Beitragvon schwizermeischterfcz » 17.08.22 @ 20:02
Was ist los beim FCZ? Wie der Meister den Umbruch unterschätzt hat
Der erschreckend schwache Auftritt in Winterthur am Sonntag hat die Verunsicherung im FC Zürich offengelegt. Und der neue Trainer Franco Foda steht nach dem Fehlstart bereits erheblich unter Druck.
Fabian Ruch
17.08.2022, 16.30 Uhr
Was ist eigentlich erstaunlicher: der FCZ-Meistertitel im vergangenen Frühling – oder Rang 10 des FC Zürich nach fünf Spieltagen in der neuen Saison?
Nach einem Jahr wie in einem Märchen ist der FCZ zurück in der Realität. Der über weite Strecken desolate Auftritt des FC Zürich am Sonntag beim FC Winterthur gab den Verantwortlichen zu denken. Der Präsident Ancillo Canepa sagte nach dem 1:1 beim Aufsteiger, die erste Halbzeit sei etwas vom Schlechtesten gewesen, was er in den letzten Jahren erlebt habe.
Hat der FCZ den Einfluss des Meistertrainers unterschätzt?
Im Grunde genommen steht der FC Zürich nun dort, wo ihn nicht wenige Beobachter vor einem Jahr erwartet hatten. Von vielen als Abstiegskandidat gehandelt, steigerte sich das Team in einen Rausch, geleitet und gestützt vom neuen Trainer André Breitenreiter, der nach dem Titelgewinn in die Bundesliga zu Hoffenheim weiterzog. Womöglich hat der FC Zürich den Einfluss Breitenreiters unterschätzt – und ganz generell den Umbruch in diesem Sommer.
Vor der Saison antwortete Canepa auf die Frage, ob das Team schlechter, gleich gut oder besser besetzt sei als vor einem Jahr, in seiner unvergleichlichen Begeisterung mit: «Besser!»
Natürlich fliegt Canepa diese Aussage nun um die Ohren. Und vielleicht sagt sie mehr über den FC Zürich aus, als ihm lieb sein kann. Weil sie offenlegt, dass sich der Klub zu sicher, zu stark, zu gefestigt fühlte. Was aber keineswegs heisst, dass die Aussage unüberlegt war.
Der FCZ verlor mit Ousmane Doumbia (zu Lugano) und Assan Ceesay (zu Lecce) zwar zwei Schlüsselspieler, aber er verpflichtete mit den Mittelfeldspielern Ole Selnaes und Cheick Conde sowie den Offensivkräften Ivan Santini, Jonathan Okita und zuletzt Donis Avdijaj und Bogdan Viunnyk sechs interessante Fussballer. Das schafft auch Breite im Kader für das strenge Programm in dieser Saison.
Der FCZ wählte eine riskante Transferstrategie
Doch die Entscheidungsträger haben bei den Transfers zumindest kurzfristig eine riskante Strategie verfolgt. Die international erfahrenen Selnaes und Santini erschienen nicht in Topverfassung in Zürich, ihnen fehlte die Spielpraxis. Sie benötigen Zeit, um in Form zu kommen. Conde und Viunnyk sind junge, talentierte Fussballer, die kaum sofort Verantwortung übernehmen können. Avdijaj wiederum wurde erst Anfang August verpflichtet. Und Okita hat ebenfalls vielversprechende Anlagen, doch auch er kennt als Ausländer wie die anderen fünf FCZ-Zugänge Land und Liga nicht.
Seltsam ist auch, dass der FCZ mit dem Deutschen Franco Foda einen Trainer unter Vertrag genommen hat, der ausser der Nationalität keinerlei Gemeinsamkeiten mit dem Vorgänger André Breitenreiter hat. Foda hat die Spieler mit seinem Aktionismus in den ersten Wochen überfordert, am Sonntag in Winterthur wirkte er ratlos, die Verunsicherung im Team nach den ständigen personellen und taktischen Veränderungen war spürbar.
Defensivstützen wie Fidan Aliti und der Abwehrchef Mirlind Kryeziu leisteten sich Aussetzer, wie man sie letzte Saison nie gesehen hat. Die im Meisterjahr überragenden Aussenspieler Adrian Guerrero und Nikola Boranijasevic blieben blass. Antonio Marchesano fühlte sich als Stürmer neben Santini nicht wohl. Der begnadete Techniker ist deutlich stilprägender, wenn er als Regisseur aufgestellt wird.
