Beitragvon Simon Le Bon » 05.12.21 @ 11:29
Tages-Anzeiger:
Aufgefallen bei FCZ – Luzern – Tosin meldet sich zurück – und die Südkurve ist mal kurz weg
Aufgefallen bei FCZ – Luzern
Tosin meldet sich zurück – und die Südkurve ist mal kurz weg
Warum der FC Zürich kein Zufallsleader ist. Wie Videos Tore bringen. Und warum wir einen völlig unauffälligen Spieler besingen.
Florian Raz
Publiziert heute um 10:17 Uhr
16 Ligaspiele verpasst er wegen einer Fussverletzung. Während Aiyegun Tosin an seiner Genesung arbeitet, verwandelt sich der FC Zürich so sehr vom Zauder- zum Zauberteam, dass der Nigerianer fast ein wenig vergessen geht. Jetzt ist er früher als erwartet zurück. Und plötzlich erinnert man sich wieder, warum der Offensivmann in Zürich mal die ganz grossen Fantasien angeregt hat: Er ist explosiv, er sucht die Tiefe und den schnellen Abschluss.
Und er ist bei seinem ersten Einsatz als Startspieler seit seiner Verletzung im Mai vor allem immer zur Stelle, wenn sich der FC Luzern mal wieder selbst bestraft. Kaum ist das Spiel angepfiffen, da erläuft er sich einen miserablen Querpass des Luzerners David Domgjoni und trifft nach 87 Sekunden zur Zürcher Führung. Es ist ein Schuss, den FCL-Goalie Marius Müller in bessern Tagen auch mal hält. Aber nicht an diesem Abend, an dem die Zentralschweizer auftreten wie ein Absteiger.
Keiner piesackt die bedauernswerten Gäste so sehr wie Tosin. Beim 2:0 wird er von Müller angeschossen und legt dann für Antonio Marchesano auf, der nach sechs Spielen ohne Torerfolg mit dem Ball unter dem Trikot darauf aufmerksam machen darf, dass er im Mai zum zweiten Mal Vater wird. Und dann erzielt Tosin mit seiner letzten Aktion des Abends auch noch das 4:0.
Noch reicht Tosins Kraft nicht für 90 Minuten. Aber das muss sie auch gar nicht. Denn aus dem FCZ der letzten Saison, der sich händeringend nach einem treffsicheren Stürmer gesehnt hat, ist unter André Breitenreiter ein Team mit ungeahnter offensiver Power geworden.
Da sind ja noch Marchesano und der diesmal eher diskrete Assan Ceesay. Für Tosin kommt Wilfried Gnonto, der Siegtorschütze des YB-Spiels, und trifft den Pfosten. Akaki Gogia sitzt seit Wochen nur auf der Bank. Dem Torschützenkönig der letzten Challenge-League-Saison, Rodrigo Pollero, reicht es nicht einmal zum Aufgebot. Und falls Breitenreiter auch noch Blaz Kramer erklärt, wo das Tor steht und wie man es treffen könnte, müsste es der nationalen Konkurrenz noch mehr bange werden als jetzt schon.
Fabian Sander – Mann mit Blick für Schwächen
So sieht es aus, wenn die Arbeit von Video-Analysten umgesetzt wird: Mirlind Kryeziu nutzt die Tatsache, dass Luzern viel Mann- und wenig Raumdeckung betreibt.
So sieht es aus, wenn die Arbeit von Video-Analysten umgesetzt wird: Mirlind Kryeziu nutzt die Tatsache, dass Luzern viel Mann- und wenig Raumdeckung betreibt.
Häufig klingt es ja furchtbar bemüht. Da steht ein Fussballer, der sich doch auch einfach mal darüber freuen dürfte, dass er ein Tor geschossen hat. Stattdessen dankt er lieber der Grosstante des Materialwarts, weil die mal gesunde Rüeblimuffins mitgebracht hat – und «dem ganzen Staff» ja sowieso.
