Beitragvon schwizermeischterfcz » 17.06.21 @ 10:10
Aus der NZZ
KOMMENTAR
Das 0:3 gegen Italien ist der Tiefpunkt in der Ära Petkovic
So deutlich wie gegen Italien hat die Schweizer Nationalmannschaft seit 2014 nicht mehr verloren. Ein Sieg wurde von der Schweiz nicht erwartet, aber mehr Widerstandskraft und Leidenschaft.
Benjamin Steffen, Rom
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17.06.2021, 09.39 Uhr
Das 0:3 gegen Italien ist der Tiefpunkt in der Ära des Trainers Vladimir Petkovic. Nie zuvor haben die Schweizer Fussballer seit Sommer 2014 mit mehr als zwei Toren Differenz verloren, die letzte höhere Niederlage geht auf Petkovics Vorgänger Ottmar Hitzfeld zurück, der an der WM 2014 gegen Frankreich 2:5 verlor. Es war das zweite Gruppenspiel, wie diesmal an der EM – und danach rafften sich die Schweizer auf, mit dem 3:0 gegen Honduras und dem Einzug in den Achtelfinal.
Damals stand die heutige Generation am Anfang, und sie stand für Hoffnung, mit Spielern wie Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri, Haris Seferovic und Ricardo Rodríguez. Dieses Quartett ist zu Petkovics Kern geworden, mit Xhaka als wortstarkem Anführer, der die Mannschaft stets derart gutredete.
Skepsis war angebracht, immer schon, und am Mittwochabend bekam die Auswahl ihre Schwächen vorgeführt. Einmal mehr sah sie so ganz anders aus als vor dem Spiegel, so ganz anders als das schöne Selbstbild, sonst wäre sie den Italienern nicht derart heillos unterlegen gewesen. Gerade Xhaka erfüllte den eigenen Anspruch nicht, er vermochte das Team nicht durch diesen schwierigen Abend zu führen.
Geblendet von der Nations League
Es ist nicht so, dass von den Schweizern ein Sieg erwartet worden wäre, aber mehr Widerstandskraft, mehr Leidenschaft. Vermutlich hatten sie sich selber am meisten blenden lassen von den Unentschieden in der Nations League gegen Spanien und Deutschland im vergangenen Jahr, es waren Spiele auf einer kleineren Bühne gewesen, so wichtig dieser Wettbewerb auch geredet werden will.
Was die wahren Stärken zeigt, sind Endrundenspiele oder Qualifikationspartien – und in diesen EM-Qualifikationsspielen, nicht zu vergessen, gewannen die Schweizer 2019 gegen den stärksten Gruppengegner Dänemark bloss einen von sechs möglichen Punkten.
Und so wirkt es eher verfehlt, in diesem Moment der klaren Niederlagen auf die anderen zu zeigen, auf die Mitspieler, auf die Medien. Xhaka sagte nach dem Spiel öffentlichkeitswirksam, es habe nicht genügend Spieler gehabt, die den Ball gewollt hätten – und wer den Ball nicht wolle, müsse sich überlegen, ob er auf dem Feld stehen solle.
Damit dürfte sich Xhaka intern keinen grossen Gefallen getan haben – und damit bekräftigte er bloss seine Tendenz zu selbstgefälligem Auftreten. In den letzten Tagen hatte er sich mit einer Tätowierung kurz vor EM-Abreise über eine Anweisung des Trainers Petkovic hinweggesetzt, zwischen den Spielen gegen Wales und Italien liess er einen Friseur nach Rom einfliegen – und nach dem 0:3 geisselte er die Mitspieler.
Vor dem Türkei-Spiel geht es um mehr als die Aufstellung
Darin zeigt sich, dass es vor dem entscheidenden Spiel am Sonntag gegen die Türkei um mehr geht als um reine Aufstellungsfragen – ob es vielleicht besser wäre, Silvan Widmer statt Kevin Mbabu spielen zu lassen, Mario Gavranovic statt Seferovic oder sogar: Ruben Vargas statt Shaqiri? Geschenkt. Denn es geht vielmehr um die Pflege der Team-Chemie – dass der Captain Xhaka für eine gute Ambiance sorgt, für Zusammenhalt; dass er eint statt spaltet; und es geht darum, dass nicht Xhaka selber zum Problem für diese Mannschaft wird, nicht primär auf dem Feld, sondern daneben.
Der Trainer Petkovic liess Selbstkritik anklingen, aber auch er suchte Probleme ausserhalb und sprach von «drei, vier Zeitungen», die jede Gelegenheit für Kampagnen nützen würden. Damit spielte er unter anderem auf den Oktober 2019 an, als vier Deutschschweizer Zeitungen (darunter auch die NZZ) die Frage aufgeworfen hatten, ob Petkovics auslaufender Vertrag verlängert werden sollte.
Es war keine Orchestrierung gewesen, keine Kampagne, bloss eine kritische Auseinandersetzung mit der Ära Petkovic, mit Missverständnissen neben dem Platz, deren Aufarbeitung immer wieder Energie kostete. Auch diesmal fragten sich mehrere Zeitungen, was das Signal des exquisiten Coiffeurbesuchs sei – es ging nicht darum, dass es den Spielern nicht zusteht, die Haare blond zu färben, sondern vielmehr: was sie damit signalisierten.
Der Captain Xhaka stellt sich über seine Mitspieler, der Trainer strickt Verschwörungstheorien – es gilt, wieder einiges aufzuräumen, ausgerechnet kurz vor dem so bedeutenden Spiel gegen die Türkei, das viel Deutungshoheit bekommen wird, wenn es dereinst darum geht, die Ära Petkovic und die Ära Xhaka zu beurteilen. Es ist immer noch möglich, dass die Schweizer 2021 den Achtelfinal erreichen, und dass sie danach weiter und weiter stürmen – aber damit ihr Sturm dort endet, wo sie sich selber sehen, müssen sie aufpassen, dass sie sich nicht verrennen.
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