Warum die Super League so viel besser ist, als Sie denken
Der Schweizer Clubfussball hat eigentlich keine Chance gegen die Riesen der Branche – aber er nutzt sie gar nicht mal so schlecht. Das beweisen unter anderem die Stadien, die so voll sind wie nie.
Florian Raz, Tagi
Kürzlich hat mich mein Schwiegervater ziemlich entgeistert angeschaut. Ein nur bedingt erstrebenswerter Zustand. Aber es ging erstens nicht um seine Tochter und zweitens fühlte ich mich absolut im Recht – das half.
Unterhalten haben wir uns über Fussball. Er hat sich ein wenig gewundert, wie gerne ich über die Super League schreibe, während es da draussen doch aufregende Wettbewerbe mit Hundertmillionentransfers und Superstars und richtig gutem Fussball gebe.
Nimmt man diese Massstäbe, schrumpft der hiesige Clubfussball tatsächlich zum unbedeutenden Nichts. Aber es gibt wichtigere Kriterien als Geld und grosse Namen. Fünf Gründe, warum die Super League viel besser ist, als Sie meinen.
1. Gute Geschichten statt billiger Spannung
Ja, die Young Boys stehen Anfang Februar bereits als Meister fest. Spannend ist natürlich irgendwie anders.
Aber ein unbekanntes Ende ist nicht das einzige Kriterium für Interesse. Oder denken Sie, die über 380 Millionen Menschen, die den Film «Titanic» im Kino gesehen haben, seien allesamt durch den Untergang des Schiffs überrumpelt worden?
Wichtig sind die Geschichten, die erzählt werden. Und die haben in der Super League höchstes Niveau, weil viele Clubs ihre Rolle gefunden haben und mit Leidenschaft ausfüllen.
Der FC Zürich ist die Partynudel mit Borderlinesyndrom. Himmelhoch jauchzend Meister, zu Tode betrübt am Tabellenende. Alles ist Gefühl, alles ist intensiv.
Der FC Luzern ist die Anwaltsserie «Suits». Der Verwaltungsrat entmachtet den starken Mann Bernhard Alpstaeg mit einer atemraubenden juristischen Volte. Alpstaeg klagt zurück. Und alle warten auf die Explosion.
In Sitten empfängt der Zirkus Constantin: Nichts ist grell genug, keine Ankündigung zu gross. Sich Champions-League-Sieger, Skandalnudel und Grossverdiener Mario Balotelli leisten und gleichzeitig aus finanziellen Gründen den Absturz in den Amateurfussball ankünden? Ein perfekt gestandener Salto!
Die St. Galler spielen das kleine gallische Dorf, das sich mit Wumms gegen alle Grossmächte wehrt. Die Young Boys sind begeisterte Musterknaben. Der FC Basel gibt den gestürzten Aristokraten, der in den Ruinen seiner einstigen Grandezza lebt und dabei stets unter grosser öffentlicher Anteilnahme an den eigenen Ansprüchen scheitert.
Und Winterthur hat sich irgendwann einfach erfolgreich selber zum Kultclub erklärt.
2.Was nahe ist, das fühle ich
Gerade der FC Winterthur hat sehr früh begriffen: Wer sportlich nie um Titel spielen kann, muss den Menschen etwas anderes bieten: Nähe – und das Gefühl, Teil von etwas Speziellem zu sein.
Es ist das totale Gegenmodell zu jenem Fussball, der seine Männer-Weltmeisterschaft nach Katar verkauft und Potentaten aus allen möglichen Unrechtsregimen anzieht wie der Miststock die Fliegen. Wer die grosse Welt nicht erobern kann, bastelt sich sein eigenes Reich. Die Begrenzung wird zur Chance.
Cristiano Ronaldo wird nie auf der Schützenwiese spielen. Dafür reisen die Kinder der Sirupkurve neuerdings sogar an Auswärtsspiele. Das ist gelebte Gemeinschaft. Damit kann es der FC Winterthur sogar mit all den Messi-Shirts aufnehmen, die über die Pausenhöfe der Region rennen.
Was nahe ist, das fühle ich.
Das Modell Winterthur macht derzeit Schule in der Schweiz. Der FC St. Gallen schafft es, eine ganze Region an sich zu binden. Der FC Luzern versucht dasselbe. Und in der Südkurve des FCZ hat die Zürcher Jugend direkt nach den Corona-Lockerungen das Gefühl einer grossen Party ohne Personen- und sonstige Begrenzungen wiederentdeckt.
3. Da bin ich dabei, da gehe ich hin
Erst war der Zug komplett überfüllt. Dann gab es nicht genügend Busse zum Stadion. Die Reisegesellschaft, die sich an einem verschneiten Januar-Abend von Zürich nach Luzern aufmachte, überforderte die Planung komplett. 2500 FCZ-Fans begleiteten ihr Team an das erste Auswärtsspiel des Jahres. Eine für die kleine Schweiz unfassbare Zahl.
Aber nicht nur die Zürcher ziehen viele Menschen an. Im Schnitt gehen zu jedem Spiel der Super League über 13’000 Leute. So viele wie nie seit der Einführung der Zehnerliga 2003. Winterthur hat sein kleines Stadion stets mit 8000 Fans gefüllt. YB spielt vor über 28’000, die sich keineswegs langweilen, wenn es nur Siege gibt. St. Gallen hat einen unglaublichen Schnitt von über 17’000.
All diese Menschen sind nicht blosse Kundschaft, die ihr Geld abliefert und dann wieder geht. Sie verstehen sich als Teil des Ganzen, als Akteure. Und darum kommen sie wieder.
4.Der Scheich ist nicht gelandet – zum Glück
Es gab Zeiten, da wartete der Schweizer Clubfussball sehnsüchtig auf Zauberer aus dem Morgenland, die alle finanziellen Sorgen verschwinden lassen.
Gesucht wurde der omnipotente Scheich, gefunden wurden aber erst ein paar Hochstapler, die in Neuchâtel tschetschenische Volkstänze präsentierten, oder glücklose Bierbrauer aus Kamerun. Und jene ausländischen Besitzer, die sich heute in Lugano, Lausanne und bei den Grasshoppers versuchen, wirken nicht, als würden sie mit dem finanziellen Zauberstab wedeln.
Die Schweizer Liga hat schlicht zu wenig Glamour, um die grossen Geldflüsse anzuziehen. Und das ist ihr Glück. Weil sich so niemand beim Stadionbesuch fragen muss, ob er gerade das Prestigeprojekt eines Mannes unterstützt, der einen Journalistenmord in Auftrag gegeben hat. Eine moralische Zwickmühle, in der sich Fussballfans in England durchaus befinden können.
5. Von der Schweizer Ersatzbank in die Premier League
Zugegeben, Fussball findet auch auf dem Platz statt. Und ja, da mag die Super League möglicherweise ein paar Schwächen aufweisen. Die Lücke zu den Teams in den ganz grossen Ligen ist in den letzten Jahren sicher nicht kleiner geworden.
Das bedeutet aber nicht, dass in der Schweiz nicht immer wieder ganz hervorragende Fussballer zu sehen sind. Liverpools Stürmerstar Mohamed Salah wurde einst in Basel ausgebildet. Wilfried Gnonto war letzte Saison beim FCZ bloss Einwechselspieler – und verzaubert heute in Leeds die Premier League. Wer weiss: Vielleicht ist einer aus dem Duo Roko Simic (FCZ) und Bradley Fink (FCB) ja tatsächlich der nächste Haaland?