Aber manchmal weiss der Spieler einfach, dass er seinen Treffer ohne die Hilfe der Heinzelmännchen im Hintergrund niemals erzielt hätte. Und dann ist es eben doch ganz nett, wenn einer einfach mal «Danke» sagt. Wie Mirlind Kryeziu nach seinem Kopfball zum 3:0 in der 20. Minute.
Es ist eine Eckballvariante, mit der die Zürcher die Luzerner Abwehr überfordern. Und das absolut gezielt, wie Kryeziu danach verrät: «Unser Video-Analyst hat uns gesagt, was wir ausnützen könnten.» Fabian Sander heisst der Mann, kommt aus einer Stadt mit dem wunderbaren Namen Quedlinburg. Auf der clubeigenen Website stellt er sich mit dem Satz vor: «Wenn du gewinnst, wirst du glücklich sein; wenn du verlierst, wirst du klüger sein.»
Wie viel klüger sich die Luzerner derzeit fühlen, ist nicht bekannt. Sander aber steht für einen FCZ, der momentan auf ganz vielen Ebenen gut aufgestellt zu sein scheint. So, dass er eine Woche nach der Abwehrschlacht gegen Meister YB gegen den Tabellenletzten aus Luzern scheinbar mühelos auf offensives Pressing umstellen kann. Und das, obwohl Cheftrainer Breitenreiter erst auf das Spiel hin aus seiner Corona-Quarantäne entlassen wird.
So sind Sanders Vorarbeit und Kryezius Vollendung einfach ein Zeichen mehr, dass der FCZ mehr ist als ein Zufallsleader der Super League. Auch wenn die Zürcher weiter beim Phrasenschwein bleiben, wenn Kryeziu sagt: «Wir nehmen weiter Spiel für Spiel.»
Fidan Aliti – alles, was der FC Luzern nicht ist
Vermutlich sollten hier andere besungen werden. Adrian Guerrero vielleicht, der Flankengeber zum 3:0, der Kilometer um Kilometer abspult und irgendwie überall auf dem Feld zu finden ist. Hinten links bei der Abwehrarbeit und vorne in der Mitte beim Torschuss. Antonio Marchesano, der das Zürcher Spiel mit einer Fussbewegung derart beschleunigen kann, dass Luzern das Augenwasser bekommt. Oder Becir Omeragic, der sich aus einer leichten Schaffenskrise gearbeitet hat und dessen Herbstspaziergänge mit Ball in die gegnerische Platzhälfte eine Eleganz ausstrahlen, die einem Innenverteidiger eigentlich gar nicht zusteht.
All das kann Fidan Aliti an diesem Abend nicht bieten. Er ist einfach ein weiteres Mal grundsolide. Da werden keine Pirouetten gedreht und keine Weitschüsse versucht. Da gibt es keine Ballverluste und keine Stellungsfehler. Der Innenverteidiger macht einfach, was getan werden muss. Mal räumt er hinter Tosin auf wie ein routinierter Vater hinter seinem Kind, das seine Spielzeuge im Wohnzimmer verstreut. Mal steht er einfach im Passweg eines Luzerner Konters.
Ehrliche Arbeit, nüchtern und gut verrichtet, ohne jedes Bling-Bling. Und während man so zuschaut, denkt man: Fidan Aliti ist alles, was der FC Luzern derzeit nicht ist.
Die Südkurve – stiller Protest
Es sind 37 Minuten gespielt, als es plötzlich ruhig wird im Letzigrund. Die Menschen in der Südkurve ziehen sich von ihren Plätzen zurück. Die Gästefans aus Luzern tun es ihnen auf der anderen Seite des Stadions gleich. Es ist ein stiller Protest gegen personalisierte Tickets, die auf die kommende Saison in der Super League eingeführt werden sollen, wenn es nach dem Willen der Konferenz der kantonalen Polizeidirektorinnen und -direktoren geht.
Die Südkurve hat ihren Anteil daran, dass diese schon öfters diskutierte und stets wieder verworfene Massnahme wieder im Aufwind ist. Der Angriff auf die GC-Kurve im Derby war die Chance für Repressionsbefürworter, wieder Druck aufzusetzen. Das Thema wird Liga, Polizei, Politik, Clubs und Kurven noch lange beschäftigen.