In der NZZ entdeckt. Habe ich noch unterhaltsam gefunden.
https://www.nzz.ch/schweiz/was-die-schweizer-fussballnationalmannschaft-1983-auf-ihrer-skurrilen-afrikareise-erlebt-hat-ld.1439521Was die Schweizer Fussballnationalmannschaft 1983 auf ihrer skurrilen Afrikareise erlebteMit einer Länderspielreise durch Afrika begann die Trainerlegende Paul Wolfisberg die Vorbereitung zur Qualifikation für die WM 1986 in Mexiko. Dabei wurde nicht nur gekickt, sondern auch gestaunt und gekifft – ein Blick zurück.
Marc Tribelhorn
26.11.2018, 05:30 Uhr
Spieler der Schweizer Fussballnationalmannschaft bei einem Ausflug auf eine Schlangenfarm in Kenya: Marcel Koller (links), Charly In-Albon (2. von links), Marco Bernaschina (2. von rechts) und Martin Andermatt (rechts). (Bild: Karl Mathis / Keystone)
Spieler der Schweizer Fussballnationalmannschaft bei einem Ausflug auf eine Schlangenfarm in Kenya: Marcel Koller (links), Charly In-Albon (2. von links), Marco Bernaschina (2. von rechts) und Martin Andermatt (rechts). (Bild: Karl Mathis / Keystone)
Es ist eine ungewöhnliche Reisegesellschaft, die sich am 30. November 1983 frühmorgens am Flughafen Kloten einfindet: die Schweizer Fussballnationalmannschaft samt Verbandsfunktionären, Spielerfrauen, einem Dutzend Journalisten und 180 Fans. Um Punkt 10 Uhr hebt die gecharterte Swissair-Maschine des Typs DC-10 in Richtung Afrika ab. Auf dem Programm steht eine elftägige Rundreise mit Stopps in Algerien, Côte d’Ivoire, Simbabwe und Kenya.
Vier Länderspiele werden innert sieben Tagen und in verschiedenen Klimazonen absolviert, danach folgen Badeplausch und Safari-Spass. Über 12 000 Flugkilometer sind dabei zurückzulegen. Auch für das leibliche Wohl ist gesorgt: Im Frachtraum lagern unter anderem 1000 Flaschen Wein und 60 Flaschen Champagner. Für Spritzfahrten vor Ort ist sogar ein Nissan-Sportwagen verladen worden. «Eine Ferienreise wird’s bestimmt nicht», verkündet Nationaltrainer Paul Wolfisberg, der das Abenteuer überhaupt erst möglich gemacht hat.
Streit um «Hottentotten-Reise»
Der 50-jährige Luzerner, äusserlich eine Mischung aus Bud Spencer und Wilhelm Tell, ist ein kerniger Typ, eckt an, hat eigene Ideen. Seit er 1981 die Nati übernommen hat, geht es bergauf mit der Mannschaft, auch wenn Wolfisberg, der nebenher weiter als Architekt arbeitet, kein grosser Taktiker ist. Seine Stärke ist die Motivation. Für den «Wolf», wie er im Volksmund genannt wird, würden die Spieler durchs Feuer gehen. Oder wie es der Starspieler Heinz Hermann formuliert: «Mit ihm fühlen wir uns so kampfbereit wie die alten Eidgenossen.» Und so soll nach der verpatzten Qualifikation für die Europameisterschaft 1984 nun der Grundstein für das Fernziel Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko gelegt werden.
Bereits im Frühjahr 1983 hat Wolfisberg seinen Assistenten und U-21-Nationaltrainer Erich Vogel mit der Organisation eines Trainingslagers beauftragt, in dem neue Spieler und das Sozialverhalten getestet sowie Reisestrapazen simuliert werden können. Vogel, bis heute eine der schillerndsten Persönlichkeiten des Schweizer Fussballs, hat dank einem früheren Fifa-Mandat gute Kontakte nach Afrika, wohin es damals noch kaum je europäische Teams verschlagen hat.
Doch der finanziell klamme Schweizerische Fussballverband will partout kein Geld springen lassen für die «verrückte Idee». Der Generalsekretär Edgar Obertüfer spricht verächtlich von einer «Hottentotten-Reise». Doch Wolfisberg und Vogel geben nicht auf, sondern spannen den befreundeten «Blick»-Sportchef Mario Widmer ein – und im Nu sind private Sponsoren wie Nissan, die Swissair sowie Kuoni an Bord. Der «Blick» rührt die Werbetrommel und inseriert: «Traumreise des Lebens halb geschenkt. Mit den Wölfen rund um Afrika.» Knapp 2500 Franken kostet die Fussball-Safari nur, innert Stunden sind alle Plätze verkauft.
