Beitragvon eifachöppis » 08.02.13 @ 12:15
Ein böser Verdacht
St. Galler Tagblatt vom 07.02.2013
Der St. Galler Staatsanwaltschaft wurde vor Gericht vorgeworfen, im Verfahren gegen einen Fussballfan entlastendes Videomaterial zurückgehalten zu haben. Nun reicht die Justiz den Schwarzen Peter an die Stadtpolizei weiter.
DANIEL WALT
ST. GALLEN. Eigentlich hält Anwältin Manuela Schiller nichts von Verschwörungstheorien. «Wenn Fussballfans mir gegenüber behauptet haben, die Justiz unterdrücke entlastende Videos, antwortete ich jeweils, dass ich an den Rechtsstaat glaube», sagt sie. Nun sind ihr während eines Prozesses gegen einen jungen Anhänger des FC Basel allerdings gewisse Zweifel gekommen. Der Fan wurde vom St. Galler Kreisgericht freigesprochen, nachdem zunächst unter Verschluss gehaltene Videoaufnahmen keine strafbaren Handlungen gegenüber einem Securitas-Mitarbeiter gezeigt hatten (Ausgabe vom vergangenen Freitag).
Wiederholt abgeblitzt
Die juristische Auseinandersetzung drehte sich um das Spiel FC St. Gallen – FC Basel vom vergangenen August. Dem 18-Jährigen wurde vorgeworfen, einen Sicherheitsangestellten getreten zu haben. «Der junge Mann sagte von Anfang an, er habe nichts gemacht, und es gebe sicherlich Aufnahmen der Überwachungskameras, die seine Unschuld bewiesen», so die Zürcher Anwältin, die immer wieder Fussballfans vertritt. Auf ihr wiederholtes Begehren, Einblick in die Aufnahmen zu nehmen, hiess es von Seiten der St. Galler Staatsanwaltschaft jeweils, es gebe keine beziehungsweise keine beweisrelevanten Aufnahmen.
Das Glück ihres Mandaten war es, dass andere Basler Fans Schiller in der Folge eigene, den Mann entlastende Videobilder zuspielten. Schliesslich musste die Staatsanwaltschaft auf Geheiss des Einzelrichters die offiziellen Videoaufnahmen doch noch herausrücken. Sie bestätigten die Aussagen des 18-Jährigen ebenfalls weitgehend. Der Mann wurde schliesslich freigesprochen.
«Es wurde nichts verheimlicht»
Was sagt Natalie Häusler, Mediensprecherin der St. Galler Staatsanwaltschaft, zum Fall? «Seitens der Stadtpolizei wurde der fallführenden Staatsanwältin mehrfach versichert, dass es keine relevanten Aufnahmen des Beschuldigten gebe», antwortet sie. Auf nachträgliche Anordnung des Gerichts habe die Polizei dann festgestellt, dass eben doch Aufnahmen der betroffenen Person existierten. «Diese wurden in Absprache mit der Staatsanwältin dann umgehend dem Gericht eingereicht.» Verheimlicht worden sei zu keinem Zeitpunkt etwas – «im konkreten Fall gab es zwei übereinstimmende Aussagen der Securitas-Mitarbeiter, an welchen kein Zweifel bestand», so Häusler. Die Staatsanwaltschaft akzeptiert den Freispruch für den Basler Anhänger. Häusler bekennt, dass es immer stossend sei, wenn jemand verurteilt werde, obwohl er sich nichts habe zuschulden kommen lassen.
«Hätte keine Chance gehabt»
Fananwältin Manuela Schiller ist rückblickend überzeugt: Ohne die Aufnahmen, die ihr von Basler Seite zugespielt wurden und aufgrund derer sie Druck aufbauen konnte, hätte ihr Mandant keinerlei Chancen auf einen Freispruch gehabt. «Insbesondere bei Prozessen rund um Fussballspiele ist der Grundsatz praktisch nicht erreichbar, wenn Aussage gegen Aussage steht. Die Richter können es sich schlicht nicht vorstellen, dass vielleicht auch einmal ein Sicherheitsangestellter nicht die Wahrheit sagt», so Schiller. Sie hofft, dass der aktuelle Fall Anlass für die Richter ist, in dieser Hinsicht in sich zu gehen.
Folgeprobleme zu lösen
Begrüssenswert fände es Manuela Schiller zudem, wenn Polizei und Justiz mit derselben Sorgfalt nach entlastendem Bildmaterial suchten wie nach belastendem, wie sie sagt. Dann wäre es nämlich nicht so weit gekommen, dass der mittlerweile freigesprochene 18jährige Basler Anhänger bis am Montag nach dem Spiel in St. Gallen festgehalten wurde und deshalb «ein grösseres Problem zu lösen hatte», wie sich Schiller ausdrückt. Ganz zu schweigen von den wegen des angeblichen Übergriffs verhängten Stadion- und Rayonverboten, für deren Aufhebung der 18-Jährige nach wie vor kämpft.