Beitragvon camelos » 15.12.20 @ 9:14
Die NZZ zur Entlassung von Favre
Lucien Favre hat einen exzentrischen Hang zum lauten Abschied
Schnell verliess der bekannteste Schweizer Fussballtrainer seine Klubs nie, aber meist waren die Zäsuren geräuschvoll. Sie hinterliessen Scherben und waren von Unberechenbarkeit, Zwängerei, Solo-Einlagen und gegenseitiger Enttäuschung geprägt, sei es in Yverdon oder Dortmund.
Stefan Osterhaus, Peter B. Birrer
14.12.2020, 16.58 Uhr
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Wenn Lucien Favre einen Klub verlässt, geschieht dies selten geräuschlos.
Wenn Lucien Favre einen Klub verlässt, geschieht dies selten geräuschlos.
David Inderlied / Imago
Es war ein plötzlicher Abschied, den Lucien Favre am Sonntag von Borussia Dortmund nahm. Freiwillig war er nicht, der Klub vollzog die Trennung, da die Exponenten nicht mehr daran glauben, ihr Minimalziel – einen Rang in der Champions League – mit Favre erreichen zu können. Die Kulisse war durchaus geräuschvoll: Mats Hummels und Marco Reus setzten nach der 1:5-Niederlage gegen den VfB Stuttgart zu dem an, was sich als eine Generalabrechnung mit der fussballerischen Idee Favres bezeichnen lässt; Hummels stellte sogar die Sinnhaftigkeit der jüngeren Arbeit Favres infrage.
Insofern steht auch die Dortmunder Episode in einer Tradition: Wenn Lucien Favre einen Klub verlässt, geschieht dies selten geräuschlos. Auf fast jeder seiner Stationen war der Weggang des Romands von undurchsichtigen Komplikationen begleitet. Mal wogen sie schwerer, mal weniger, mal war der Anteil Favres grösser als derjenige des Klubs, mal war es umgekehrt. Selbst in Nizza gab es 2017 Diskussionen, weil der quengelnde Favre den Klub bereits nach einer Saison vorzeitig Richtung Dortmund verlassen wollte, ihm dies aber zu dem Zeitpunkt verwehrt wurde.
Echallens, Yverdon, Servette, FC Zürich, Hertha BSC, Mönchengladbach, Nizza und der BVB sind die Stationen einer Trainerkarriere, die nun schon weit über 25 Jahre währt. Wahllos hat Favre nie einen Arbeitgeber gewechselt: Jede Entscheidung schien wohlüberlegt, zudem war jeder Schritt einer nach vorn. Dortmund hätte die Krönung sein können.
Mindestens blieb Favre zwei Jahre bei den jeweiligen Klubs, in Mönchengladbach, Yverdon und Zürich waren es sogar vier oder mehr. Dass Trainer sich in der dritten Saison verschleissen, ist nicht ungewöhnlich, häufig geschieht es noch viel früher. Ungewöhnlich ist allerdings das Getöse, das um Favre gemacht wird – oder das dieser selber veranstaltet.
Der Vorwurf der Unehrlichkeit
So war es auch beim Wechsel im Jahr 2000, als er vom Kleinklub Yverdon zum damals von Canal Plus geführten Servette FC wechselte. Es war ein logischer Schritt für den früheren Servette-Spieler, der in der «Fussballprovinz» Yverdon über Gebühr Erfolg vorzuweisen hatte. Früh im Jahr 2000 unterschrieb er in Genf, erste Gerüchte um seinen Fortgang wurden dementiert, nicht zuletzt von ihm. Dass es doch so war, erfuhr man hinter vorgehaltener Hand. «Unehrlichkeit» war der Vorwurf in Yverdon. Als es nicht mehr zu verbergen war, trennte sich Yverdon vor dem Saisonschluss von Favre.
Als erfolgreich kann auch die Arbeit in Genf gelten. Aber Servette und auch Favre waren in Machtspiele und Intrigen verstrickt, in die selbst Spielervermittler involviert waren. Favre hatte im Team vor allem den Routinier Sébastien Fournier gegen sich, dem der Klub eigenartigerweise einen langfristigen Vertrag gab – die Empfehlung Favres war es nicht gewesen. Das Klima war von Misstrauen und Spannungen geprägt.
