Beitragvon Tschik Cajkovski » 26.06.20 @ 20:09
NZZ, Flurin Clalüna:
Der FCZ ist wie eine Tinguely-Maschine – man fragt sich, wozu sie gut ist, und staunt
Das 4:0 in St. Gallen könnte mehr sein als ein angenehmer Sonderfall für den FC Zürich. Einiges spricht dafür – einiges aber auch dagegen.
Es ist wieder eines dieser Bilder, das der FC Zürich in seinem Museum aufhängen müsste, weil es ein Exklusivfoto ist und zeigt, was für ein Verein der FCZ ist: Ancillo Canepa, wie er in St. Gallen an der Seitenlinie steht, mehr Fan als Präsident, und gleich einem Autogrammjäger Benjamin Kololli zum 3:0 gratuliert.
Es war wie seinerzeit vor fünf Jahren, als Canepa in Basel mitten in der Fankurve stand und damit die Distanz zwischen Anhang und Klub aufhob. Canepa ist ein Präsident ohne Berührungsängste, wenn es dem FCZ gutgeht, strahlt er diese familiäre Nahbarkeit aus, die ins Gegenteil umschlagen kann, wenn er mit seinen Angestellten nicht zufrieden ist. Aber nach dem unerwarteten 4:0 in St. Gallen geht es seinem Klub gut, oder zumindest wieder viel besser. Es war der erste Sieg des FCZ nach der Winterpause und der höchste der Saison. Canepa sagt, die zweite Halbzeit in St. Gallen sei «überragend» gewesen. Das erinnert sehr an den letzten Herbst, als der FC Zürich ein paar gute Spiele zeigte, die den Präsidenten zufrieden machten. Da dachte er wirklich, Magnin-Fussball mache glücklich. Und jetzt denkt er es vermutlich wieder.
Einzelne Glücksmomente
Das Problem ist bloss, dass es sich bei diesen Glücksmomenten immer wieder um Einzelaufnahmen handelt, die nicht zu einem grossen Bild zusammenwachsen wollen: ein Cup-Sieg vor zwei Jahren, ein Europacup-Spiel gegen Leverkusen vor eineinhalb Jahren, einige gute Meisterschaftspartien – und dazwischen immer wieder viele grössere und kleinere Krisen. Das Aktenzeichen FCZ bleibt ungelöst, auch nach diesem 4:0, aus dem man das Wichtigste noch nicht ablesen kann: ob es der Beginn von etwas nachhaltig Gutem ist oder doch nur wieder ein Sonderfall.
Eigentlich gäbe es Gründe, anzunehmen, dass der Erfolg in St. Gallen sinnstiftend für die Zukunft sein könnte, aber das Vertrauen in diese Mannschaft ist nicht besonders gross, weil sie langfristig nie über die Andeutung ihrer Klasse hinausgekommen ist. Sie ist wie eine Tinguely-Maschine, bei der man nie genau weiss, wofür sie eigentlich gut ist, über die man aber gerne staunt.
Privilegierter Klub
Vielleicht wird es diesmal tatsächlich anders, vielleicht war der Auftritt in St. Gallen wirklich die ersehnte Zeitenwende. Immer wenn der FCZ nach der Corona-Pause Fussball gespielt hat, hat er zu bemerkenswert guten Partien beigetragen, jüngst gegen YB und auch jetzt gegen den Leader. Wenn ein Klub Spieler von der Qualität Marco Schönbächlers und Mimoun Mahis einwechseln kann, gehört er zu den privilegierten dieser Liga; und wenn er es sich erlauben kann, freiwillig auf die Erfahrung von Pa Modou und Umaru Bangura zu verzichten und sie nicht ins Kader zu nominieren, muss er von der eigenen Nachwuchsarbeit überzeugt sein.
Dem Trainer Ludovic Magnin ist wiederholt nachgesagt worden, es gelinge ihm auch nach zweieinhalb Jahren nicht, der Mannschaft zu vermitteln, was er von ihr wolle. Magnin ist in dieser Hinsicht nicht anders als seine Spieler: Vereinzelt schafft er es, alle von sich zu überzeugen, dann wieder nicht. Magnin hat taktische Vorlieben. Der von der Red-Bull-Schule geprägte Fussball, wie ihn Peter Zeidler mit St. Gallen spielen lässt, liegt Magnin offensichtlich. Dieses System hat er durchschaut, auch deshalb gewann der FCZ in dieser Saison jedes Spiel gegen die Ostschweizer.
Eigentlich hat der FC Zürich vieles, was ihn zu einer verlässlichen Mannschaft machen könnte: mit Yanick Brecher einen Goalie, der zwar kein Spitzentorhüter ist, der sich aber entwickelt hat; mit dem Brasilianer Nathan einen Innenverteidiger, der in St. Gallen zeigte, wie wertvoll er ist, wenn er gesund ist; sogar im zentralen Mittelfeld, der chronischen Problemzone des FCZ, gibt es mit Hekuran Kryeziu jemanden, der Führungsfähigkeiten hat; und in der Offensive spielen mit Aiyegun Tosin, Kololli oder Blaz Kramer Fussballer, die in der Super League auffallen: Tosin durch sein Tempo, Kololli durch Freistösse, Kramer durch seinen Instinkt. Nur passt das alles viel zu oft nicht zusammen.
So sei halt der Fussball, sagte Magnin, als man ihn vor einer Woche fragte, wie es möglich gewesen sei, das Spiel gegen die Young Boys noch zu verlieren. Das ist der Satz, den man immer sagt, wenn man eigentlich keine Ahnung hat, warum etwas geschehen ist. Aber für den FCZ ist das die Kardinalfrage, die er besser früher als später beantworten muss: warum er wie eine Wundermaschine immer wieder unerwartete Resultate ausspuckt, so als gebe es keine Logik in seinem Spiel.
Das ist vor allem eine Frage für den Trainer Magnin. Er war in den letzten zweieinhalb Jahren vielleicht der bestgeschützte Coach der Schweiz, aber wenn er sich weiterentwickeln soll, muss er beweisen, dass er den Schutz von Ancillo Canepa nicht mehr nötig hat und die Mannschaft das für den Präsidenten übernimmt: indem sie zeigt, dass Magnin ihr Konstanz beibringen kann.
Das Spiel am Sonntag gegen Lugano wäre kein schlechter Zeitpunkt, damit zu beginnen. Mit dem 0:4 gegen die Tessiner im Juli nahm für den FCZ der Fluch der hohen Niederlagen seinen Anfang, der ihn durch die Saison begleitet. Etwas Geisteraustreibung im Geisterspiel mit einer Handvoll Zuschauer: Es wäre ein Hoffnungszeichen, dass weitergeht, was in St. Gallen begann.
"we do these things not because they are easy, but because they are hard" jfk