Beitragvon Züri Live » 14.04.21 @ 14:20
Gegen top-motivierte und defensiv sehr diziplinierte Tschechinnen über 240 Minuten so konzentriert dagegenzuhalten und nur wenig Fehler zu begehen, zeugt von einer gewissen Reife. Trotzdem ist es ein Fragezeichen, ob mit dieser Mannschaft an der EM etwas möglich ist. Eines der Hauptprobleme: speziell einzelne erfahrene Leistungsträgerinnen wie Bachmann oder Crnogorcevic spielen schon seit Jahren in der Nati weit unter ihrem Potential. Die Jungen machen was sie können. Gestern nach der Pause hatte Bachmann plötzlich wieder mal 20 gute Minuten, aber das kommt selten vor. Top-Leistung von Julia Stierli als Innenverteidigerin. Den grössten Teil ihrer Karriere spielte sie ja links. Fabienne Humm hat mir nach ihrer Einwechslung auch gut gefallen. Ein Tor oder Assist von ihr schien nur eine Frage der Zeit zu sein. Ein Hoffnungsträger ist halt auch etwas der Trainer. Als er damals Dänemark übernommen hatte, waren die schlechter als die Schweiz und dann schaffte er es mit diesem (etwas verjüngten) Team in den EM-Final.
Ich schaue alle Arten von Fussball – Profis, Amateure, Männer, Frauen, Junioren. So lange sich die Teams, die auf dem Platz stehen, für den Sieg zerreissen, und mehr oder weniger gleich stark sind, ist es grundsätzlich immer interessant. Züri Live hat ja immer etwa zwei bis drei Spiele pro Jahr live übertragen. Einmal sogar im Europacup auswärts.
Nervig finde ich, wenn die gleichen Leute, die sagen, man solle Männer- und Frauenfussball nicht miteinander vergleichen, dies dann selber fortlaufend tun. Einfach ausschliesslich zuungunsten der Männer. Man darf also schon vergleichen, einfach nur in eine Richtung. ;-) Ich verteidige den Frauenfussball gegenüber Kritikern des Frauenfussballs, aber genauso den Männerfussball gegenüber Kritikern des Männerfussballs. Warum muss man das eine schlecht machen, um den Support für das andere zu begründen?
In diesem Zusammenhang schwirren viele Mythen herum, die den Frauenfussball quasi als eine Oase beschreiben, wo wie bei Heidi in den Bergen die Welt noch in Ordnung ist – pur und rein. Das ist natürlich Chabis.
Das Tempo ist im entsprechenden Vergleichswettbewerb (bspw. AWSL vs. RSL) geringer und bei geringerem Tempo ist es sehr viel einfacher, saubere Pässe zu spielen und den Ball zu verarbeiten. Vor allem steigen die Gegenspielerinnen auch nicht so schnell und hart in die Zweikämpfe. Es wird im Vergleich speziell im europäischen Frauenfussball weitgehend körperlos gespielt. In den USA ist der Frauenfussball physischer, aber dementsprechend meist auch technisch auf weniger gutem Niveau. Die Frauen liegen wegen von aussen betrachtet sehr geringfügigen Berührungen viel schneller mal am Boden als die Männer. Die Konstitution des Körpers ist halt anders. Zweikämpfe mit einer solchen Wucht wie in der RSL gibt es in der AWSL hingegen schlichtweg nicht. Wenn es sie gäbe, dann würden sich die Frauen ganz sicher mindestens so stark und lange am Boden krümmen vor Schmerz.
Zu Simulationen, Schiedsrichterbeeinflussung und Schwalben: es gibt bei den Frauen genauso wie bei den Männern sowohl national wie auch international die paar wenigen wohlbekannten Schwalbenköniginnen, die den Grossteil der Schwalben produzieren. Ausserdem nehmen solche Mätzchen in Spielen, wo es um viel geht, jeweils stark zu. So gingen im Hinspiel in Tschechien beiden Penalties klare Schwalben voraus. In den Playoff-Spielen gegen Holland in der letzten Quali wars ähnlich. Und Ramona Bachmann hat beispielsweise mal in einem wichtigen Quali-Spiel gegen England eine Theater-Show vom feinsten abgezogen, sich mit Händen vor dem Gesicht am Boden gerollt und so getan, als habe ihr die gegnerische Torhüterin ins Gesicht geschlagen. Die Torhüterin musste mit direkt Rot vom Platz. Gewonnen hat England trotzdem.
Kurz: Frauen-Fussball ist ganz normaler Fussball.
Bezüglich mediale Abdeckung: es ist grundsätzlich nicht die Rolle der Medien, einen Sport oder eine Liga zu hypen. Vor noch nicht allzu langer Zeit wurden in Mannschaftssportarten nur Spiele übertragen, wo mindestens 2'000 – 3'000 zahlende Zuschauer vor Ort dabei waren, was sich dann mit einem gewissen Faktor multipliziert auch auf das Interesse der TV-Zuschauer übertragen lässt. In letzter Zeit überträgt das SRF ganz allgemein mehr Spiele im Unihockey, Basketball oder Volleyball und da passt die AWSL auch rein, obwohl sie tendenziell eher weniger Zuschauer hat. Die TV-Zuschauerzahlen würden mich aber schon mal interessieren: bei all diesen Sportarten / Ligen. Meine Mutter, sportbegeistert und lange Zeit sehr aktiv in der Frauenbewegung, hat sich vor kurzem mal ein AWSL-Spiel im TV angeschaut. Sie fand es langweilig und meinte, sie schaue lieber Männerfussball. Ich war anderer Meinung als sie. Ich hatte dasselbe Spiel gesehen und fand es gut.