Noch ein weiterer Artikel zu Katar, dieser spezifisch über die Bayern. Auch die von Victor Jara erwähnte WM78 in Argentinien wird kurz thematisiert (danke übrigens für die Hintergrundinfos zu Chile, das war mir nicht bekannt!).
Das ganze zeigt mir einmal mehr, warum mir die Champions League mittlerweile komplett am Arsch vorbei geht und ich die Spiele kaum noch schaue (wenn dann nur im Free TV, würde nie nur einen Rappen für so ein Spiel zahlen):
https://11freunde.de/artikel/katarstimm ... ttansicht=KatarstimmungVor dem Champions-League-Finale gegen PSG stehen auch Bayerns Beziehungen zu Katar im Blickpunkt. Die werden von Jahr zu Jahr inniger. Aber auch die Kritik aus der Fanszene nimmt zu.
Willkommen im Paradies, hier gibt es alles. Gutes Wetter und glitzernde Shoppingmalls. Einen saftig grünen Rasen, der, so sagte Uli Hoeneß mal, mit der Nagelschere geschnitten wird. Gastfreundschaft und manchmal auch Gastgeschenke. Ein Luxushotel mit Luxusausblick auf sieben Luxustrainingsplätze. Wenn Mitarbeiter des FC Bayern auf dem hauseigenen Youtubekanal über diesen Ort sprechen, schwärmen sie von den „hervorragenden Trainingsbedingungen“, und dem Zuschauer werden als Beweis Bilder von trainierenden und gut gelaunten Fußballprofis gezeigt. Es könnten Imagefilmchen für Unternehmen von Wellnessprodukten oder für Reiseanbieter von Aktivurlauben sein; alles ist schön weichgezeichnet und in Zeitlupe geschnitten, dazu erklingt leicht verdauliche Instrumentalmusik, die man aus vorabendlichen Infotainment-Sendungen im Privatfernsehen kennt. Willkommen im Paradies.
Seit neun Jahren geht das so. Seit neun Jahren, immer im Januar, fliegt der größte Klub der Welt ins reichste Land der Welt, um sich in der Aspire Academy auf die Rückrunde der Bundesliga vorzubereiten.
Systematische Ausbeutung und Zwangsarbeit
Beim ersten Mal, 2011, schien das kaum jemanden zu stören. In der Presse las man die üblichen Winterlochstorys, Testspiele hier, Transferblabla da, und Stefan Effenberg und Mario Basler durften Anekdötchen über ihre Zeit im Wüstenstaat erzählen. Ein bisschen Kopfschütteln höchstens darüber, dass hier, in der Hitze, bald eine WM stattfinden soll. Das war’s im Grunde.
2013 erschien dann die erste große Dokumentation über die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Migranten in Katar. Sie sorgte international für Aufsehen. Reporter des „Guardian“ hatten herausgefunden, dass jedes Jahr hunderte Arbeiter auf den WM-Baustellen sterben. Sie zeigten Menschen aus Nepal, Bangladesch oder Indien, die wie Millionen andere als Hilfskräfte auf die arabische Halbinsel gebracht worden waren, weil kaum einer der 300 000 Katarer selbst die so verpönte praktische Arbeit oder gewöhnliche Dienstleistungen verrichtet. Die Wanderarbeiter hausten in verrotteten Zimmern. Die Toiletten waren überflutet, aus den Duschen kam Salzwasser. Die Reisepässe, so erzählten sie, hatten ihnen die Arbeitgeber abgenommen, sie waren quasi Leibeigene, oft nicht mal bezahlt. Amnesty International berichtete im selben Jahr in einem 153-seitigen Report von systematischer Ausbeutung und Fällen von Zwangsarbeit.
Nun fragten auch andere Journalisten, warum der FC Bayern in dieses Land reist, ohne davon zu erzählen, und in der Südkurve, wo die treuesten Anhänger des deutschen Rekordmeisters stehen, hingen Transparente mit kritischen Botschaften. Auf einem stand: „Kapital > Moral?“
Die Großkopferten des FC Bayern antworten bis heute latent genervt auf das Thema. „Bayern ist nicht verantwortlich für Katar“, sagte Karl-Heinz Rummenigge, der das Trainingslager außerdem mal mit Aberglauben rechtfertigte. Uli Hoeneß fand wiederum: „Die Arbeitsbedingungen sind nicht perfekt, aber sie werden auch nicht besser, wenn wir nicht hinfliegen und Diskussionen anstoßen.“ Denn Diskutieren würde man ja, allerdings intern. Daher will der FC Bayern über das Thema nicht mit 11FREUNDE sprechen. Auch die Beantwortung eines schriftlichen Fragenkatalogs lehnt der Pressesprecher ab.
