Beitragvon Battle Axe » 27.05.04 @ 6:17
Tages-Anzeige, 26.05.2004
Marc Zollinger und Philipp Mäder
DIE SCHWEIZ KÖNNTE DIE EM 2008 VERLIEREN
Keine gewagte Prognose: Das Stadion wird im Jahr 2008 nicht gebaut sein. Was bedeutet das für Zürich? Und für die EM?
Die Credit Suisse will Anfang Juni entscheiden, ob sie das Stadion auf die EM 2008 hin baut oder das Projekt sistiert, bis die Gerichte einen rechtsgültigen Entscheid gefällt haben. Eigentlich könnte sie schon heute abwinken: Nur noch grösste Optimisten glauben ernsthaft, dass die Zeit reicht. Bis Anfang Juni müssten alle Rekurse bereinigt sein. Doch die Anwohner und der VCS werden ihre Rechtsmittel kaum zurückziehen. Spielraum für Verhandlungen gibt es nicht; und das Verwaltungsgericht wird mehr als einen Monat brauchen, um die Rekurse zu bearbeiten. Einzig der Fall von Robert Wolfer - dem dritten Rekurrenten, der seine Rechtsschrift vor drei Wochen eingereicht hat - könnte bald abgeschlossen sein. Das Gericht wird vermutlich am 10. Juni über den von ihm kritisierten Schattenwurf befinden. Wolfer hat stets beteuert, nicht bis vor Bundesgericht zu gehen.
«Wir müssen sehr vorsichtig sein»
Trotz der klaren Ausgangslage geht man beim Schweizerischen Fussballverband immer noch davon aus, dass es Zürich schafft. Zumindest lautet so die offizielle Sprachregelung. «Wir glauben noch daran», sagt Pressesprecher Pierre Benoit. Gleichwohl arbeitet der Verband hinter den Kulissen längst an alternativen Szenarien. Dabei geht es in erster Linie darum, einen Ersatz für Zürich zu finden. Es wäre zwar nicht schwierig, die drei Zürcher Spiele auf die anderen drei Schweizer Stadien zu verteilen, allenfalls auch auf die vier Spielstätten in Österreich. Doch damit würden die Organisatoren ein Risiko eingehen: In der Vereinbarung mit der Uefa haben sie sich verpflichtet, die Spiele in acht Stadien durchzuführen. Sind es nur sieben, könnte der europäische Fussballverband den Schweizern und Österreichern die rote Karte zeigen und die Spiele an ein anderes Land vergeben. Benoit hält dies für «nicht wahrscheinlich», aber immerhin für theoretisch möglich. Letztlich müsste darüber das Exekutivkomitee der Uefa entscheiden, das aus Exponenten von 52 Verbänden besteht. Gemäss Benoit könnten starke Fussballnationen wie Italien, Spanien oder England ohne Probleme einspringen. Denkbar sei auch, dass Österreich mit Ungarn zusammenspannt. «Wir müssen schon sehr vorsichtig sein.»
Alternativen zu Zürich gäbe es, doch diese scheinen nicht besonders realistisch zu sein. Der Verband führt Gespräche in diversen Schweizer Städten, in denen neue Stadien geplant sind: St. Gallen, Aarau, Neuenburg oder Martigny.
«Wir würden uns sehr geehrt fühlen», sagt Hans Hurni, Präsident der Stadion AG in St. Gallen. Doch um an der EM teilzunehmen, müsste das neue Stadion um 10 000 auf 30 000 Plätze erweitert werden. «Uns fehlt das Geld dazu, und wir müssten den Überbauungsplan nochmals auflegen, was erneut zu Verzögerungen führen kann.»
Auch Christian Stebler, Verwaltungsratspräsident des Aarauer Mittelland-Parks, winkt ab: «Unser Bau ist für 12 500 Zuschauer konzipiert.» Eine Absage erteilt auch Neuenburg. Das Stadion, das 2007 in Betrieb gehen soll, sei mit seinen 15 000 Plätzen zu klein und könne nicht aufgestockt werden, sagt ein Sprecher des FC Xamax. Eine Alternative wäre die geplante Arena von Sion-Präsident Christian Constantin in Martigny. Dieser setzt alles daran, sein Stadion bis 2007 fertig zu bauen. Falls er die Zürcher EM-Spiele erbt, will er es mit 30 000 Plätzen bauen. Doch auch der forsche Constantin verfügt noch nicht über eine rechtskräftige Baubewilligung.
Ähnlich schwierig wie in der Schweiz ist die Situation in Österreich. Auch dort gibt es kein zusätzliches Stadion, das über die notwendige Anzahl an Sitzplätzen verfügt.
Schafft es Zürich nicht, das Stadion rechtzeitig auf die EM bereitzustellen, hätte das Folgen für die Stadt: «Der Imageverlust wäre enorm», sagt Christian Kern, Geschäftsführer des Basler Stadions. Weil Zürich die wichtigste Stadt der Schweiz sei, müssten dort auch Spiele stattfinden. Laut Jürgen Müller, EM-Verantwortlicher der Uefa, ist in der Geschichte des Turniers solch ein Missgeschick noch keinem Land passiert. Ausgerechnet das potente Zürich wäre die Ausnahme.
Wie viel Geld geht der Stadt verloren?
Ein Aus für Zürich hätte auch finanzielle Folgen. Wie viel Geld wegen der EM in der Stadt eingenommen würde, ist heute schwer abzuschätzen. Der Fussballverband wird im Juni an einer Medienkonferenz eine Wertschöpfungsanalyse für alle vier Schweizer Städte vorstellen.
Finden in Zürich keine Spiele statt, hat die Stadt laut Heinz Rütter, dem Verfasser der Studie, vor allem bei den Übernachtungen der Fussballfans mit «substanziellen Verlusten» zu rechnen. Betroffen wären auch die umliegenden Kantone, die eine grosse Zahl an Besuchern aufnehmen werden.
Zürich würde allerdings nicht leer ausgehen, da es im nahen Basel zu wenig Hotelzimmer gibt. Mit 4000 Zimmern beträgt die Kapazität in der Region Basel lediglich ein Drittel derjenigen von Zürich. Mehrere Tausend Fussballtouristen, so schätzt Rütter, würden in Zürich übernachten. Wegen ihrer verkehrstechnisch ausgezeichneten Lage ist die Stadt auch für Besucher anderer Schweizer Stadien attraktiv. Klar ist gemäss dem Rüschliker Fachmann für Wirtschaftsstudien zudem, dass im Kanton mindestens eine der Fussballmannschaften logieren wird. Auch Verbandsfunktionäre würden die Region als Ausgangspunkt wählen. Und in einem Punkt würde Zürich sogar Geld sparen: Es müsste keine Polizei aufgeboten werden, um die Sicherheit rund um die Spiele zu garantieren.
Kein Stadion, keine Werbung
Finden hier keine Spiele statt, entfällt auch die Werbung für Zürich als Fussballstadt. Bei internationalen Spielen sendet das Fernsehen weltweit Trailer über die Austragungsorte und Stadien, Zeitungen drucken Reiseberichte ab. Das sei gut fürs Image einer Stadt, sagt Rütter. Müsste Zürich diese Werbung selber bezahlen, würde sie das teuer zu stehen kommen.