Kollegah hat geschrieben:https://www.tagesanzeiger.ch/diese-frischzellenkur-kam-gerade-zur-rechten-zeit-715615123693
Danke!
Analyse zur FCZ-Hinrunde
Diese Frischzellenkur kam gerade zur rechten Zeit
Der Tabellenletzte geht mit einem souveränen 4:1 gegen Servette in die WM-Pause – er findet zum Lachen zurück, aber hat noch sehr viel Arbeit vor sich.
Thomas Schifferle
Publiziert am 14. November 2022 um 15:00 Uhr
Auf einmal ist es, als wäre es wieder Frühling. Die Leichtigkeit ist zurück, das Lachen, das Gefühl, dass doch nicht alles verloren und verlernt ist. «Morgen werde ich in alter Frische aufwachen», sagt Ancillo Canepa an diesem Sonntagnachmittag. Er wirkt, als wäre gleich alles von ihm abgefallen, was ihn während Monaten so sehr beschäftigt hat.
Ein Spiel genügt bereits für die Frischzellenkur beim FC Zürich und seinem Präsidenten. Der Sieg gegen Servette kommt gerade zum richtigen Zeitpunkt, bevor die Saison wegen der WM für zwei Monate unterbrochen wird. Und es ist nicht irgendein Sieg, sondern einer der überzeugenden Art, Folge eines entschlossenen Auftritts und ungewohnter Stärke im Abschluss, Folge auch der Tatsache, dass die Mannschaft unter der Woche einmal nicht durch ein Spiel und eine Reise belastet ist. Dass Servette für einmal richtig schlecht spielt, ist sicher kein Hindernis.
4:1 gewinnt der FCZ, das Gegentor ist belanglos, weil es erst in der 89. Minute fällt. Vier zu eins! Er erzielt in einem Spiel knapp halb so viele Tore wie in den fünfzehn zuvor. Aiyegun Tosin trifft gleich dreimal, es sieht so aus, als gäbe es für ihn nichts Einfacheres. Er habe ihm gesagt, er müsse dahin gehen, wo es wehtue, erzählt Trainer Bo Henriksen, «sonst machst du kein Tor». Fussball kann manchmal einfach sein, selbst beim FCZ.
Sieben Monate liegt es zurück, dass die Zürcher in der Liga letztmals vergleichbar hoch gewannen. Damals fertigten sie Sion 5:1 ab. Seither haben sie im Letzigrund höchstens noch unentschieden gespielt, bis sich Servette bereitwillig ergibt. Das ist mit ein Grund, weshalb sie das Jahr als Tabellenletzter beenden.
Das Meisterjahr als Belastung
Sie sind in diesem Herbst tief gefallen. Über Monate erinnern sie nicht daran, dass sie in der vergangenen Saison über ihren Möglichkeiten spielten und im permanenten Rausch lebten. Da waren sie der Meister quasi aus dem Nichts. «Wir müssen aufhören, über die letzte Saison zu reden», sagt jetzt Antonio Marchesano. Er ist zu verstehen. Sie ist zu einer Belastung geworden, in vielerlei Hinsicht.
Der Trainer ging, der so grossen Anteil am Titel gehabt hatte. Spieler gingen, die so wichtig gewesen waren. Eine veränderte Mannschaft blieb zurück, die mit neuen Erwartungen und Belastungen konfrontiert wurde. Und ein Trainer kam, der keine Kopie seines Vorgängers sein sollte, der dann wegen seiner spröden, besserwisserischen Art auch keine Kopie war und genau darum zum Problem wurde.
Franco Foda schraubte alles auseinander, was André Breitenreiter aufgebaut hatte. Und machte Fehler, als er die Einzelteile wieder zusammensetzen wollte. «Glauben Sie mir», sagte er trotzdem einmal, «ich finde auch hier in die Erfolgsspur.»
Ja, er führte die Mannschaft in die Gruppenphase eines europäischen Wettbewerbs. Das hatte Canepa als erstes Ziel ausgerufen, weil es wirtschaftlich wichtig ist, um ein Defizit von rund 5 Millionen Franken zu decken. Brutto 5 bis 7 Millionen hat der Ausflug nach Europa abgeworfen.
Aber nein, in der Meisterschaft hinkte Foda den Vorgaben weit hinterher. Und so wurde am 21. September nach sechs Niederlagen in Folge ein Trainer entlassen, auf den Canepa im Sommer noch «ganz stolz» gewesen war, dass er ihn verpflichten konnte. Die Beziehung zwischen Trainer und Mannschaft war so kompliziert geworden, dass selbst von Bedeutung wurde, wen er wie beim Morgenessen grüsste.
Als Fodas Nachfolger grub der FCZ in Dänemark Bo Henriksen aus, «er entspricht dem Profil, das wir überarbeitet haben», sagte Canepa bei seiner Vorstellung. Im neuen Profil ging es auch um Energie, Optimismus, Lockerheit, Humor. Zumindest war Canepa so zu verstehen. Der Däne war dann sofort Happy Bo, aber als Positivdenker wirkte und argumentierte er überdreht. Die Spieler sollen bei ihm nicht einfach nur zusammenhalten, sondern gleich «füreinander sterben». Inzwischen hat er sich in dieser Beziehung abgekühlt. Schaden tut es nicht.
Canepa glaubt ans Potenzial
Gegen Servette spürt Henriksen den Stolz, die Energie und den Glauben, aus dieser Situation herauszukommen, das heisst, vom Tabellenende wegzukommen. In der Super League liegen die Mannschaften von ihrer Qualität her eng beisammen. Nur YB thront über allen. Dahinter ist ein Spiel wie zwischen dem FCZ und Servette, dem Letzten und dem Zweiten, typisch für die Ausgeglichenheit oder die Unberechenbarkeit der Liga.
Das ist auch ein Teil der Hoffnung für die Zürcher, ab dem 21. Januar eine fröhlichere Fortsetzung der Meisterschaft zu erleben. Vier Punkte liegen sie noch hinter dem FC Winterthur, das ist wahrlich keine Hypothek. «Mit Leistungen wie gegen Servette können wir jeden besiegen», sagt Henriksen. Aber ihm ist nicht entgangen, dass sie auch gegen jeden verlieren können, vor allem wenn sie so auftreten wie zum Beispiel eine Woche zuvor beim 0:2 in Lugano, so seelen- und führungslos.
Canepa ist vom letzten Auftritt des Jahres auch deshalb so begeistert, weil er ihn in seiner Meinung bestärkt, dass viel Potenzial in dieser Mannschaft steckt. Genau genommen hat er wiederholt gesagt, sie sei besser als die Ausgabe aus der Meistersaison. Das ist ihm immer wieder vorgehalten worden, gefühlt nach jeder Niederlage.
Er ist ein Präsident, der sich ungern eines Irrtums überführen lässt. Da ergeht es ihm nicht anders als vielen anderen. Henriksen und die Spieler sind nun in der Verantwortung, den dringenden Nachweis zu erbringen, dass sie so gut sind, wie der Chef denkt, und der Match gegen Servette keine Eintagsfliege gewesen ist.