Beitragvon fischbach » 08.06.14 @ 12:14
Ein Ehemaliger, der wieder ein Aktueller ist – Artikel aus der «NZZ am Sonntag» über Thomas Bickel:
Talent vergeudet, Talent erspäht
Mittelfeldstratege Thomas Bickel schöpfte sein Potenzial nicht aus. Jetzt will er als FCZ-Scout, dass es die Jungen besser machen.
Von Silvan Lerch
Spielintelligenz, Balltechnik, Übersicht: Alles brachte Thomas Bickel mit. Dazu hatte er den vielleicht härtesten Schuss im Land. Trotzdem stellt der ehemalige offensive Mittelfeldspieler heute fest: «Es wäre mehr drin gelegen in meiner Karriere.» Immerhin, sie führte ihn Mitte der 1980er Jahre vom FC Biel in die Nationalliga A zum FCZ, dann zu GC und schliesslich nach Japan zu Vissel Kobe, wo er 1997 wegen Rückenbeschwerden mit 33 zurücktrat. Die Bilanz ist so schlecht nicht: Zwei Meistertitel, drei Cup-Siege, 52 Länderspiele und eine WM-Teilnahme 1994 in den USA stehen zu Buche. Aber eben: «Ich habe zu viel vom Talent gelebt», sagt Bickel.
Um künftige Profis vor derselben Erkenntnis zu bewahren, engagiert sich der 50-Jährige nun im Nachwuchsfussball. 2013 bewarb er sich um eine Trainerstelle bei den Letzi-Kids des FCZ. Daraus wurde mehr: eine Verpflichtung als Juniorenscout und Talentmanager. Marco Bernet, der technische Direktor des Vereins, lobt seine «Sozialkompetenz, Glaubwürdigkeit und Erfahrung». Jetzt ist es an Bickel, den Jugendlichen klarzumachen, dass Talent allein nicht reicht. Die Aufgabe beim FCZ erfüllt er im 50-Prozent-Pensum. Daneben bildet er sich zum Trainer aus. Als Nächstes absolviert Bickel die Prüfung zum B-Diplom. Es ermöglicht ihm, Teams bis zur 2. Liga zu coachen. Wohin ihn dieser Weg führen soll, weiss er noch nicht.
Umso mehr überrascht die eingeschlagene Richtung. Sie bedeutet die Rückkehr eines Freigeists, der mit dem Fussball abgeschlossen zu haben schien. 1999, zwei Jahre nach dem Rücktritt, eröffnete Bickel in Zürich das «Schmuklerski»: zuerst Quartierbeiz, später Grand-Café und Restaurant. Er führte mit seiner heutigen Frau auch ein Hotel auf Mallorca und in Rapperswil ein weiteres Restaurant. Als Profi habe er oft auswärts übernachtet und deshalb gedacht, er wisse schon, wie ein solcher Betrieb zu leiten sei, begründet Bickel den Einstieg ins Gastgewerbe. Richtig angekommen sei er dort aber nie – ausgerechnet er, der einst nicht nur für den Fussball gelebt und erst in Japan sein Potenzial annähernd ausgereizt hatte, weil er die Fremde brauchte, um sich auf den Sport konzentrieren zu können. Bickel tat sich in der Gastronomie schwer mit dem nüchternen Kalkulieren. Dafür müsse man «knallhart» sein. Doch dieser Zug ist ihm fremd.
Das war Bickel schon früher zum Verhängnis geworden. Als Spieler hatte er sich falsch beraten lassen und fast sein ganzes Vermögen durch Immobilien-Investitionen verloren. Was ihm blieb, war der Mut. Ihm bereite es «keine Mühe, Risiken einzugehen», zumal das Materielle seine Lebensqualität nicht bestimme, sagt er. Doch mittlerweile spürt Bickel den Druck, nicht mehr nur für sich, sondern für eine Familie mit drei Kindern aufkommen zu müssen. 2012 hörte er als Gastwirt auf. Finanziell gelohnt hat sich die Tätigkeit nicht.
So stiess er die Tür zum Fussball wieder auf. Dass er ihn lange kaum verfolgt hatte, lässt Bickel nicht zweifeln. Er besitze das Auge, Wissen und Kontaktnetz, um gute Arbeit zu leisten. Vielleicht findet er ja für den FCZ einen Junior mit Spielintelligenz, Balltechnik und Übersicht, wie sie ihn auszeichneten und wie sie der brasilianischen Nationalmannschaft eigen sind. Diese ist Bickels Herzensangelegenheit an der WM. Dem Schweizer Team traut er den Einzug in den Viertelfinal zu. 1994 war er mit der Nati im Achtelfinal an Spanien gescheitert. Das Team habe sein Potenzial nicht ausgeschöpft, lautet Bickels Fazit. Das gilt auch für die eigene Karriere.