Beitragvon fischbach » 07.05.16 @ 9:47
«Tages-Anzeiger»
Soll keiner überrascht sein
Beim FC Zürich müsste nun jeder erkannt haben, dass es nur noch um den Ligaerhalt geht. Schuld an der misslichen Lage sind Präsident, Trainer und Mannschaft.
Der Filmer des lokalen Fernsehsenders möchte noch eine letzte Sequenz drehen. Wie Sami Hyypiä nach der Pressekonferenz davonläuft. Hyypiä mag aber nicht, weil er findet, dass es genug Aufnahmen von ihm gibt. Der Filmer sagt, es wäre zur Abrundung seines Berichts. «Und was ist, wenn ich nicht weggehe?», fragt Hyypiä. Dann setzt er sich wieder.
50 Minuten hat der Coach des FC Zürich in diesem Moment geredet, 50 Minuten, die viele Einblicke bieten in sein Innenleben, in das Denken von Spielern, die manchmal den Eindruck machen, als würden sie nicht allzu viel denken, Minuten, in denen Hyypiä sagt: «Wenn die Spieler die Situation jetzt nicht begriffen haben, würde mir das sehr grosse Sorgen machen.»
Der FCZ ist im Abstiegskampf. Das ist er nicht erst seit dem 0:4 vom letzten Sonntag in Thun, das ist er schon viel länger. Nur haben es noch nicht alle wie Alain Nef empfunden, für den dieser Kampf eigentlich schon mit den ersten Spielen angefangen hat. Es gibt zum Beispiel auch noch einen Präsidenten, der vom 2:2 vor vier Wochen in Basel derart beseelt war, dass er von der Qualifikation zur Europa League schwadronierte – von Platz 4 also. Dabei lag der FCZ damals, neun Runden vor Saisonende, bereits acht Punkte hinter Sion. Seither hat es 1:11 Punkte und 1:9 Tore gegeben.
Die ungenutzte «Carte blanche»
Nach dem Absturz in Thun hat Hyypiä gesagt, mit solchen Leistungen würden sie absteigen. Darum ist ihm in einer Zeitung vorgehalten worden, er sei ratlos. Das versteht er nicht.
So schlecht wie jetzt hat der FCZ zu diesem Zeitpunkt einer Saison seit 2003/04 und der Einführung des aktuellen Modus nie dagestanden, nicht einmal annähernd so schlecht. Die Entwicklung aber soll keinen überraschen – nicht bei diesem Präsidenten, diesem Trainer, dieser Mannschaft.
Präsident Ancillo Canepa hat schon viel gesagt über seine Angestellten. Urs Fischer war sein «bester Personalentscheid», Urs Meier hielt er selbst während der Niederlagenserie vor einem Jahr für einen «überdurchschnittlichen Trainer». Und Hyypiä: Ihm hat er die «Carte blanche» zugesteckt, so begeistert war er, dass er einen Trainer gefunden hat, der als Spieler die Champions League gewonnen hatte (2005 mit Liverpool).
Hyypiä setzt auf das Credo, dass viel Laufen die Grundlage für Erfolg ist. In Zürich kann er die Spieler noch lange laufen lassen, sie tun trotzdem nicht so, wie er möchte. Er versucht wohl, sie zu motivieren und darauf hinzuweisen, was es für den Erfolg braucht. Nun hat er die Erkenntnis gewonnen: «Wenn ich nicht jeden Tag darüber rede, habe ich das Gefühl, dass sie etwas vergessen.»
Das entzauberte Talent
Der 42-jährige Finne ist da, wo er nicht sein möchte. Was er an diesem Freitag berichtet, lässt zwei Schlüsse zu. Erstens: Er hat Spieler, die keine wirklichen Profis sind. Und zweitens: Hyypiä fehlt es an Ausstrahlung, um sie von seinen Ansichten zu überzeugen. Was immer richtig ist, für jemanden spricht das nicht: für die Spieler, die nicht wissen, was Selbstverantwortung bedeutet.
«Was ist Siegermentalität?», fragt darum Hyypiä, «Siegermentalität heisst, dass man bereit ist, auf dem Platz alles aus sich herauszuholen, was in Kopf und Körper ist.» Bei den Zürchern ist es so, dass sie nicht immer allzu viel aus sich herausholen. Wie sonst könnte der Trainer etwa nach dem 0:1 gegen Luzern das Gefühl haben, dass sie körperlich nicht alles gegeben haben? Er verhehlt nicht, wie er empfindet, wenn er redet und mahnt und seine Botschaften trotzdem nicht ankommen. «Nicht schön» sei das, sagt er.
Als Spieler war Hyypiä ein Kämpfer. Als Trainer will er das auch sein. Sein Erfolg ist begrenzt. In den letzten zweieinhalb Jahren gewann er mit Leverkusen, Brighton und dem FCZ 11 Meisterschaftsspiele, 11 von 60. Bei Bayer wurde er entlassen, an der englischen Südküste resignierte er selbst. Und in Zürich? Da will er nicht aufgeben.
Scheitert Hyypiä, wäre es nicht die erste Fehleinschätzung des Präsidenten. Yannick Brecher sei «das grösste Goalietalent der Schweiz», hat er vor einem Jahr gesagt. Oder über Davide Chiumiento im Juli 2014: «Ein sehr wichtiger Leistungsträger und Leader.»
Wie man ein Talent entzaubert, hat Hyypiä gezeigt. In den ersten 14 Runden spielte Brecher, dann auf einmal Anthony Favre, und als der beim 2:4 gegen GC gepatzt hatte, kehrte Brecher ins Tor zurück. Besser ist bis heute trotzdem nichts geworden. Chiumiento wiederum versprach, nachdem seine interne Suspendierung aufgehoben war: «Ich bin bereit, Vollgas zu geben.» Das tat er genau einmal, beim 3:0 in Vaduz. Ansonsten besitzt er das Talent, das zu sagen, was man hören will. Deshalb gehört er zu den Problemfällen eines Vereins, der sich zu schade ist für den Abstiegskampf.
Der unwirsche Putin-Freund
Natürlich lässt sich sagen, ein Victor Sanchez fehle in der Abwehr. Natürlich besitzt Alexander Kerschakow nach wie vor gewisse Qualitäten. Aber auch ohne Sanchez braucht die Mannschaft nicht an fehlender Einstellung zu leiden. Und Kerschakow hilft mit seinem Hang, jeden für seine Fehler verantwortlich zu machen, nur nicht sich selbst, auch nicht weiter. «Ich möchte, dass er seine Frustrationen weniger zeigt», sagt Hyypiä.
Was den Russen betrifft, macht ohnehin ein Gerücht die Runde: Der Präsident habe ihn im Winter nur geholt, um dessen Nähe zu Wladimir Putin ausnutzen und Gazprom als Sponsor gewinnen zu können. Da erinnert man sich an die Botschaft der Südkurve zum Ende letzten Jahres: «Nein zum Sportchef ohne Fachkompetenz.» Beim FCZ ist der Präsident auch der Sportchef.
Sechs Spiele hat der FCZ noch, um die Saison zu retten, davon ist eines der Cupfinal am 29. Mai gegen Lugano. Heute trifft er auf Basel. Dass der Meister in Ferienlaune nach Zürich reist, glaubt Hyypiä nicht. Das Spiel ist die beste Chance zur Rehabilitation für den FCZ. Ein wahrer Charaktertest folgt am Mittwoch. Dann kommt Lugano in den Letzigrund.