Beitragvon Mushu » 27.07.23 @ 22:45
Zwei streitbare Präsidenten
Darum braucht es die Canepas und Constantins
Ancillo Canepa eckt mit seiner Aussage zum Angriff auf den GC-Stand an – der Fall zeigt, wie sehr der Fussball von emotionalen Persönlichkeiten wie ihm und Christian Constantin lebt.
Thomas Schifferle
Publiziert heute um 19:30 Uhr
Was wäre der FC Zürich ohne die Canepas, Ancillo und Heliane, ihre Liebe für die drei Buchstaben und ihr Geld? Vielleicht ein Club ohne Identität in ausländischer Hand.
Wo wäre der FC Sion ohne Christian Constantin? Wohl irgendwo in der Versenkung verschwunden, «der Club wäre tot», hat er selbst oft schon gesagt.
Ancillo Canepa, für alle nur Cillo, ist der CC aus Zürich, Constantin das Original aus dem Wallis. Das Kürzel verbindet sie und steht für zwei Männer, die mehr gemeinsam haben, als es scheint. Sie sind Fussball-Enthusiasten, der 70-jährige Canepa zum Beispiel wird wieder zum Kind, wenn er irgendwo gegen einen Ball treten kann. Er und der 66-jährige Constantin sind die grössten Fans ihres Vereins. Sie prägen ihn mit allen Konsequenzen und Dramen, die ihre Leidenschaft zur Folge hat. Die brave Mitte bieten sie nicht.
Sie ragen aus der Masse heraus und schüren die Emotionen, die für den Erfolg des Geschäftsmodells Fussball unerlässlich sind. Weil sie das tun, polarisieren sie. Sie können so faszinieren wie verstören. Der grosse norwegische Leichtathlet Jakob Ingebrigtsen hat jüngst ein passendes Bild gemalt: «In Norwegen sieht man es lieber, wenn alle gleich sind. Der Nagel, der hervorsteht, ist nicht beliebt. Unsere Familie war ein solcher Nagel, der hervorstand und den die Leute reinzuhämmern versuchten.»
Canepa hat letzte Woche in dieser Zeitung zusammen mit GC-Vizepräsident Andras Gurovits ein Interview gegeben, das ihm einiges an Kritik eingebracht hat. Ein Leser schreibt: «Ancillo Canepa hat Verständnis für die Selbstjustiz und die Rachefeldzüge seiner gewaltbereiten FCZ-Chaoten. Da gibt es nur eine Konsequenz: Zurücktreten!» Ein anderer in einem langen, bedacht abgefassten Brief: «Canepas Äusserungen mögen für manche vielleicht nicht direkt als bedenklich eingestuft werden, für Betroffene und Opfer sind diese aber ein Schlag ins Gesicht.»
Sie knicken nicht einfach ein
Das sei schon eine Provokation, hat Canepa gesagt und die Tatsache gemeint, dass GC mit einem eigenen Stand am Züri-Fäscht vertreten gewesen war. «Cillo, das ist jetzt nicht dein Ernst?», hat Gurovits vor dem Hintergrund gekontert, dass der Stand seines Clubs von FCZ-Chaoten zweimal überfallen worden war. «Doch, doch», hat Canepa darauf gesagt. Auch an der Vorsaison-PK des FCZ rückt er nicht von seiner Position ab: «Ich bleibe bei meiner Aussage.»
So ist er, so ist auch Constantin. Wie heftig der Gegenwind auch ist, den sie gleich selbst provozieren, er bringt sie nicht zum Einknicken oder Umdenken. Alle Welt mag sehen, dass der FCZ im Frühjahr in Basel einen ungerechtfertigten Elfmeter bekommen hat, Canepa bleibt trotzdem bei der Meinung, es sei Foul gewesen. Er lässt nichts auf seinen Geschäftsführer kommen, obschon dieser inzwischen reihenweise Mitarbeiter vertrieben hat. Er findet die Wahl eines Spielerberaters als Berater des Clubs weiterhin gut, was immer alle anderen davon halten.