Dabei möchte man gerne einiges wissen. Erreicht die Verantwortlichen die Kritik? Gehen sie auf den Protest und Dialogwünsche der Fans ein? Hören sie die Warnungen der Menschenrechtsorganisationen und die Hilferufe der Wanderarbeiter?
Ende Januar, kurz nach dem diesjährigen Katar-Trainingslager, sitzen drei Bayern-Anhänger in einem Hinterzimmer des Münchner „EineWeltHaus“, ein Kulturzentrum unweit des Hauptbahnhofs. Sie heißen Robin, Christoph und Franz. Sie sind zwischen 24 und 31 Jahre alt. Aktive Fans nennen sie sich, sie stehen in der Süd. Mehr möchten sie nicht von sich preisgeben. „Es geht nicht um uns, sondern um die Sache“, sagen sie.
„Der FC Bayern spricht gerne von Werten, von Toleranz, von sozialer Verantwortung, aber er handelt nicht danach“
Christoph – Bayern-Fan
Dem FC Bayern sind sie lästig, vielleicht gelten sie sogar als Nestbeschmutzer, denn sie reden über Dinge, die Rummenigge oder Hoeneß nicht öffentlich besprechen möchte. In den letzten Tagen haben sie mit dem Club Nr. 12, der Vereinigung aktiver Bayern-Fans, im „EineWeltHaus“ und in einem Berliner Kulturhaus Diskussionsrunden veranstaltet. Titel: „Katar, Menschenrechte und der FC Bayern – Hand auf, Mund zu?“ Sie hätten sich auch einen Vertreter des FC Bayern auf dem Podium gewünscht, aber der Verein reagierte wieder nicht auf ihre Einladung. Also stand dort ein leerer Stuhl mit einem Bayern-Trikot über der Lehne, ein Symbolbild.
„Der FC Bayern spricht gerne von Werten, von Toleranz, von sozialer Verantwortung, aber er handelt nicht danach“, sagt Christoph. „Dabei hat er eine internationale Strahlkraft, er könnte selbst mit kleinen Schritten so viel verändern.“ Karl-Heinz Rummenigge hat genau das mal beteuert: dass sich die Situation der Arbeiter in Katar durch den Fußball verbessert habe. Viele Fans lachten darüber, ein Banner mit diesem Satz hing in der Süd. Aber ist nicht auch ein Fünkchen Wahrheit dran? Würde jemand über Katar berichten, wenn dort keine WM stattfände oder die Bayern nicht dorthin flögen? Die katarischen Unternehmen und die WM-Organisatoren beteuern jedenfalls, dass sich die Situation für ihre Migranten verbessert habe. Das Kafala-System, nach dem es den Arbeitgebern erlaubt war, die Pässe der ausländischen Arbeiter einzuziehen, sei abgeschafft worden. Die Sicherheitsvorkehrungen auf den WM-Baustellen seien besser geworden.
Freundschaftsspiel während ein Blogger ausgepeitscht wird
Das stimme vielleicht, sagen die drei Fans, aber was ist mit den hunderttausenden Arbeitern abseits der WM-Orte? Auf ihrer Diskussionsrunde in München waren auch zwei Nepalesen zu Gast, die in Katar gearbeitet haben. Auch sie sagten, die Realität sehe anders aus, viele Unternehmen hielten sich immer noch nicht an die Gesetze und die meisten Arbeiter bekämen von den Reformen gar nichts mit. Sie würden weiterhin menschenunwürdig behandelt und viele Pässe weiter einbehalten.
