Aus der NZZ
Weshalb der Schweizer Klubfussball dem FCZ-Präsidenten Ancillo Canepa das Vertrauen entzogen hat
Die Generalversammlung der Swiss Football League gebar letzte Woche eine Überraschung: Der Chef des FC Zürich erhielt nur 6 von 20 Klubstimmen und muss die Ligaführung verlassen. Canepas Nähe zum früheren Liga-Präsidenten Heinrich Schifferle wurde am Ende zur Last.
Peter B. Birrer
27.11.2021, 05.00 Uhr
Endlich eine Frau? Nein, der Schweizer Klubfussball stellt sich quer. Also weiterhin keine Frau in der geschlossenen Männerwelt.
Die Unternehmerin und frühere Fussballerin Kathrin Lehmann sollte letzte Woche ins Führungskomitee der Swiss Football League gewählt werden, als neutrale Person, die mit keinem Klub verbandelt ist. Doch sie unterlag dem Zürcher FDP-Politiker Urs Egger mit 9 zu 11 Stimmen. Für Egger hatte sich GC starkgemacht, für Lehmann das Komitee, was in der aktuellen Stimmungslage sogar ein Nachteil gewesen sein könnte. Denn die knappe Nichtwahl Lehmanns blieb nicht die einzige Überraschung an der Liga-Versammlung, an der die 20 Klubs der höchsten beiden Fussballligen Weichen stellen.
Am Ende des Wahlreigens erhielt Ancillo Canepa, seit 2008 im Komitee und für die Finanzen zuständig, lediglich 6 von 20 Stimmen – der langjährige Präsident und Geldgeber des FC Zürich wurde krachend abgewählt. Der YB-CEO Wanja Greuel holte 17 Stimmen, Matthias Hüppi, der Präsident des FC St. Gallen, deren 16, und der FC Basel brachte seinen neuen Besitzer und Vizepräsidenten David Degen mit 12 Voten durch. Degen polarisiert und muss sich als Funktionär erst beweisen. Trotzdem wird er Canepa vorgezogen, in einem Ausmass, das viele nicht für möglich gehalten haben.
Etwas ist aus der Sicht Canepas schiefgelaufen. Die Generalversammlung der Swiss Football League wurde zum Misstrauensvotum gegen ihn, gegen «Cillo», wie er von vielen genannt wird.
Lobrede auf Schifferle
Bände spricht, dass Ancillo Canepa an besagter Liga-Versammlung – vor seiner Abwahl – die Laudatio auf den nach zehn Jahren abtretenden Liga-Präsidenten Heinrich Schifferle hielt. Das Duo steuerte das Komitee nach Belieben. Canepa ist auch der erste Lobbyist, wenn es darum geht, den Rechtsfall schönzureden, mit dem Schifferle wegen eines seit Jahren dauernden Konflikts mit einem früheren Arbeitgeber konfrontiert ist.
Pikant daran ist, dass es auch in zweiter Instanz um ein Urteil wegen «mehrfacher ungetreuer Geschäftsbesorgung» geht. Schifferle vermochte sich im Amt zu halten, als wäre nichts geschehen. Er hätte sogar weitergemacht und zog sich erst zurück, als er merkte, wie viel Gegenwind ihm um die Ohren pfeift.
Zur bemerkenswerten Ausdauer Schifferles trug auch das Klima der Verharmlosung bei, von dem das Komitee erfasst war. Augen schliessen, durchwinken, Gerichtsurteile nicht beachten. Nicht einmal den Ausstand in Erwägung ziehen. Die Funktionärskaste des Fussballs funktioniert nach eigenen Regeln. Schifferle wurde von der Liga zum Ehrenpräsidenten ernannt.
Die Akte Schifferle ist auch darum komplex, weil Medienhäuser wie Ringier oder Tamedia aus unterschiedlichen (Abhängigkeits-)Gründen wegschauten. Doch sein Rücktritt wurde unausweichlich, nachdem er 2019 mit 18 von 20 Stimmen (2 Enthaltungen) wiedergewählt worden war. Zu jenem Zeitpunkt lag ein erstinstanzliches Urteil vor. Schifferle ist ein exzellenter Netzwerker, er weiss, wie man sich neu ausrichtet, wie man Macht zementiert. Canepa war der Betonmischer.
