut. Der Vertrag des Goalies mit dem FCZ läuft im Sommer aus.
Trotzdem hat Taini noch nicht aufgegeben. Der FCZ ist eine gute Adresse, auch in finanzieller Hinsicht. Leoni macht auch seine Fehler auf dem Platz und so kommt es schon mal vor, dass Taini im Büro von Lucien Favre auftaucht und seinen Stammplatz zurückfordert.
Im engsten Kreis hat Favre bereits verlauten lassen, in der Winterpause beiden Torleuten nochmals die gleiche Chance zu geben. Trotzdem hört man aus dem Verein, dass man Taini keine Steine in den Weg legen will, wenn ein anderer Klub ihn verpflichten wolle.
Der 29-Jährige sieht der Zukunft gelassen entgegen. Er ist Turnlehrer und hätte notfalls kein Problem damit, müsste er in seinen Beruf zurückkehren. Doch davon, will er jetzt noch nichts wissen.