tagi.ch hat geschrieben:Fünf Gründe, weshalb der FCZ gegen den Abstieg spieltAm Samstag bestreitet der FC Zürich im Wallis ein Spiel, das er auf keinen Fall verlieren darf. Trotzdem gibt man sich im Club ziemlich unbesorgt.
Florian Raz, Christian Zürcher
Publiziert heute um 10:01 Uhr
Foto: Sven Thomann (freshfocus)
Nun folgt also Sion, der Tabellenletzte, akut abstiegsgefährdet. Doch auch der FC Zürich ist in eine sportliche Krise geraten. Das hat seine Gründe.
1. Der Trainer: Plötzlich funktioniert sein Fussball nicht mehrFoto: Alexandra Wey (Keystone)
Es gab eine Zeit im Herbst, da ging der Massimo-Rizzo-Fussball (MRF) voll auf. Der FCZ besann sich auf die Defensive, reihte Sieg an Sieg, Fantasien taten sich auf gegen oben, der FCZ und Massimo Rizzo wollten nach der Winterpause einen Schritt vorwärts machen.
Wie eine Schildkröte streckte die Mannschaft den Kopf aus dem Panzer und wollte offensiver spielen. Es funktionierte schlecht, die Balance und viele Spiele gingen verloren, inzwischen ist der Kopf wieder im Panzer verschwunden, man setzt wieder auf «safety first», oder eben auf MRF.
«Das war eine völlig andere Situation, ich kann das beurteilen.»
Massimo Rizzo über die Abstiegssaison 2016
Doch irgendwie will nicht mehr klappen, was im Oktober und November noch gelang. Zu viele Spiele gehen verloren, der FCZ findet sich plötzlich im Abstiegskampf wieder. Rizzo sagt dazu lediglich, dass er von Spiel zu Spiel schaue.
In der Abstiegssaison 2016 wollte man unter Sami Hyypiä die Misere lange nicht wahrhaben, irgendwann war es zu spät für eine Reaktion. Das Verhalten des FCZ in diesen Tagen hat gewisse Ähnlichkeiten. Nun wird Rizzo etwas energisch: «Das war eine völlig andere Situation, ich kann das beurteilen, ich war Assistent von Sami.» Rizzo nimmt heute eine andere Stimmung in der Mannschaft wahr. «Ich spüre im Training, dass die Spieler wollen. Die Art und Weise, wie sie arbeiten, macht mich zuversichtlich.»
2. Die Achse: Wo Verletzungen richtig schmerzenBilder: SRF
«Ich will keine Ausreden suchen», sagt Rizzo. Und verweist natürlich trotzdem auf die Verletztenliste. Kololli, Sobiech, Dzemaili, Tosin, Domgjoni, Omeragic – sie alle fehlten längere Zeit oder werden weiter vermisst. «Wenn dir die Achse wegbricht, spürst du das», sagt Rizzo.
Beim FCZ begann sie im Spätherbst genau dann zu bröckeln, als sich das Team unter Rizzo gefunden zu haben schien. Wobei ein Zusammenhang bestehen könnte: Um Stabilität zu finden, setzte Rizzo auf eine klare Stammformation. Das klappte – dafür scheint die Belastung in der intensiven Corona-Saison für einige Spieler zu gross geworden zu sein.
Am meisten spürt das Team den Ausfall von Lasse Sobiech. Ohne den Abwehrchef fehlen nicht nur Routine und wichtige Tore nach offensiven Standards. Ohne ihn muss auch Omeragic oft in die Innenverteidigung und wird dann schmerzlich als Rechtsverteidiger vermisst. Nicht nur das 0:1 zuletzt gegen Servette zeigte, wie verwundbar der FCZ ohne Omeragic über seine rechte Abwehrseite ist.
Zürich muss bis Saisonende ohne Sobiech auskommen. Bei den anderen sieht es besser aus. Rizzo sagt: «Die Führungsspieler sind langsam zurück. Ich bin zuversichtlich.»