Canepa ist die Nähe zu Schifferle zum Verhängnis geworden. Solches vermuten selbst Stimmen, die ihn gewählt haben und den Abgang «als grossen Kompetenzverlust für den Schweizer Fussball» werten. Canepa habe «grösste Verdienste» um den FC Zürich, man könne nicht hoch genug wertschätzen, was er für den FCZ investiere, emotional, ökonomisch. So äussern sich viele Personen im Schweizer Fussball, bevor sie zum «Aber» übergehen. Aber Canepa lebe «in seiner FCZ-Welt», habe Schifferle im Komitee «aus der Hand gefressen» und sei schliesslich ein Finanz-, aber kein Fussballfachmann.
Es kursiert eine Schilderung, wonach Canepa vor ein paar Wochen wie ein trotziger Bub aus einer Komitee-Sitzung gelaufen sei, weil er sich übergangen gefühlt habe, als Neuerungen diskutiert worden seien. Neue Freunde schaffte er sich damit nicht, prompt folgten Anspielungen auf Napoleon. Am Ende verliess den von Emotionen geleiteten Canepa der Instinkt dafür, wie sich die Kräfteverhältnisse entwickelten, wie sie zu kippen begannen.
Sechs Stimmen kommen für Canepa einer Abstrafung gleich. In einer kurzen Verlautbarung nimmt Canepa das Abstimmungsresultat «auch mit einem lachenden Auge zur Kenntnis», weil ihm jetzt wieder mehr Zeit für den FCZ zur Verfügung stehe. Natürlich ist der Abgang für Canepa kein Untergang, aber das ihm entgegenschlagende Misstrauen schmerzt ihn gleichwohl.
Auch Collet abgewählt
Dass ein neues Kapitel aufgeschlagen und eine Seilschaft zerschlagen wurde, zeigt die Tatsache, dass neben Canepa auch Jean-François Collet abgewählt wurde. Der Xamax-Besitzer kandidierte 2019 als Vertreter der Liga erfolglos für das Präsidium des Schweizerischen Fussballverbands (SFV). Collet sagt: «Die Liga hatte Lust auf etwas Neues, wollte neue Köpfe. Solche Wahlen sind immer auch Politik mit wechselnden Allianzen.» Zum Verhängnis wurde auch ihm die Nähe zu Schifferle, dessen ist sich Collet bewusst.
Schifferle weg, Canepa, Collet ebenfalls. Wer bleibt und noch mehr in die exekutive Verantwortung rücken wird, ist der CEO Claudius Schäfer.
In der Ära Schifferle rankten auch Gerüchte um die Entschädigung des Präsidenten. Für Schäfer und Schifferle muss die verhältnismässig kleine Liga dem Vernehmen nach jährlich 500 000 Franken aufbringen. Vor Schifferle lag die (Teilzeit-)Entschädigung des Präsidenten bei ungefähr 150 000 Franken. Der neue Liga-Präsident Philipp Studhalter wird weniger ins operative Geschäft eingreifen, weil das Komitee künftig mehr kontrollierend tätig ist – einem Verwaltungsrat gleich. Doch weil ein anforderungsreiches Halbjahr ansteht, in dem die Erweiterung der obersten Spielklasse umgesetzt werden soll, wird der Präsidentenlohn zunächst nicht reduziert.
Corona setzt die Swiss Football League einem Stresstest aus, den Schifferle, Schäfer und Canepa vorzüglich bestanden haben. Dennoch ist die ökonomische Lage quer durch die Liga mit ihren zuvor schon meist defizitären Klubs angespannt. Der neue Vermarktungsvertrag (Urheberrechte TV und Marketing) geht von 39,6 auf 35,8 Millionen Franken pro Jahr zurück, wie dem SFL-Jahresbericht zu entnehmen ist. Minus 10 Prozent. Der Verlust hat sinkende Rangprämien in den obersten beiden Ligen zur Folge.
Die (Corona-)Zeiten sind steinig. Weniger Erlöse aus dem Billettverkauf, weniger Transfergelder, weniger Rangprämien. Die Liga ist gefordert, mit welcher Führung auch immer.