Beitragvon fischbach » 17.07.18 @ 10:25
Interview mit Magnin in der «Coop Zeitung».
«Es war ein Kulturschock»
Ludovic Magnin (39), Trainer des FC Zürich, kritisiert den frühen Saisonstart und zeigt, wie gross der Unterschied zwischen Deutschschweizern, Romands und Tessinern ist.
Ludovic Magnin, nur eine Woche nach der Fussball-WM beginnt bereits die Schweizer Meisterschaft. Finden Sie das gut oder schlecht?
Es ist für mich nicht ganz nachvollziehbar. Die Leute sind satt von der Überdosis an Fussball der letzten Wochen mit bis zu vier Spielen pro Tag. Zudem ist Ferienzeit. Ich rechne deshalb mit weniger Besuchern in den Stadien. Kein Land beginnt so früh wie die Schweiz. Und trotzdem spielen wir bis in den Winter hinein. Aber: Ich kann das nicht beeinflussen, also möchte ich nicht zu viel Energie darauf verschwenden. Wir müssen bereit sein, wenn es losgeht.
Für viele kann es gar nicht ein Zuviel an Fussball geben.
Für die Fussballer und Trainer ist es kein Problem. Fussball ist unser Beruf. Für die Fans ist er eine Freizeitbeschäftigung, die in Konkurrenz steht mit vielen anderen Dingen im Leben: mit der Familie, mit dem Job, mit weiteren Hobbys.
Sie haben grosses Glück: Sie dürfen sich den ganzen Tag mit Spiel und Spass beschäftigen.
Dafür bin ich sehr dankbar. Ja, ich darf meine Leidenschaft jeden Tag voll ausleben. Aber unterschätzen Sie etwas nicht: Es gibt in diesem Job auch grossen Druck. Kaum hatte ich den Trainerposten beim FCZ übernommen, ging es im Cup-Halbfinal gegen GC praktisch um alles oder nichts. Ich weiss nicht, ob ich damit ohne meine Erfahrung von 20 Jahren im Profigeschäft richtig hätte umgehen können.
Trainieren Sie die erste Mannschaft so wie Ihre Juniorenteams zuvor?
Bei den Junioren spielte ich immer mit der Distanz, manchmal war ich sehr nah und wir hatten es lustig zusammen, dann wieder konnte ich auch streng sein. Das funktioniere bei den Profis so nicht, bekam ich bei meinem Wechsel zu hören. Stimmt überhaupt nicht. Es funktioniert, zumindest jetzt. Man kann als Cheftrainer eine Autorität sein, ohne dass man sich dafür wie ein Diktator aufführen muss. Ich setze viel auf die Selbstverantwortung der Spieler in der Gruppe. Dazu gehört auch: nicht zu viele strikte Regeln, wie sie gerade die Deutschschweizer so lieben!
Sie sind also immer noch Romand im Geiste?
Nein, mittlerweile habe ich den Deutschschweizer und zugleich den Romand in mir, was eine gute Mischung ergibt, wie ich finde. Die Mentalitätsunterschiede sind gross. In der französischen Schweiz machst du das, was du heute machen könntest, morgen. Der Deutschschweizer erledigt das hingegen bereits gestern. Ergibt also schon mal zwei Tage Unterschied.
Und der Tessiner? Sie spielten ja bei Lugano, bevor Sie nach Deutschland zu Werder Bremen wechselten.
Der Tessiner erledigt es frühestens überübermorgen. (Lacht.) Wenn es am Montag hiess, dass am Dienstag die Waschmaschine geliefert werde, wusste man überspitzt gesagt nie, welcher Dienstag gemeint war: diese, nächste oder gar übernächste Woche? Es war deshalb ein Kulturschock, als ich nach Deutschland wechselte.
Nur nicht zu viele Regeln, sagen Sie.
Genau. Als Spieler bekam ich fast überall vorgeschrieben, wann genau Bettruhe ist. Dabei war ich längst Familienvater! Das macht doch keinen Sinn. Am Ende zählt, was du auf dem Platz bringst.
Welcher Trainer hat Sie am meisten geprägt?