3. Die Stürmer: Sie treffen nichtFoto: Alexandra Wey (Keystone)
Gegen Servette spielte im Sturmzentrum Benjamin Kololli, gewöhnlich ein linker Mittelfeldspieler. Der als Mittelstürmer verpflichtete Blaz Kramer sass auf der Bank, der für rund zwei Millionen Franken gekaufte Stürmerkollege Assan Ceesay spielte im linken Mittelfeld. Man muss keine akademischen Weihen haben, um zu erkennen: Da stimmt etwas nicht.
Trainer Rizzo hütet sich davor, seine Stürmer zu kritisieren. Er weist darauf hin, dass man mit Kololli einen Plan hatte (den Ball vorne halten). Es heisst aber eben auch, dass sich die zwei anderen im Umgang mit diesem Ball eher sehr schwertun.
Kommt dazu, dass sie ihre Kernkompetenz, das Toreschiessen, vernachlässigen. Die beiden kommen erstens zu wenigen Chancen und treffen zweitens zu selten.
4. Blerim Dzemaili: Der Mann, der alles willAls Rizzo von Ludovic Magnin übernahm, verfolgte er vor allem ein Ziel: Erwartungen dämpfen, den Spielern Demut beibringen, unspektakulär, aber erfolgreich spielen.
Dann kam Blerim Dzemaili nach der Winterpause als verlorener Sohn nach Hause. Und der FCZ gewann plötzlich 4:1 in Basel, drehte in St. Gallen ein 0:2 in ein 3:2 und ging gegen YB mit wehenden Fahnen 1:4 unter. Am Ende jener Partie bettelte Rizzo von der Seitenlinie: «Blerim, hört doch damit auf!» Gemeint waren riskante Dribblings im Spielaufbau.
Nein, Dzemaili ist nicht zurückgekommen, um kurz vor der Pension noch etwas Geld einzukassieren. Der einstige FCZ-Junior will bei seinem Heimatclub etwas bewegen.
Die Frage ist: Will er nicht zu viel? Und vor allem: Kann und mag er der Maxime seines Trainers folgen, dem MRF, der Ausrichtung auf «Sicherheit zuerst»? «Natürlich», sagt Rizzo.
Dzemailis Zahlen lassen aber etwas anderes vermuten: Als defensiver Mittelfeldspieler aufgestellt, macht er einfach alles fast überall. Von seinem Team spielt er pro Match die meisten Pässe zu Torabschlüssen, er hat die meisten Tacklings und die zweitmeisten Dribblings. Und: Er trägt fast gleich viele Zweikämpfe in der gegnerischen Platzhälfte aus wie in der eigenen.
Dzemaili hat höchste Ansprüche. An sich zuallererst, an seine Mitspieler auch – und an die Schiedsrichter ebenso. In Sitten fehlt er mit einer Gelbsperre. Alle vier Verwarnungen hat er für Reklamieren erhalten.
5. Die Clubphilosophie: Irgendwie schiefFoto: Urs Flüeler (Keystone)
Der Schritt zurück, die Besinnung auf «safety first» und den MRF mag die richtige Entscheidung für die aktuelle Lage sein, in der zunächst der Abstieg verhindert werden muss. Aber passt die Haltung auch zu diesem Club und zu seinem Präsidenten Ancillo Canepa, der immer begeistert war von offensiver Leichtigkeit, von Dribblings und Spitze-Hacke-eins-zwei-drei?
Dem FCZ-Nachwuchs wurde vom Präsidentenpaar eine klare Vorgabe gemacht. Priorität soll die Ausbildung offensiver Talente haben. Der heutige Sportchef Marinko Jurendic hat eine Stürmer-Talentgruppe gebildet.
Unten baut der Club also auf die Offensive. Und oben, in der ersten Mannschaft, gilt Sicherheitsstufe Rot? Auf die Dauer wirkt das irgendwie schief. Es ist ein Punkt, der sich nicht unmittelbar auswirken muss. Aber auf Dauer wird der FCZ nicht darum herumkommen, seine Ausrichtung zu harmonisieren.