«NZZ am Sonntag»
Das Vertrauen ist kaputt
Heute Sonntag beginnt für den FC Zürich die Zukunft. Nach dem Abstieg kann sie nur besser werden – wenn der Präsident Ancillo Canepa bereit ist, einen Kulturwandel einzuleiten.
Ein Abstieg legt so manches frei. Fragen zum Beispiel: Wer ist schuld? Wer sühnt? Wer tut Busse? Wer richtet? So ein Abstieg legt aber auch Gefühle offen. Und wer Gefühle sagt, muss von negativen Gefühlen sprechen. Ihre Bezeichnungen entstammen dem Vokabular der Betroffenheits-Rede: Enttäuschung, Leere, Trauer, Wut. Geht es bei so einem Abstieg also ums Leben? Nein. Es ist viel ernster: Es geht um Fussball.
Der FC Zürich ist abgestiegen. Und wer in den vergangenen Tagen Zeuge war der Ereignisse rund um diesen FC Zürich, konnte in der Tat den Eindruck gewinnen, dass Fussball viel, viel mehr ist als ein Spiel, bei dem zwei Mannschaften mit dem Ball Dinge vollführen, denen die Leute gerne zuschauen und danach zufrieden nach Hause gehen.
Als es am Mittwoch im Letzigrund in den letzten Minuten des Spiels gegen Vaduz still und stiller wurde, die Stille zu einer eisigen, furchteinflössenden Drohkulisse gefror, sich entlud in wüsten Schmährufen und schliesslich gipfelte im Sturm des Kabinenganges durch gewalttätige Chaoten, war während einigen Minuten nicht der Fussball infrage gestellt, sondern Ernsteres: das Leben.
Die Art und Weise, wie man das Leben führt, ist in weiten Teilen immer wieder Verhandlungssache. Und das, was sich in den vergangenen Tagen und Wochen um den FCZ ereignet hat, legt frei, dass sich ein Fussballklub, wie im Leben, gerade dazu aufmacht, sich neu zu verhandeln. Sein Selbstverständnis. Seine Kultur. Seine Art des Zusammenlebens, sein Identifikationsangebot. Die Frage also, was vom Klub wem gehört und wer an wen welche Ansprüche und Erwartungen stellt.
Canepa, der Büsser
Es ist eine ähnliche Situation wie im FC Basel vor zehn Jahren nach dem 13. Mai, als der FCB nach den Ausschreitungen im verlorenen Meisterschaftsfinal gegen den FCZ einen zu Beginn mühevollen Prozess der Selbstbefragung einzuleiten begann, der bis heute andauert. Und natürlich ist es eine Ironie, dass mit dem 13. Mai 2006 der FCZ eine Entwicklung nach oben nahm, die über zwei Meistertitel, zwei Cup-Siege und eine Champions-League-Teilnahme führte, seit 2010 aber schleichend abwärts wies und nun im Abstieg endet.
Es ist viel geredet und geschrieben worden über die Gründe des Abstieges, und natürlich führen alle Wurzeln des Übels zum FCZ-Präsidenten Ancillo Canepa. Das ist nicht ganz richtig, aber falsch ist es auch nicht. Denn Canepa hat sich mit seinem Temperament und mit seinen Fehleinschätzungen schon länger verirrt in einem Dickicht aus Beratungsresistenz, Betriebsblindheit und Rechthaberei. Der Abstieg ist nun das Gericht, der Fall verurteilt Canepa als Schuldigen, und weil Canepa weitermachen wird, ist Canepa auch der Büsser.
Dazu gehört, dass er weiter zahlt und weiter Millionen aus seinem Portemonnaie und dem seiner Frau Heliane in den FCZ einschiesst. Zum Busse-Tun gehört aber vor allem sein Signal vom Freitag, dass er und seine Frau bereit sind, das Selbstverständnis als alleinige Entscheider neu zu verhandeln. In Canepas Sprache tönt das so: Er will «die Strukturen analysieren», «Fachleute von aussen beiziehen» und «gegebenenfalls Korrekturen vornehmen».
Das sind natürlich vorerst Lippenbekenntnisse. Aber wer Canepa kennt und weiss, wie rasch Diskussionen mit ihm in mühselige Auseinandersetzungen festfahren können, erkennt in seinem Signal doch so etwas wie die Bereitschaft, sich nur schon Fragen gefallen zu lassen. Allein das ist viel für Canepas Verhältnisse. Vordringlich ist die Installierung einer sportlichen Führung, in der Canepa seine Allmacht einzuschränken und andere Meinungen als die eigene Wahrheit zuzulassen imstande ist. Was daraus wird, zeigt schon bald die nahe Zukunft. Bereits Mitte Juni beginnt der Trainingsbetrieb, Mitte Juli die Meisterschaft mit dem Ziel, nach einer Saison in der Challenge League wieder in der Super League zu spielen.
Aber das ist nur der kleinste Teil der Herausforderung, der sich Canepa stellen muss. Denn während sich die Wirkung der Korrekturen in der sportlichen Führung rasch an den Leistungen und im Tabellenstand ablesen lassen, wird der Prozess zu einem neuen Selbstverständnis viel mehr Zeit in Anspruch nehmen nach Jahren, in denen der Präsident den Klub zunehmend wie ein Gutsherr führte. Die zerbrochenen Beziehungen zu den Gönnern müssen wieder aufgebaut, das Vertrauen der Partner zurückgewonnen, die Abläufe zwischen den Canepas und der Geschäftsstelle verbessert werden. Soll das gelingen, muss Canepa nicht nur sein Selbstverständnis als Gutsherr, sondern auch als oberster und erster FCZ-Fan ändern. Eine harte Probe.
Canepa, der Besitzer
Natürlich bleibt Canepa Besitzer des FCZ. Die jüngsten Ereignisse um den Abstieg haben aber wieder einmal gezeigt, dass auch der Klubbesitzer als Alleinaktionär, Präsident und Sportchef den Klub nicht wie sein Eigentum besitzen kann. Der Besitzer muss sein Eigentum immer teilen mit den Leuten, die ins Stadion kommen, zuschauen, über den Klub reden, sich freuen, sich ärgern.
Die wüsten Gewaltszenen vom Mittwoch hatten ihre Ursache für einmal eben nicht nur im Abstieg und im fehlgeleiteten Mob, sondern auch in der Unzufriedenheit über das zerbrochene Selbstverständnis des Vereines. Nun steht es offen zur Disposition. Dabei kann nichts Schlimmeres herauskommen als Fussball. Und sollte es wirklich ernst werden, gibt es immer noch das Leben.