Marchesano war am Sonntag in Winterthur ein Sinnbild für die spielerische Tristesse beim FCZ. Und der Routinier Blerim Dzemaili mit seiner Körpersprache die Symbolfigur für die Unzufriedenheit im Team. Dzemaili lamentierte, verwarf die Hände, reagierte sich mit einem groben Frustfoul ab, musste wieder zu viele Dinge selber regeln – wie in der verkorksten Rückrunde der vorletzten Saison.
So hat sich der 36-Jährige das letzte Jahr seiner beeindruckenden Karriere nicht vorgestellt. Nach dem Spiel sagte Dzemaili, es laufe einfach nicht, der FCZ habe grosse Mühe mit dem Ball.
Und so steht der Trainer Foda früh in der Kritik. Selbst beim emsigen, aber sehr limitierten FC Winterthur war der FCZ unterlegen, nur dank zwei Fehlern des Aufsteigers gelang dem Meister in der Schlussphase nach 445 Minuten das erste Ligator durch den Mittelfeldspieler Fabian Rohner. Die Bilanz in der Super League ist mit zwei Punkten aus fünf Spielen und 1:10 Toren kläglich, und viel mehr als Durchhalteparolen sind vom Trainer nicht zu vernehmen.
Foda sagte, der FCZ befinde sich momentan auf einem «Weg der kleinen Schritte». Als Meister, der doch gerade erst auf einem Trip der grossen Sprünge unterwegs war.
Der FCZ reagiert auf dem Transfermarkt, YB antizipiert
Der Captain Yanick Brecher sagte in Winterthur, es sei in der Pause in der FCZ-Kabine sehr laut geworden. «Wir haben alles vermissen lassen, den Kampf, die Leidenschaft, den Biss. Das Beste war noch das Resultat, aber wir dürfen uns davon nicht blenden lassen.»
In dieser misslichen Verfassung – und mit nur zwei Siegen gegen die Halbprofis des Linfield FC aus Nordirland in neun Pflichtspielen – geht der FC Zürich am Donnerstag ins Hinspiel der Europa-League-Play-offs zu Hause gegen den schottischen Vertreter Heart of Midlothian. Immerhin steht er bereits mindestens in der Gruppenphase der Conference League, was finanziell lukrativ ist. Im Herbst aber wird der FCZ mit der Zusatzbelastung besser umgehen müssen.
Weiterhin gefordert ist der Klub auf dem Transfermarkt. Der Stürmer Willy Gnonto und der Verteidiger Becir Omeragic sind noch immer nicht verkauft. Ihre Verträge laufen im Sommer 2023 aus, und der FC Zürich kann es sich nicht leisten, nach Doumbia und Ceesay auch seine zwei wertvollsten Fussballer ablösefrei zu verlieren.
Man hat den Eindruck, dass der FCZ auf dem Transfermarkt bloss reagiert, während die Young Boys mögliche Abgänge frühzeitig antizipieren. Am Dienstag gab der Berner Klub die Verpflichtung des Servette-Talents Kastriot Imeri bekannt. Das ist ein Coup, zumal der überzeugende YB-Mittelfeldspieler Fabian Rieder spätestens im nächsten Sommer in eine Topliga wechseln dürfte.
Imeri steht wie die Sommerzugänge Filip Ugrinic, Loris Benito, Cedric Itten und Kevin Rüegg im erweiterten Kader der Schweizer Nationalmannschaft. Sie kennen Land und Liga.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass auch der FC Basel unerwartet schwach in die Saison gestartet ist. Der FCB geht auf dem Transfermarkt ebenfalls nicht so fokussiert wie YB vor, eher wie in einer virtuellen Fussball-Simulation. Die Basler holen jede Menge talentierte Spieler, an den Stürmern Zeki Amdouni (von Lausanne) und Bradley Fink (von Dortmund) war auch der FC Zürich interessiert. Am nächsten Spieltag treffen Zürcher und Basler im Letzigrund aufeinander – es sind ausser dem FC Winterthur die einzigen Teams ohne Saisonsieg.
Wer hätte das erwartet? Und ist das eigentlich erstaunlicher als die Entwicklung des langjährigen FCZ-Sorgenkinds Assan Ceesay in den letzten zwölf Monaten? Der Stürmer traf am Samstag am ersten Spieltag der Serie A gegen das grosse Inter Mailand bei der unglücklichen 1:2-Niederlage Lecces mit seiner ersten Torchance eiskalt.