Aus der NZZ:
«Die Fussball-Legende der Woche»: Titan, Techno-DJ und TV-Experte – Daniel Gygax hat sich alles «gegeben»
Daniel Gygax, Klub-Ikone des FC Zürich, bleibt wegen seiner Eigenwilligkeit in Erinnerung. Heute will er den FCZ-Junioren als Coach Raum für ihre Individualität lassen.
Benedikt Koller
05.08.2021, 14.15 Uhr
Als Daniel Gygax einst gefragt wurde, wie ein Trainer sein müsse, sagte er: «Er muss mich so lassen, wie ich bin. Das ist das Wichtigste. Ein Trainer soll nicht versuchen, einen Spieler zu verändern.»
Hat ein Trainer ihn je verändert?
Aufgewachsen im aargauischen Gebenstorf, wechselte Gygax 1998 vom FC Baden in die Juniorenabteilung des FC Zürich, nach wenigen Monaten debütierte der Teenager unter dem Coach Raimondo Ponte im Fanionteam. Als seine Entwicklung stagnierte, wurde er zuerst nach Winterthur in die Nationalliga B, später an den Liga-Konkurrenten FC Aarau ausgeliehen.
Challandes den Nerv geraubt
Im Mai 2002 war Gygax Teil des erfolgreichen U-21-Nationalteams, das an der Heim-EM bis in die Halbfinals vorstiess. Die Jungspunde um die Leader Alex Frei und Ricardo Cabanas gingen als «Titanen» in die jüngere Fussballgeschichte ein, weil sie auf dem Platz eine furios kämpfende Einheit bildeten. Und auch daneben waren sie ziemlich draufgängerisch.
Ihren Trainer Bernard Challandes hätten sie damals öfters zum Verzweifeln gebracht. So erzählte es Gygax nach dem Karriereende dem «Blick». Um ausgehen zu können, schlichen sich einige von ihnen während der EM-Qualifikation 2002 über das Kiesdach aus dem Teamhotel. Challandes habe manchmal die ganze Nacht in der Hotellobby gewartet, bis die Spieler zurückkamen. «Ihr raubt mir den letzten Nerv, ich kann nicht mehr», soll er einmal gesagt haben.
Der FCZ hatte Gygax noch vor der U-21-EM zurückgeholt. Bald begann sein Aufstieg zum Publikumsliebling. Im Stadtklub avancierte der mit viel Intuition begabte, flinke Flügel zum Stammspieler, 2004 wurde er Nationalspieler (35 Länderspiele), in der Südkurve war keiner so beliebt wie er. Der Grund? Gygax war nie bloss ein angepasster, allein auf Topleistungen bedachter Fussballprofi. Zu zugeneigt war er dem Allzumenschlichen.
In den Industriehallen Zürichs legte er nebenbei harten Techno auf. DJ Gygax kannte die FCZ-Fans – und sie kannten ihn. Weil sie ihn nicht nur auf dem Letzigrund-Rasen kicken sahen, sondern mit ihm in ihrer Stadt feierten, manchmal bis spät in die Nacht hinein. So etwa nach dem Cup-Sieg 2005, dem Höhepunkt von Gygax’ Ära im FCZ, die er rückblickend als die intensivste Zeit seiner Karriere bezeichnete. Dass Gygax am besten ist, wenn er gelassen wird, wie er ist, hat vielleicht keiner so gut verstanden wie der damalige FCZ-Coach Lucien Favre.
Nach dem Cup-Sieg 2005 verliess Gygax den FCZ und ging ins Ausland, 23 Jahre alt war er damals. Beim Abschied sagte ihm der Präsident Sven Hotz, er könne jederzeit zum FC Zürich zurückkommen. Gygax wechselte zunächst zum OSC Lille, dann nach Metz und später zum 1. FC Nürnberg, dem er 2008/09 zum direkten Wiederaufstieg in die Bundesliga verhalf.
In der folgenden Bundesligasaison kam er nie über die Rolle des Ergänzungsspielers hinaus, und als seine Frau zum ersten Mal schwanger wurde, wollte Gygax in die Heimat. «Für mich war immer klar, dass ich zum FCZ zurück wollte, falls ich in die Schweiz zurückkehren würde. Der Kontakt zu Fredy Bickel war nie abgerissen, und es fanden auch Gespräche statt», sagt er heute. Doch die Klubführung hatte damals andere Pläne, in denen Gygax nicht vorgesehen war, «die Konstellation stimmte einfach nicht», sagt Gygax.
Deshalb unterschrieb er schweren Herzens beim FC Luzern. Dort bildete er mit Hakan Yakin und Nelson Ferreira ein starkes Offensivtrio; in der Saison 2010/11 waren die Zentralschweizer lange Tabellenerster, ehe sie in der Rückrunde einbrachen und den Titelgewinn verpassten.
Aus der Öffentlichkeit gefallen
Wer ihn in seiner Zeit in Luzern erlebte, merkte: Gygax war ruhiger geworden. Er war zwar noch immer keiner dieser Fussballer, die bloss Plattitüden von sich geben, und er hatte noch immer diesen Schalk, diesen Jugendslang: Gygax wollte weiterhin «topfen» und fand vieles «easy». Doch ganz so unbeschwert und extrovertiert wie früher war er nicht mehr. Bis 2014 blieb er in Luzern, dann wollte der FCL sparen und setzte auf jüngere, günstigere Spieler.
Und der Fussballer Gygax fiel allmählich aus der Öffentlichkeit. Nach der Challenge League (Aarau und Le Mont) «gab» er sich auch noch die vierthöchste Liga, bei Zug 94 war er zudem gleichzeitig Stürmer- und Juniorentrainer. 2017 beendete Gygax seine Karriere und wechselte – doch noch zurück zum FCZ. Er machte die Trainerausbildung und coachte zunächst die U 14, seit 2018 die U 16.
Nun, da er selber Trainer ist, möchte er seinen Junioren möglichst ihre Eigenheiten zugestehen, sie so nehmen, wie sie sind. Von übermässiger Disziplinierung hält er wenig: «Klar, es gibt gewisse taktische Vorgaben und die Spielphilosophie des Klubs. Aber ich will den Junioren auf dem Platz möglichst viel Raum zur Entfaltung ihrer Individualität lassen», sagt Gygax.
Seit einigen Jahren ist Gygax wieder öfter in der Öffentlichkeit zu sehen: als Experte für den TV-Sender Blue. Gelassen bringt er seinen grossen fussballerischen Sachverstand ein, in den notorisch aufgeregten Studio-Talks des Bezahlsenders ist er oft der Einzige, der das Geschehen auf dem Platz klug und nüchtern analysiert – und dabei cool bleibt wie eh und je.
Gygax hat zwei Titel gewonnen, 2000 und 2005 jeweils den Cup mit dem FCZ. Seiner Karriere fehlte ein wenig die Konstanz. Doch eine Konstante gab es. Er blieb sich immer treu, er liess sich nie verbiegen, kein Trainer hat ihn verändert.
Vielleicht bleibt der mittlerweile 39-Jährige gerade deshalb in bester Erinnerung: als eigenwilliger Fussballer, der sagt, was er denkt, und tut, wonach ihm der Sinn steht – ein Typus, der im glattpolierten Profifussball immer seltener wird