Beitragvon Jure Jerkovic » 04.08.15 @ 1:47
treffender kommentar von nzz online:
Yassine Chikhaoui
Nie ganz da
Der Captain des FCZ war immer Verheissung und nie Erfüllung. Und doch hinterlässt er auch Erinnerungen an reines Fussballglück.
Kommentar von Christine Steffen, 3.8.2015, 20:14 Uhr
Das letzte Bild von Yassine Chikhaoui erscheint wie ein Symbol: Er sitzt im Derby am Sonntag auf der Tribüne, entrückt. Wieder einmal ist er nicht bereit, wie so oft in den letzten acht Jahren. Meist waren es Verletzungen, die ihn fernhielten: Entzündung der Achilles- und Patellasehne, Muskelriss, Schienbeinbruch, Knieprobleme, Magenschmerzen. Trainingsrückstand ist es dieses Mal.
Und jetzt geht er also wirklich, nach Doha zu Al-Gharafa, für den FCZ sei «das Package okay», sagt Ancillo Canepa. Schon einmal wollte man sich von Chikhaoui trennen, nach sieben Jahren, in denen er immer nur Verheissung war, aber nie Erfüllung. Er wurde nicht zum Millionentransfer, den man sich versprochen hatte, viel zu sehr war er mit seinem fragilen Körper beschäftigt. Und irgendwann waren die Hoffnungen so schal, dass man sie aufgab.
Doch als die Trennung beschlossen war, fiel die Last ab. Chikhaoui blühte auf, im Cup-Final 2014 gegen Basel führte er die Mannschaft nicht nur zum Sieg, er trat heraus aus seiner Deckung und bekam ein Gesicht, ein lachendes sogar. Jahrelang war er ein Phantom gewesen, seit ihn eine Zeitung in die Nähe radikaler Islamisten gerückt hatte. Er hatte sich zutiefst missverstanden gefühlt und zurückgezogen; im Stade de Suisse nach dem Cup-Sieg sprach er plötzlich gelöst in Mikrofone.
So richtig erstaunen konnte es nicht, dass Chikhaoui dann doch wieder einen Vertrag bis 2017 bekam – die Kehrtwende passt zum FCZ und seinem Präsidenten, dem Hang zur Emotionalität im Guten wie im Schlechten. Canepa hatte immer eine besondere Beziehung zu Chikhaoui gehabt, seit er ihn als 20-Jährigen aus Tunesien nach Zürich geholt hatte. Der frühere FCZ-Sportchef Fredy Bickel hat einmal erzählt, der Spieler habe ihn und Canepa gar nicht sehen wollen. Erst als er erfahren habe, dass zwei Leute wegen ihm ein Flugzeug gechartert hätten, sei er bereit gewesen, zu verhandeln. Und als er das Gefühl bekam, die beiden seien ernsthaft interessiert, hat er sich schnell für den FCZ entschieden.
So funktioniert Chikhaoui: Er ist zwar stolz und distanziert; erhält er aber Vertrauen, fühlt er sich respektiert; dann lässt er sich ein. Auf dieses Prinzip setzte Urs Meier, als er den Tunesier vor einem Jahr zum Captain machte – er übertrug ihm Verantwortung und schenkte ihm Kredit. Eine Weile ging das gut; Anfang der letzten Saison spielte Chikhaoui zuweilen nicht nur überragend, er war auch der Chef auf dem Platz. Mit dem Team geriet in der zweiten Saisonhälfte aber auch der Captain in die Krise. Und es zeigte sich, dass Genialität auch Hypothek sein kann. Je schlechter es lief, desto stärker suchte die Mannschaft Chikhaoui, so, als könnte er zaubern. Sie gab Verantwortung an einen ab, statt sie zu verteilen. Manchmal hatte man das Gefühl, das Team spiele befreiter ohne seinen Captain. Am Ende schien Chikhaoui den Klub fast nur noch zu belasten. Auch wegen seiner Reisen nach Tunesien, die immer wieder Thema waren und die Atmosphäre störten. Als er die Mannschaft über den Abgang informiert habe, habe keiner der Kollegen etwas gesagt, erzählt Canepa.
Man hätte sich Chikhaouis Abschied anders gewünscht. Zum traurigen Ende passt die Episode von seiner Verhaftung im Mai in einer Manor-Filiale, als die Polizei ihn mit einem Taschendieb verwechselt hatte. Man kann nur vermuten, welche Demütigung es für einen so stolzen Mann bedeutet, in der Öffentlichkeit zu Boden gedrückt zu werden. Vor allem Chikhaouis Frau habe sich schwer vorstellen können, hier zu bleiben, sagt Canepa. Ein paar Wochen zuvor hatte das Bundesamt für Migration noch einen kleinen Film mit Chikhaoui vorgestellt, als Beispiel für eine gelungene Integration. Aber wie gut ist Chikhaoui wirklich angekommen?
Wenn er jetzt geht, hinterlässt er Erinnerungen an reines Fussballglück. Aber auch das Gefühl, dass er immer entrückt war, nie ganz da.