NZZ-Artikel zum Unglück von Keita in St. Gallen:
Plan gescheitert
Alhassane Keita kam im Sommer zurück in die Schweiz und wünschte sich, für den FC St. Gallen 25 Tore zu schiessen und eine zweite Karriere zu starten.
akn. Es war ein Sommertag vor dem Saisonstart: Auf dem Trainingsplatz vor der St. Galler AFG-Arena stand Alhassane Keita, umringt von einer Schulklasse. Alle wollten sie ein Autogramm vom neuen Stürmer des FC St. Gallen, dem Super-League-Torschützenkönig von 2006, der nach Engagements in Saudiarabien und Dubai in die Schweiz zurückgekehrt war. Keita erfüllte liebenswürdig und mit viel Charme alle Wünsche. Danach gab er Interviews und relativierte dabei keineswegs seine Ankündigung, er wolle 25 Tore schiessen. Er sagte selbstbewusst: «Ich weiss, was ich kann.» Der 30-Jährige erzählte von seinem Plan einer zweiten Karriere. St. Gallen ist dabei nur Übergangsstation, das Ziel ein Vertrag mit einem grossen Klub.
Trost von Mitspielern
22 Spiele danach, ein kalter Sonntagnachmittag Anfang März in der AFG-Arena: Keita gelingt praktisch nichts. In der Pause sagt ihm Jeff Saibene, dass dies zu wenig gewesen sei. Danach läuft es etwas besser. Aber da sind immer wieder Fehler, haarsträubende Missgeschicke. Sie fallen umso mehr auf, da Keita sich jeweils in aussichtsreicher Position befindet. Einmal spielt er sich den Ball selber ins Aus. Als er ausgewechselt wird, laufen ihm Mitspieler nach, machen tröstende Gesten. Auf der Haupttribüne fragt jemand: «Weint er?» Der Anhang, der ihn auch schon ausgepfiffen hat, bleibt ruhig. Das vorherrschende Gefühl ist Mitleid. Keita scheint am Tiefpunkt angelangt. Am Samstag gegen den FC Basel steht er nicht einmal mehr im Aufgebot, obwohl der einzige andere Stürmer, Goran Karanovic, angeschlagen ist.
War alles ein Missverständnis? Keita liess Ende letzter Woche durch den Mediensprecher ausrichten, er wolle nicht über seine Situation reden. Ein paar Tage zuvor hatte er noch einem Journalisten einer Regionalzeitung erklärt, ihm fehle bloss der Spielrhythmus. Saibene sagt, dass Keita gut ins Team integriert sei. Es sei für ihn nicht nachvollziehbar, wieso der Stürmer seine guten Leistungen aus den Trainings nicht abrufen könne. Saibene sagt auch noch: «An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht.»
Es gibt Erklärungsversuche, wieso sich beidseits die Hoffnungen bis anhin nicht erfüllen. Sie zeigen ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren: Am Anfang war Keita Opfer des modifizierten Spielsystems. Die Mannschaft agierte mit langen Zuspielen auf den einzigen Stürmer. Auch wenn dieser Keita hiess. Der nur 1,69 Meter grosse Angreifer sah dabei naturgemäss schlecht aus. Saibene reagierte und setzte ihn vor allem noch als zweite Spitze ein. Langsam schien Keita Tritt zu fassen, ab und zu traf er, erzielte bisher vier Tore.
Blamabler Penalty
Dann kam der fatale Moment. Im Dezember, im Cup-Spiel gegen den FCZ, verschoss Keita kläglich einen Elfmeter: Ein Anlauf mit Trippelschritten, ein Schüsschen in die Mitte. Danach wurde er von den Fans ausgepfiffen und in der Pause ausgewechselt. Seit dieser Szene hat ein Grossteil des Anhangs Keita abgeschrieben. Die Negativspirale liess sich nicht mehr stoppen.
Keita zeigt das Bild eines Spielers, hinter dessen demonstrativem Selbstvertrauen sich wohl eher eine tiefe Verunsicherung verbirgt. Der selber nicht mehr weiss, was er nach den Jahren mit gut dotierten Verträgen in der Wüste eigentlich noch kann. Der sich selber überzeugen möchte – und in entscheidenden Momenten versagt. Keita erlebt von Wochenende zu Wochenende, wie sich sein grosser Plan mit dem Neustart der Karriere in Luft auflöst. Und hat offensichtlich kein Rezept dagegen.
http://www.nzz.ch/aktuell/sport/fussball/plan-gescheitert-1.18259191