219 Arbeitsstunden im Minus – der schwierige Spagat der Schweizer Matchwinnerin Fabienne Humm
Fabienne Humm hat die Schweizer Fussballerinnen am Dienstag an die WM 2023 geschossen. Sie ist eine unkonventionelle Fussballheldin.
Nicola Berger
12.10.2022, 17.47 Uhr
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Welch ein glückliches Händchen! Der Nationaltrainer Nils Nielsen war hartnäckig und hat Fabienne Humm zum Rücktritt vom Rücktritt aus dem Nationalteam bewogen – am Dienstag durften sie sich im Letzigrund nach Humms Siegestor über die WM-Qualifikation freuen.
Welch ein glückliches Händchen! Der Nationaltrainer Nils Nielsen war hartnäckig und hat Fabienne Humm zum Rücktritt vom Rücktritt aus dem Nationalteam bewogen – am Dienstag durften sie sich im Letzigrund nach Humms Siegestor über die WM-Qualifikation freuen.
Manuel Geisser / Imago
Bis um 1 Uhr feierte das Frauen-Nationalteam in der Nacht auf Mittwoch im VIP-Bereich des Letzigrunds die in extremis geschaffte WM-Qualifikation. Als ein Teil des Teams in die Stadt weiterzog, um den Triumph weiter zu begiessen, verabschiedete sich die Matchwinnerin nach Hause: Fabienne Humm, die im Play-off gegen Wales in der 121. Minute den erlösenden 2:1-Siegtreffer erzielt hatte, konnte sich keine rauschende Partynacht erlauben.
Dieses Tor bringt die Schweiz an die WM! #srfsport @nati_sfv_asf #SchweizerNati #srffussball #fussball pic.twitter.com/vmjE6ynsHK
— SRF Sport (@srfsport) October 11, 2022
Humm, 35, ist Captain des FC Zürich und Amateurfussballerin aus Überzeugung. Sie arbeitet mit einem 100-Prozent-Pensum als Kauffrau. Und musste am Mittwoch um 8 Uhr im Büro stehen. Es gab keine Möglichkeit, kurzfristig freizunehmen: Humms Zeitsaldo zeigt derzeit ein Minus von 219 Arbeitsstunden an, angehäuft durch ein kräftezehrendes Fussballjahr.
Da ist das Nationalteam, und da ist der FCZ mit Spielen auch im Europacup – am Mittwoch beginnt gegen Juventus Turin das Abenteuer Champions League. Als die Schweizerinnen im Sommer in England die EM bestritten, sass Humm manchmal im Hotelzimmer und arbeitete Pendenzen aus dem Arbeitsalltag ab.
Bis 17 war Fabienne Humm Torhüterin
Fabienne Humm würde sich nie darüber beklagen, sie hat das so gewollt. 2015 beispielsweise hätte sie Profi werden können, nachdem sie beim 10:1 gegen Ecuador an der WM in Kanada innert fünf Minuten einen Hattrick erzielt hatte und der Boulevard danach titelte: «Bumm-Bumm-Humm». Doch sie sagt: «Ich habe das nie gesucht. Ich weiss nicht, ob meine Leidenschaft für den Fussball die gleiche wäre, wenn es sich um meinen Job handeln würde. Beruf und Fussball, das sind zwei verschiedene Welten. Ich mag beide. Und ich habe beim FCZ alles, was ich brauche, um mein ganzes Potenzial abzurufen.»
Würde sie sich nicht wünschen, zehn Jahre jünger zu sein? Jetzt, wo die Dinge im Frauenfussball in Bewegung geraten sind und sich neue Möglichkeiten eröffnen. «Nein», sagt Humm, «ich bin sehr zufrieden damit, wie alles gelaufen ist und wo ich heute stehe.»
Humm hat viel erreicht im Fussball. Sie war neun Mal Schweizer Meisterin mit dem FC Zürich, vier Mal Torschützenkönigin, sie nahm an Endrunden teil. Und das, obwohl sie im FC Windisch bis 17 vor allem als Torhüterin spielte. Zur gefürchteten Mittelstürmerin machte sie erst der frühere Nationalliga-Fussballer Dorjee Tsawa als Trainer im FC Zürich. Eine ihrer Inspirationsquellen ist ihre ehemalige FCZ-Mitspielerin und heutige Trainerin Inka Grings.
Die Deutsche war einst eine Weltklasseangreiferin, Humm sagt: «Ich habe von ihr viel gelernt und tue es immer noch, gerade was Laufwege angeht.» Mit ihrem Ehrgeiz und ihrer Verbissenheit auf dem Platz sind sich Humm und Grings auch charakterlich nicht unähnlich.
Nils Nielsen hat Fabienne Humm ins Nationalteam zurückgeholt – und machte Konzessionen
Humms Treffer vom Dienstag im Letzigrund war der vielleicht wichtigste ihrer Karriere. Dabei hatte sie sich schon 2017 aus dem Nationalteam zurückgezogen. Als sie der 2019 eingesetzte Trainerstaff um Nils Nielsen und Marisa Wunderlin zur Rückkehr zu bewegen versuchte, sagte sie zunächst ab. «Mein Entscheid war getroffen. Aber die waren ziemlich hartnäckig. Und haben mir gesagt, dass mein Profil dem Team noch fehle. Ich war ziemlich skeptisch, schliesslich hatte ich zwei Jahre lang nicht mehr international gespielt. Aber dann bin ich mal zu einem Zusammenzug. Und habe dort gleich getroffen. Seit da bin ich wieder dabei», sagt Humm.
Wie Fabienne Humm ihr «Doppelleben» meistert.
Wobei es Einschränkungen gibt: Für Test-Länderspiele wird sie kaum je berücksichtigt. Es ist die Konzession des Verbandes an diese verdiente Spielerin, der die Zeit fehlt, um Partien ohne gesteigerte Bedeutung zu absolvieren. Sie sagt: «Wir wägen das immer von Fall zu Fall ab. Ich bin den Mitspielerinnen sehr dankbar, dass das so akzeptiert wird.»
Es ist nicht klar, ob der Nachfolger oder die Nachfolgerin des abtretenden Trainers Nielsen noch Verwendung für Humm haben wird. Auch wenn es nach dem Wales-Spiel seltsam wäre, jene Spielerin nicht an die WM nach Australien und Neuseeland mitzunehmen, die diese Reise überhaupt erst ermöglicht hat.
Humm sagt: «Ich bin jetzt 35 und weiss nicht, wie lange ich noch weiterspiele. Mein Vertrag beim FCZ läuft bis 2023. Solange ich ab und zu ein Tor schiesse und man mich dabeihaben will, stehe ich gerne zur Verfügung. Aber ich kann mir bewusst, dass meine Karriere im Klub und in der Nati irgendwann vorbei ist.»
Was das Nationalteam angeht, glaubte sie schon vor fünf Jahren, ihre Zeit sei abgelaufen. Am Dienstag lieferte Humm den eindrücklichen Gegenbeweis.
Bildung kommt von Bildschirm, nicht von Büchern. Sonst würde es ja Buchung heissen.