Die NZZ mit einer schönen Pedro-Story vor dem Cup in Bassersdorf:
http://www.nzz.ch/aktuell/sport/fussbal ... 1.18134214Als Kind, sagt Pedro Henrique, sei er den Pferden hinterhergerannt, als dünner, bleicher Bub mit Kupferhaaren, der schon damals so schnell laufen konnte wie der Teufel. Den Kopf hält er immer gesenkt, es sind fast blinde Tempoläufe, und so spielt er auch heute noch Fussball. Wenn der FCZ-Trainer Urs Meier sieht, wie Pedros Kopf nach unten geht, denkt er: «Jetzt ist es wieder so weit, nun geht er in den Galopp.» Und dann wird es wild.
Pedros Frau Rafaela sitzt oft auf der Tribüne und schaut zu. Sie sagt, sie spüre, wie sich die Körperhaltung der Zuschauer verändere, wenn Pedro an den Ball komme; es kann dann alles passieren, Unbekümmertes, Verrücktes, Gefährliches, oft auch alles gleichzeitig.
Untypischer Brasilianer
Pedro Henrique Konzen Medina da Silva hat nicht nur einen Namen wie Honigmilch. In diesen Wochen ist er der auffälligste Spieler des FC Zürich; ein Fussballer fast ohne taktische Grundlagenausbildung, strategisch ungeschult, ein hyperaktiver Instinktspieler, 23-jährig, seit Januar 2012 in Zürich, gekommen aus der dritten Division Brasiliens, von Ser Caxias. Dort hat in den siebziger Jahren auch der brasilianische Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari gespielt.
Wenn man einen typischen Brasilianer beschreiben müsste, er sähe aus wie das genaue Gegenteil des schmächtigen Pedro. Sein Vater war dunkelhäutig, von ihm hat er den Namen «Medina da Silva», aber sonst fast keine Ähnlichkeit geerbt; die «Konzen» waren deutsche Einwanderer, sein Urgrossvater hat Deutsch gesprochen. Pedro ist anders als andere brasilianische Fussballer, nicht nur äusserlich, er hat auch keine Favela-Biografie wie so viele von ihnen.
Pedro wuchs auf einer Fazenda auf, einem Grossbauernhof im Süden Brasiliens, weit weg von allen Gefahren der Stadt, 20 Kilometer von Santa Cruz do Sul entfernt. Es klingt nach ländlicher Idylle, wenn er von den Pferden erzählt, von Mais- und Kartoffelanbau, von der Tabakernte, bei der er mitgeholfen hat. Santa Cruz do Sul gilt als Hauptstadt des Tabaks, und auf dem Landgut ist viel davon angebaut worden, weil er sich gut verkaufen liess. Pedro lebte auf dem Hof bei Grossmutter, Onkel und Tante. Den Vater hat er nie gekannt, erst später erfuhr er, dass er nicht mehr lebt. Die Mutter arbeitete als Putzfrau, und auch sie verstarb früh, 33-jährig, an den Folgen eines Hirnödems. Pedro war sechs Jahre alt.
Als Pedro vor eineinhalb Jahren ins Trainingslager des FC Zürich reiste, war das ein Privat-Casting für ihn, ein Vorspielen, bei dem er die Verantwortlichen überzeugen musste; es ging um nichts weniger als seine Zukunft. Sein Agent Cesar Sant'Anna hatte Ende der neunziger Jahre beim FCZ zusammen mit dem damaligen Trainer Urs Fischer gespielt, das war der Berührungspunkt zwischen dem fernen Caxias und Zürich, eine frühere Fussballer-Freundschaft.
Daumen nach oben
Aber den Verantwortlichen wie dem Präsidenten Ancillo Canepa und dem früheren Sportchef Fredy Bickel genügten die Bewerbungsvideos auf Youtube nicht, die sie zuerst zu sehen bekamen. Auf ihnen ist zu erkennen, wie Pedro auf dem Rasen hin und her rast, auf geheimnisvollen Laufwegen, die nur er zu kennen scheint. Aufgrund der Fernsehbilder hätte Bickel wohl abgelehnt; er hatte damals ohnehin lieber den Argentinier Gonzalo Zarate verpflichten wollen, aber dafür reichte das Geld nicht. Bickel und Zarate sind heute zusammen bei den Young Boys in Bern.
Pedro aber überzeugte im Trainingslager in seinem ersten Spiel. Er sagt: «Der Präsident hat nach fünf Minuten den Daumen nach oben gehalten, und da wusste ich: Alles wird gut für mich.»
Der Transfer wäre dennoch beinahe gescheitert, und natürlich lag dies wieder einmal am Geld. Anfangs hatte es geheissen, Pedro sei «praktisch gratis», am Ende kostete er dennoch fast eine halbe Million Franken Ablöse, und Canepa ging persönlich auf Investorensuche. Pedro bekam die mythische Nummer 10, die Zahl von Pelé, Ronaldinho oder Neymar. Das ist deshalb bemerkenswert, weil Pedro vieles ist, bestimmt aber kein Spielmacher und schon gar kein Stratege. Doch der FCZ ist es gewohnt, dass bei ihm untypische Spieler die Nummer 10 tragen; der letzte vor Pedro war Tico, ein Nigerianer mit grossem Ego und noch grösseren technischen Mängeln, der später nach Katar ging und heute bei den Mpumalanga Black Aces in Südafrika spielt.
Im FC Zürich geht Pedro in taktische Nachhilfestunden. Der frühere Trainer Rolf Fringer hatte dies intensiv üben lassen und ihn damit vermutlich überfordert. Der Coach Urs Meier sagt: «Man darf ihn nicht mit zu viel Theorie überfüttern, sonst bringt man ihn in eine Stresssituation. Man darf ihn nicht plagen, sondern muss warten, bis er aufnahmefähig ist.» Und Pedro lernt. Ein versierter Taktiker wird nicht mehr aus ihm, aber er hat verstanden, dass er seine Energie besser kontrollieren muss. Meier sagte zu ihm: «Du kannst nicht immer sechs Gegenspieler ausdribbeln und dich vom siebten umhauen lassen. Das ist schlecht für deine Gesundheit.» Und auch seine Gegner haben weniger zu befürchten von ihm als früher: Vor einem Jahr hatte er wegen eines gemeingefährlichen Fouls vier Spielsperren absitzen müssen. Er sagt: «Das hat mich verändert. Es war ein Wendepunkt in meiner Karriere.» Aber Fussball spielt Pedro immer noch gleich, wie ein fliehendes Pferd, und manchmal, wenn es ihm sein Trainer Meier oft genug sagt, hebt er inzwischen sogar den Kopf.