Von Constantin ist nicht bekannt, dass Selbstkritik zu seinen ausgeprägtesten Stärken gehört. Dass er die Verpflichtung von Balotelli als Fehler bezeichnet, ist deshalb bereits ein Ereignis. Vielmehr entspricht seinem Standard, dass er auf Schiedsrichter losgeht. In diesen Tagen reicht er bei Swiss Sport Integrity, der Anlaufstelle für Ethikverstösse im Schweizer Sport, eine Beschwerde gegen sie ein. Er wirft ihnen 24 Fehlentscheide vor, die zum Abstieg von Sion geführt haben sollen. Wegen solcher Fälle geht vergessen, welche Wärme er privat ausstrahlen kann.
Kritik ficht Canepa und Constantin nicht weiter an. Das fördert die Ablehnung gegen sie. Wer es gut meint mit ihnen, nennt sie standhaft oder unbeirrt, wer nicht, nennt sie stur oder uneinsichtig. Jedenfalls bieten sie die Angriffsfläche, um sich notfalls an ihnen abzuarbeiten und sich selbst für unfehlbar zu halten. Da ergeht es ihnen gleich wie in der Politik Christoph Blocher oder Alain Berset.
Auch David Degen widerspricht dem 08/15-Schema, wie es in der Schweiz gern gesehen wird. Im Frühjahr erzählte er, wie es ihm in seinem Leben als Präsident des FC Basel so ergeht. «Mein Auftreten: selbstbewusst. Passt nicht in die Schweiz. Nicht aufgeben: passt nicht in die Schweiz. Mutig sein: passt nicht in die Schweiz. Zurückhaltend bin ich definitiv nicht: passt auch nicht in die Schweiz. Erst 38, als ich den FCB übernahm: passt auch nicht in die Schweiz …»
Granit Xhaka könnte auf seine Art das Gleiche berichten. Oder Murat Yakin. Niemand bewegt in der Nationalmannschaft annähernd so sehr wie der Captain und der Trainer. Das macht sie als Exponenten so spannend wie streitbar.
Feindbilder mit Herzblut
Dass Constantin und Canepa Geld und Zeit investieren, ist unbestritten. Dass ohne Leute wie sie das System des Schweizer Fussballs kollabieren würde, ebenso. Bloss rechtfertigt das nicht alles, was sie machen. Constantins körperliche Attacke auf den TV-Experten Rolf Fringer vor sechs Jahren an einem Spielfeldrand war untragbar. Canepas Satz von der Provokation jetzt ist sehr problematisch und selbst eine Provokation.
Auf den Fuss folgt darum in den Kommentarspalten der oft gehörte Vorwurf, Canepa mache als Besitzer des FCZ zu wenig, um die Auswüchse in der stets wachsenden Südkurve zu bändigen und die Schläger, die sich in ihrem Kreis bewegen, in den Griff zu bekommen. Die Mutter eines ehemaligen Südkurve-Gängers berichtet: «Eine so grosse Anziehungskraft auszuüben, geht für mich auch mit einer grossen Verantwortung des FCZ für alle diese Jugendlichen einher. Meiner Meinung nach nimmt der Club diese Verantwortung aber nicht wahr.»
Die beiden CC sind Unikate. Im Fussball sind sie willkommen, auch weil sie zum Feindbild taugen, das zu einer spannenden Erzählung wesentlich beitragen kann. «Wir brauchen in der Schweiz solche Herzblut-Präsidenten wie Canepa. Der FCZ hat mit den Canepas so etwas wie eine Seele. Wir Hoppers haben auch viele Chaoten. Aber unsere Seele? Die haben wir an undurchsichtige Chinesen verkauft.»
Das alles schreibt ein GC-Fan. Canepa wird das gern lesen.