Franz, der Wortführer der drei Fans, war mehrmals mit den Bayern in Katar und 2015 sogar in Saudi-Arabien. Damals musste sich der FCB besonders viel Kritik anhören, denn die Mannschaft absolvierte ein Freundschaftsspiel, aber selten war diese Bezeichnung so unpassend. Denn zeitgleich wurde in Riad öffentlich ein Blogger ausgepeitscht, der über Demokratie und Religionsfreiheit geschrieben hatte. Doppelmoralisch findet Franz seine Reisen nicht. Er spreche ja über das, was er sehe. Er ziehe seine Schlüsse. Er sagt: „Die katarischen Vorgesetzten scheuchen die ausländischen Arbeiter selbst bei extremer Hitze über die Trainingsanlage. Es ist wie beim Militär.“
Auch Christian Nandelstädt, ein Bayern-Fan aus Düsseldorf, war in Katar. Er hat andere Erfahrungen gemacht – in Katar und im Dialog mit den Bayern-Bossen. Alles begann auf der Jahreshauptversammlung 2016, als er eine kritische Rede vortrug, in der es auch um Katar ging. „Mir war klar, dass ich nichts erreiche, wenn ich rumpöbele, also hielt ich die Rede sachlich“, sagt er. Das kam bei den Bossen gut an. Uli Hoeneß lud ihn wenige Monate später sogar zu einem Gespräch an die Säbener Straße ein, und der Verein schlug vor, dass er die Bayern-Frauenmannschaft im Januar 2019 ins Trainingslager nach Katar begleiten könne. Nach langer Überlegung (und einiger Kritik aus der Fanszene) sagte Nandelstädt zu. Sein Fazit: „Es wird alles weniger schwarzweiß, wenn man vor Ort ist.“
Die Mitarbeiter des FC Bayern und Spielerinnen besuchten eine Mädchenschule, tauschten sich mit dem Generalsekretär des katarischen Fußballverbands aus und hörten einen Vortrag der International Labour Organization (ILO). Oft hätten sie Menschenrechtsthemen angesprochen, auch wenn die lokale Presse anwesend war. Nandelstädt hält heute nichts mehr von einem Boykott, auch wenn er Katar-Reisen nach wie vor kritisch sieht. Der Klub, sagt er, sollte an Veranstaltungen wie der im „EineWeltHaus“ teilnehmen. Und vor allem müsse das Männerteam Aktionen in Katar machen – trotz des engen Zeitplans, den täglichen Trainingseinheiten, einem ewig fragenden Journalistentross und Pflichtterminen mit Sponsoren.
Aber es geht mittlerweile um mehr als nur ein Trainingslager, denn seit 2016 ist der FC Bayern auch kommerzieller Partner des Staates Katar. Erst warb Katars Hamad International Airport beim FC Bayern, und seit zwei Jahren prangt das Logo von Qatar Airways als sogenannter Platinpartner auf dem Trikotärmel. Ein „Dreamteam zum Abheben“, schreibt die Staatslinie auf ihrer Homepage. Dafür soll der Klub jährlich etwa zehn Millionen Euro kassieren. Geld, das kein europäischer Sponsor zahlen kann oder will. Auch die Lufthansa nicht, die vorher auf dem Ärmel warb.
Anfangs schien es, als wollte sich der FC Bayern nicht blindlings auf diesen Deal einlassen. Vorab bat er das Bundeskanzleramt um eine Einschätzung zur Menschenrechtslage in Katar. Das Bundeskanzleramt wiederum fragte bei Human Rights Watch nach einer Expertise. Die international tätige NGO sprach keine Boykottempfehlung aus, wies aber darauf hin, dass Katar immer noch ein repressiver Staat sei und der FC Bayern seine Reputation aufs Spiel setzen könnte. Nicholas McGeehan, damals Golf- und Katar-Experte bei Human Rights Watch, sagt: „Ich habe dem Klub geraten, über Themen wie Menschenrechte in Katar öffentlich zu sprechen und notwendigen Reformen die Unterstützung zuzusagen.“ Statt eines offenen Dialogs und kritischer Selbstreflexion blieb am Ende aber nur ein Satz von Karl-Heinz Rummenigge hängen: „Diese Partnerschaft ist ein weiterer Schritt in unserer Internationalisierungsstrategie.“
Man sollte wissen, dass die Bayern-Granden aus einer Zeit stammen, in der Anhänger und Journalisten nur eins interessierte: die Meisterschaft. Es gab keine kritischen Ultras, nicht mal nervige Fans, die Transparente mit Botschaften aufhängten oder gar Diskussionen zu Themen wie Rassismus oder Menschenrechte organisierten. Fußball war Fußball, und Politik war Politik. So trennten Profis und Funktionäre etwas, das in Wahrheit nie zu trennen war. Vor der WM 1978 in Argentinien fragte der „Stern“ die Nationalspieler, ob sie guten Gewissens in ein Land reisen könnten, in dem Oppositionelle verschleppt und ermordet werden. Bochums Jupp Tenhagen sagte: „Ich weiß nichts Genaues. Ich habe auch keine Meinung dazu.“ Duisburgs Bernhard Dietz: „In den Sport sollte man die Politik nicht reinziehen.“ Bayerns Katsche Schwarzenbeck: „I mog dazu a nix sag’n.“ Karl-Heinz Rummenigge, damals 22 Jahre alt, fand wenigstens: „Ich kann nicht akzeptieren, was da los ist – trotzdem möchte ich gerne mitspielen.“
Eigentlich ist es immer noch so: Rummenigge möchte gerne mitspielen. Mit den englischen Scheichklubs und den Oligarchenvereinen. Und so muss er ständig abwägen: Wäre der finanzielle und sportliche Schaden größer als der Imageschaden, den der Klub erleidet, wenn er, sagen wir, im Winter nach Spanien oder Portugal reisen würde?