Abgeschaut habe ich mir von jedem Trainer etwas, im Guten wie im Negativen. Aber klar, am meisten Einfluss hatte Lucien Favre, der mich bereits trainierte, als ich noch C-Junior bei Echallens war. Er überlässt nichts dem Zufall. Er weiss schon im Voraus, was in einem Spiel auf seine Mannschaft zukommen wird. Wenn es dann genau so eintrifft, kannst du dich nur noch wundern über so viel Fussballwissen. Das macht ihn als Trainer noch glaubwürdiger. Allerdings vergesse ich auch nicht, wie er mich jahrelang mit Extraschichten abmühte. Nach jedem Training schliff er mich mit mindestens 20 Minuten Spezialtraining. Dafür habe ich ihn manchmal gehasst. Heute weiss ich, wie wertvoll das für mich war.
Wann werden Sie Lucien Favre, der zu Dortmund gewechselt ist, in der Bundesliga als Trainer Konkurrenz machen?
Lassen Sie mich zuerst einmal hier in Zürich genug Kredit gewinnen. Es gibt keinen Masterplan, was meine Karriere anbelangt. Vielleicht wäre ich eines Tages sein Assistent geworden. Nun läuft es eher darauf hinaus, dass er mich in Zukunft als Trainer zu einem Club holt, wo er Präsident ist. Nein, im Ernst: Mein Einstieg beim FCZ war der bestmögliche für einen Trainer. Es ist ein riesiger Vorteil, wenn du alle im Verein bereits kennst, vom Junior über den Materialwart bis zur Sekretärin.
Was haben Sie von Giovanni Trapattoni gelernt?
Er hat mich zu einem besseren Verteidiger gemacht. Bewundernswert war aber vor allem, wie er es verstand, mit den Menschen umzugehen. Das ist eine grosse Fähigkeit: Du lässt jede Woche ein Dutzend Spieler auf der Tribüne oder auf der Bank – und trotzdem lieben dich alle. Nicht so gut war, dass er auch bei schlechten Leistungen oft alles schön redete … ausser vielleicht bei Strunz. (Lacht.)
Sie sind ausgebildeter Primarlehrer. Nützt Ihnen diese Ausbildung etwas für Ihren heutigen Job?
Jede Ausbildung prägt den Menschen und gibt ihm etwas mit. Ich lernte dort, mich gut zu organisieren. Und ich hatte danach keine Probleme mehr damit, vor einer Gruppe zu sprechen. Ich hatte nach der Primarlehrerausbildung eine Lehrerstelle für mindestens ein Jahr zugute, lehnte jedoch dankend ab und setzte ganz auf den Fussball.
Hätten Sie Ludovic Magnin gerne als Schüler gehabt?
Ja, denn der Schüler war viel ruhiger als der Spieler oder Trainer Magnin. Und seine Leistungen waren gut.
Hätten Sie Ludovic Magnin gerne als Spieler in Ihrer Mannschaft gehabt?
Ja, aber nur einen. Ich war ein schwieriger Spieler, der oft seine Meinung herausposaunen musste. Mit der Zeit kann das ermüdend sein.
Hat es die heutige Jugend einfacher?
Nein, das Gegenteil ist der Fall. Was ich damals in der fünften Klasse lernte, nehmen die Kinder heute bereits im dritten Schuljahr durch. An Elternabenden im Kindergarten bekamen wir zu hören: «Wir haben die Leistungen Ihres Kindes analysiert.» Ich antwortete: «Wie bitte, eine Analyse? Wir reden hier über einen Fünfjährigen!» Ich bedaure unsere Kinder. Sie haben keine Zeit mehr, um sich in Ruhe zu entwickeln. Die Freiheit ist klein, das Pensum, das sie zu leisten haben, umso grösser. Kinder müssten so viel wie möglich draussen miteinander spielen, stattdessen verbringen sie die Nachmittage im Schulzimmer. Ich frage mich, wohin unsere Gesellschaft steuert.
Wie geben Sie Gegensteuer?
Kann man gegen die Welt, wie sie sich verändert, ankämpfen? Ich glaube nicht. Die Eltern müssen deshalb für sich selber ausmachen, wie sie damit umgehen. Vielleicht hilft es manchmal, nicht allzu genau ins Zeugnis zu schauen.
Ein Trainer ist erst ein richtiger Trainer, wenn er …
… entlassen wurde. Das wird irgendwann und irgendwo kommen. Hoffentlich nicht allzu schnell!
Wer Trainer wird, setzt in seinem Leben nicht auf Sicherheit.
Wer ist in seinem Job heutzutage schon sicher? Der Banker? Der Verkäufer? Der Journalist? Nein, Sicherheit gibt es nirgendwo mehr. Von jedem Zweiten, den ich frage, wie es ihm geht, bekomme ich zu hören: «Ich bin am Limit.» Der Druck ist überall brutal gross. Also kann ich auch Trainer sein.