Ebenfalls hitzig ging es zu und her, als er 2007 dem FC Zürich den Rücken kehrte und zur Hertha nach Berlin wechselte. Es war wie eine Kampfscheidung, zumal Favre die Spieler Raffael und Steve von Bergen sowie den Trainerassistenten Harald Gämperle mitnahm. Der damalige FCZ-Sportchef Fredy Bickel fühlte sich hintergangen und beklagte bitterlich, dass sich Favre nach dem Wechsel entgegen seinen Versprechungen nie mehr bei ihm gemeldet habe.
Auch der Klubpräsident Ancillo Canepa war erzürnt. Der FCZ prangerte die Vorgehensweise an, die Verantwortlichen fühlten sich hinters Licht geführt. Der Sportchef Fredy Bickel sagte seinerzeit: «Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass Lucien mich derart an der Nase herumführt.»
In der Bundesliga setzte Favre seine Arbeit erfolgreich fort. Nach einer mittelmässigen ersten Saison mit den Berlinern trumpfte die Hertha in der zweiten Spielzeit auf. Favre war zeitweilig sogar ein ernsthafter Herausforderer der Bayern, was überraschend genug war. Im Saisonfinish verzockte er sich, setzte den Captain Arne Friedrich auf die Bank. Die Spannungen nahm der Klub mit in die nächste Saison, erschwerend kam hinzu, dass auch der Goalgetter Marko Pantelic den Klub verlassen hatte. Nach einer Serie von Niederlagen wurde Favre Ende September 2009 entlassen.
Sechs Wochen später sorgte er für eine Premiere in der Bundesliga: Er lud zu einer Pressekonferenz ins Berliner Hotel Adlon – und legte dar, warum Hertha mit der Entlassung falsch gehandelt habe. «Niemand hat gegen den Trainer gespielt, inbegriffen Arne Friedrich», war eine Behauptung, die Transferpolitik seines früheren Arbeitgebers kommentierte Favre ungewohnt offensiv.
Der Anruf bei der Nachrichtenagentur
Favre habe eine Gelegenheit verpasst, zu schweigen – so lautete der einhellige Tenor in der Berichterstattung. Nicht wenige Experten glaubten, Favre habe sich damit für alle Zeiten in der Bundesliga unmöglich gemacht. Doch die Chance zur Rehabilitation kam schnell. Im Januar 2011 erhielt er einen Anruf von Mönchengladbachs Manager Max Eberl. Die Borussia war nicht nur abstiegsbedroht, sie galt vielen als unrettbar. Favre sagte zu, schaffte den Klassenerhalt, spielte darauf eine erfolgreiche Saison. Als einige Stützen den Verein verliessen, musste er gewissermassen ein neues Team aufbauen. Auch dieses hatte Erfolg, die Borussia qualifizierte sich sogar für die Champions League.
Im September 2015 aber folgte die Trennung nach einer Serie von Niederlagen. Nicht die Borussia hatte sie vollzogen, sondern Favre gab entnervt auf. Am Morgen informierte er eine Nachrichtenagentur, gab dieser seine Demission bekannt. Der Manager Eberl erfuhr davon, als er am Sonntag mit seinem Hund spazieren ging. «Wir sind nach wie vor total davon überzeugt, dass Lucien der perfekte Trainer für Borussia ist», so der fassungslose Eberl.
Obschon Favre seinen Abgang in Mönchengladbach alles andere als professionell gestaltete, ist die Borussia noch immer gut auf ihn zu sprechen. Auch in der Dortmunder Krisensituation hatte er in Eberl einen Verteidiger, der darauf hinwies, wie überzogen die Anwürfe an Favre doch seien. Er schätzt seinen ehemaligen Angestellten als das, was er ist: als einen Fachmann – mit dem Hang zum spektakulären, vom Affekt bestimmten, unberechenbaren, verschlungenen und einsamen Abschied, der oft Scherben zurückgelassen hat.
5.2.22 Derby GCN-FCZ 1:3
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