Was Fanproteste bewirken können
Einige Bayern-Fans haben wegen der Katar-Partnerschaft ihre Mitgliedschaften beendet. Einer, der bei Twitter unter dem Namen „Baron von Agitpop“ aktiv ist, erklärte in einem offenen Brief seinen Austritt: „Ich habe an meinen Verein höhere Ansprüche als den, in erster Linie Geld zu verdienen und Titel zu gewinnen.“ Auch Yalcin Imre, ein 45 Jahre alter Bayern-Fan aus Karlsruhe, zog 2016 einen Schlussstrich. In seiner Austrittserklärung schrieb er, dass der FC Bayern „allein mit seiner Anwesenheit in Katar das Handeln der dort Herrschenden legitimiert“. Mittlerweile besucht er mit Freunden lieber Spiele in der Kreisliga, sie nennen sich „Kreisliga-Ultras“, Hashtag SupportYourLocalTrümmertruppe. Von ganz oben nach ganz unten. Aber er kann sich sicher sein, dass niemand als Litfaßsäule für autokratische Staaten auftritt. Und trotzdem: Hat es sich Imre nicht zu einfach gemacht? Warum suchte er nicht den Dialog wie Nandelstädt oder den Protest wie die drei Fans im „EineWeltHaus“? „Ich freue mich, wenn ich die kritischen Banner im Stadion sehe“, sagt er. „Aber ich hatte nie das Gefühl, dass man in diesem Verein gehört wird.“
Auch die drei Fans im „EineWeltHaus“ fragen sich, ob ihr Engagement überhaupt etwas bringt. Kommen zur nächsten Veranstaltung wieder 100 bis 200 Gäste, wenn sie merken, es ändert sich nichts, wenn es sich weiter anfühlt, als würde das Schweigen der Bayern immer lauter? Andererseits gebe es ja ein paar Beispiele, die zeigen, dass Kritik von Anhängern bei den Vereinen ankommt. Malmö FF, IFK Göteborg oder Rosenborg Trondheim haben in den vergangenen Jahren nach Fanprotesten ihre Trainingslager in Dubai abgesagt. Trondheims Mediendirektor sagte, dass die Vereinigten Arabischen Emirate weit entfernt seien von den eigenen Werten. „Mit einem solchen Regime wollen wir nicht in Verbindung gebracht werden.“ Ein mutiger und wichtiger Schritt, der auch international Beachtung fand. Aber, nun ja, am Ende ist es halt Rosenborg Trondheim und nicht der größte Verein der Welt.
Immerhin, kürzlich hat sich der FC Bayern bewegt, er kündigte zu dem Katar/Bayern-Komplex ein Round-Table-Gespräch an, an dem auch Hassan Al-Thawadi teilnehmen soll, der Chef des WM-Organisationskomitees. Ziel sei ein „Dialog, in den stellvertretend Bayern-Fans, NGOs, die Stadt München als WM- und EM-Standort, Politiker und der Fußball eingebunden werden können“. Wer die stellvertretenden Bayern-Fans sind? Die drei Fans ziehen die Schulter hoch, sie wurden nicht angefragt. Christian Nandelstädt schon.
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