Beitragvon Pyle » 17.06.21 @ 21:37
Treffende und schonungslose Analyse von Hopper Schifferle im Tagi:
AboAnalyse zum Debakel von Rom
Die Schweiz gibt ein verstörendes Bild ab
Ein wehleidiger Trainer und Risse in der Mannschaft: Das 0:3 gegen Italien legt alle Schwächen der Schweiz offen. Jetzt geht es um die Zukunft von Vladimir Petkovic.
MEINUNGThomas Schifferle aus Rom
Publiziert heute um 09:45 Uhr
Was tun mit Xherdan Shaqiri – das ist eine der Fragen, die sich Vladimir ä Petkovic nach dem 0:3 gegen Italien stellt.
Foto: Jean-Christophe Bott (Keystone)
Es ist ein Debakel, eine Blamage, eine Demaskierung, was die Schweizer am Mittwochabend in Rom erleben. Das 0:3 gegen Italien trifft sie im Kern und erschüttert sie, als wäre es ein Erdbeben. Denn es geht um die grundsätzlichen Fragen: wie weiter mit dieser Mannschaft? Mit diesem Trainer?
Natürlich ist in der Bewertung Vorsicht geboten. Die Schweiz hat an dieser EM noch immer die Möglichkeit, den Achtelfinal zu erreichen. Dafür braucht sie am Sonntag in Baku einen Sieg gegen die Türkei. Und wer diese Mannschaft bislang gesehen hat, ihre beiden schwer enttäuschenden Auftritte gegen Italien und Wales, der kann nicht einmal ausschliessen, dass gegen sie selbst die Schweizer gewinnen.
Und doch verstört das Bild, das die Schweiz rund um ihren zweiten Auftritt abgibt. Da sind zuerst die Risse, die sich auf einmal innerhalb der Mannschaft auftun, jedenfalls sind Äusserungen von Granit Xhaka entsprechend zu werten. Im Captain scheint es zu brodeln, als er sagt: «Wenn du so viele Ballverluste hast, findest du nie zur Ruhe. Wir hatten nicht genug Spieler, die den Ball wollten. Wer den Ball nicht will, muss sich überlegen, ob er auf dem Platz stehen sollte.»
Überfordert und untergegangen: Die Schweizer Nationalspieler Granit Xhaka und Ricardo Rodriguez.
Foto: Jean-Christophe Bott (Keystone)
Auch Kevin Mbabu ist vor der Kamera deutlich stärker als auf dem Platz, als er zur Analyse schreitet. «Heute Abend hat nicht jeder alles für die Mannschaft gegeben», formuliert er seine Bankrotterklärung. Auch ihm ist nicht entgangen, dass die Italiener «ganz einfach mehr wollten». Übersetzt heisst das: Sie hatten das Feuer, das den Schweizern fehlte. Xhaka mahnt noch an, reden bringe jetzt nur etwas, wenn man alles genau anschaue. Vielleicht schaut er auch in den Spiegel und auf seine Nicht-Leistung.
Bei Petkovic tun sich alte Wunden auf
Dann ist da der Coach. Er reagiert nur schon deshalb beleidigt, weil einzelne Zeitungen kritisiert haben, dass Granit Xhaka und Manuel Akanji im Teamhotel Besuch von einem Coiffeur erhalten durften.
Am Tag vor dem Spiel hat Petkovic noch versucht, die Sache mit Leichtigkeit zu kommentieren («Ich wollte mit schwarzen Haaren kommen»). Nach dem Spiel ist jegliche Lockerheit schon wieder weg, die er gerade vor dem Turnier so gern zelebriert hatte. Sein Auftritt bei SRF ist fern von jeglicher Souveränität, die ihm und der Sache nur dienen würde. Petkovic ist schlecht beraten – oder gar nicht beraten, als er auf einmal die Abzweigung nimmt, thematisch vom Spiel weggeht und dafür sagt: «Drei, vier Zeitungen machen jedes Mal eine Kampagne, wenn es die Möglichkeit gibt, polemisch zu sein.»
Seine Arbeit ist immer wieder hinterfragt worden, zuletzt detailliert im Herbst 2019, bevor er dann doch einen neuen Vertrag erhielt. Diese Schmach gegen Italien hat offensichtlich schon gereicht, um bei ihm alte Wunden aufreissen zu lassen. Petkovic hat längst nicht die Nehmerqualitäten, die es in seinem Amt braucht. Das Mimosenhafte zeigt sich auch, als er von fehlender Unterstützung der Journalisten zu reden anfängt. Wenn er da die Medien in Italien sehe, sagt er. Und vergisst grosszügig, wie gnadenlos die italienische Presse mit ihrer Squadra abrechnet, wenn sie versagt.
Solche Auftritte stellen alles infrage
Sieben Jahre ist Petkovic bald Nationaltrainer der Schweiz, sieben Jahre sind viel, und die Frage ist nun, ob sie nicht auch genug sind. Vieles ist festgefahren, die Mannschaft hat Strukturen, an denen er bislang nicht rütteln mag. Xhaka ist der Chef, und Shaqiri darf spielen, egal, in welcher Verfassung er ist, und Rodriguez darf spielen, selbst wenn er in einem lamentablen Zustand ist, und Seferovic ist gesetzt, und Embolo und Akanji sind es auch, Sommer und Elvedi sowieso. Die Mannschaft bietet in ihrer Zusammensetzung keine Überraschungen, sie steht nicht für Aufbruch.