Die Reise ist ein komplexes logistisches Unterfangen, allein schon wegen der Impfungen und Prophylaxen für die Spieler und Supporter, der Verpflegung und der Unterbringung von gut 240 Personen in Gegenden mit wenig entwickelter Infrastruktur. Acht Spieler aus dem Stammkader geben nach der langen Saison Forfait. Im 20-köpfigen Team dabei sind schliesslich neben Routiniers wie Andy Egli, Roger Wehrli, Raimondo Ponte, Heinz Hermann und Roger Berbig auch Jungtalente wie Marcel Koller und Martin Andermatt. Fast alle setzen zum ersten Mal einen Fuss auf den Schwarzen Kontinent.
Penalty aus neun Metern
Die fussballerischen Leistungen der «Wölfe» sind ziemlich durchzogen. Das erste Spiel in Algier findet nur wenige Stunden nach der Landung statt. Gegen die Mannschaft, die an der WM 1982 sensationell die Deutschen geschlagen hat, resultiert ein 2:1-Sieg. Zwei Tage später verliert die Schweiz im subtropischen Abidjan 0:1 gegen die ruppig einsteigende Mannschaft von Côte d’Ivoire und am 4. Dezember in der auf 1500 m ü. M. gelegenen simbabwischen Hauptstadt Harare mit 2:3 gegen «gazellenhaft um uns herumtänzelnde Afrikaner» («Sport»). Zum Abschluss erkämpfen sich die Schweizer in der Hafenstadt Mombasa bei 35 Grad im Schatten immerhin ein torloses Unentschieden.
Viel zu reden geben bei Spielern, Fans und Journalisten die mitunter kurios-fremden Bedingungen, auf die sie in Afrika treffen. In Algerien wird der einheimische Schiedsrichter vom Publikum heftigst ausgepfiffen, als er den Schweizern (!) einen Elfmeter verwehrt. In Abidjan gleicht das Spielfeld im riesigen Stadion mehr einer Kraterlandschaft als einem Rasen, die Penaltypunkte sind nur neun Meter vom Tor entfernt, und die Schweizer Mannschaft erhält erst Einlass in die Umkleidekabine, nachdem ein ivoirischer Funktionär mit einem Trainingsleibchen bestochen worden ist.
Aus Simbabwe berichtet ein Journalist: «Zur Folklore zu zählen war nicht bloss der die Regeln nach Belieben auslegende Schiedsrichter, sondern auch das Vorspiel mit zwei schwergewichtigen Seniorenteams (. . .) sowie das in alten Uniformen aufmarschierte Musikkorps» – das zudem die längst ausgemusterte Nationalhymne «Rufst du, mein Vaterland» intoniert. In Mombasa schliesslich reisen die Spieler bereits umgezogen im Bus an, sitzen in der Pause auf dem Feld und duschen später im Hotel, weil es im Stadion keine Garderoben gibt.
Mit kolonialem Blick
Höchst problematisch sind einige der Zeitungsberichte, die während der Afrikareise geschrieben werden. Was möglicherweise «lustig» hätte sein sollen, zeugt von kaum kaschierten rassistischen Stereotypen. Besonders das Boulevardblatt «Blick» kennt keine Hemmungen und schreibt etwa über das Spiel «auf dem Bananenacker» in Abidjan: «In einer Negeroper haben Weisse keinen Platz» oder «Elfenbeins Zahui hat sich im schummrigen Licht kaum vom Hintergrund abgehoben». In seiner täglichen Kolumne «Marios schwarze Notizen» frotzelt Sportchef Mario Widmer über die Schweizer Segnungen für die einheimische Küche: «Dank Maggi (. . .) haben die Elfenbeineranerinnen mehr Zeit, sich der Baby-Produktion zu widmen.»
Trotz dichtem Programm ist die Stimmung in der Reisegesellschaft meist bestens. Während die Fans zwischen den Matches Ausflüge zu Sehenswürdigkeiten wie den Victoria Falls unternehmen oder am Pool liegen, absolvieren die Spieler lockere Trainings oder strampeln im Schatten von Palmen auf dem Ergometer. Trainer Wolfisberg nutzt den exotischen Trip für allerlei medizinische Messungen.
In den Ernstkämpfen tragen einige Spieler an die Waden geklebte Schrittzähler. Auch Urinproben werden gesammelt, was zu interessanten Einsichten geführt haben muss: Denn in Afrika raucht Wolfisberg mit seinen Spielern «auch mal einen Joint», wir er später erzählen wird.
Nachhaltig leistungssteigernd wirkt sich das afrikanische Abenteuer aber nicht aus. Die Nationalmannschaft verpasst die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko knapp, worauf der «Wolf» seinen Rücktritt bekanntgibt.