Für grosse Ankündigungen und Gerede vom EM-Titel, dafür steht sie wohl. Doch dann kommen solche Auftritte zustande, die alles infrage stellen. Gegen Italien geht es nicht einmal um die Niederlage an und für sich, um dieses 0:3, Italien bewegt sich auf einem ganz anderen Niveau. Es hat eine Mannschaft, die wahrscheinlich nicht nur im direkten Vergleich mit der Schweiz Extraklasse darstellt.
Xhaka, Shaqiri und Seferovic bilden ein Trio des Schreckens. Und die anderen sind nicht besser, ob sie blonde Haare haben oder nicht.
Aber wie die Schweiz verliert, darum geht es. Die Art ist lamentabel. Die Mannschaft wehrt sich gar nicht, sondern ergibt sich in ihr Schicksal. Sie hat keinen Hauch von Führung, Xhaka, Shaqiri, Seferovic bilden ein Trio des Schreckens. Und die anderen daneben sind nicht besser, ob sie blonde Haare haben oder nicht.
Einen lichten Moment hat Petkovic nach dem Spiel, als über den Coiffeurbesuch zu reden anfängt. Da sagt er: «Wir haben seit Jahren solche Themen. Wir sind auch ein wenig Masochisten, dass wir solche Themen provozieren.» Das ist ein entscheidender Punkt bei dieser Mannschaft: Sie stellt sich gern selbst ein Bein, ob mit Doppeladler oder einem Coiffeurbesuch.
Petkovics lichter Moment ist danach schon wieder vorbei. Dafür beginnt er von «Menschenrechten» zu fantasieren. Darum gehe es, wenn man verbieten wolle, ob einer blond sei, schwarz oder etwas anderes, sagt er. Ein wenig innehalten und die Relationen wahren – das könnte künftig nicht schaden.
Redet nach dem 0:3 von Menschenrechten: Nationaltrainer Vladimir Petkovic ist enttäuscht.
Foto: Emmanuele Ciancaglini (Getty Images)
Vor der EM gaben sich Petkovic und sein direkter Vorgesetzter Pierluigi Tami noch so, als hätten sie aus dem kommunikativen Versagen von Russland gelernt. Ein paar Stunden in Rom haben schon gereicht, um den Eindruck zu vermitteln, dass es eben nicht so ist und auch Tami unter Überforderung leidet. Und auch der Kommunikationsdirektor Adrian Arnold sieht nicht gut aus. Entweder hat er intern nicht vor den Gefahren gewarnt, was Xhaka und Akanji mit ihrem Wunsch nach einem Besuch des Coiffeurs im Teamhotel auslösen können. Oder er hat die Gefahren selbst nicht erkannt.
Als nicht unbedeutende Randnotiz noch das: Der Verband half tatkräftig mit, dass der Coiffeur überhaupt in die Schweizer Blase eindringen durfte. Dafür musste er ihm eine Akkreditierung der Uefa beschaffen. Die Schweiz hat ein ernstes Führungsproblem. Das beginnt ganz oben bei Dominique Blanc. Den Verbandspräsidenten nimmt eigentlich keiner weiter wahr und darum auch nicht ernst.
Diesen Shaqiri braucht es nicht
Am Sonntag gegen die Türkei geht es um ganz viel. Zum Beispiel um die Zukunft von Petkovic. Ein Sieg, und er hat sich fürs Erste gerettet. Eine Niederlage oder nur schon ein Unentschieden und er muss mit der Frage leben, ob es noch sinnvoll ist, mit ihm bis zum Abschluss der WM-Qualifikation weiterzumachen. Punktverluste bedeuten das Ausscheiden aus dem Turnier. Es sind Schicksalstage für einen Trainer, der mit einem Wechsel zu Zenit St. Petersburg in Verbindung gebracht wird.
Petkovic ist gefordert wie nie in seinen sieben Jahren. Schafft er es, die richtigen personellen Schlüsse aus der Römer Vorführung zu ziehen, um den angerichteten Schaden noch zu reparieren? Coacht er so gut wie Ottmar Hitzfeld an der WM 2014, als er sein Team nach dem 2:5 gegen Frankreich zum 3:0 gegen Honduras und in den Achtelfinal führte?
Ringt er sich endlich dazu durch, Shaqiri draussen zu lassen, um ihm endlich begreiflich zu machen, dass er mit seinem allürenhaften Getue keinem hilft, schon gar nicht der Mannschaft? Was macht er mit Seferovic, Mbabu, Rodriguez und Akanji, die keiner vermissen würde? Findet er heraus, wieso Freuler derart versagt in einem Spiel, auf das er sich so sehr gefreut hat, wieso er nicht der Freuler von Atalanta gewesen ist?
Petkovic hat 26 Spieler im Aufgebot (wobei momentan Sommer nicht zur Verfügung steht, weil er zum zweiten Mal Vater wird). 26 sind genug, um der Mannschaft ein ganz anderes Gesicht zu geben. Keiner kann garantieren, dass alles gleich viel besser ist, denn 26 Spieler bedeuten nicht unbegrenzte Klasse. Aber ein Zeichen des Umbruchs würde der Mannschaft jetzt gut anstehen, ein Versuch mit Zuber, Vargas, Fassnacht, Zakaria oder Widmer. Sie können gegen die Türken gar nicht schlechter und leidenschaftsloser aussehen als der Stamm gegen Italien.