Aus der NZZ vom 26. September 2012:
Bickels Bekenntnis
Die Einkaufspolitik des FC Zürich ist nicht erfolgreich – das liegt nicht nur am Sportchef, sondern auch am Sparkurs des Vereins
Flurin Clalüna
Der FCZ hat nach dem grossen Umbruch im Winter eine ausdruckslose Mannschaft zusammengestellt. In der Kritik steht auch der Sportchef Fredy Bickel.
Flurin Clalüna
Er war einmal der beste Sportchef der Schweiz, beliebt, instinktsicher und erfolgreich. Fredy Bickel, 47-jährig, war so etwas wie der Midas des Schweizer Fussballs; und manchmal war es ihm etwas unangenehm, dass ein kleiner Personenkult um ihn entstanden war, weil er sich fast nie zu irren schien. Bickel fand zusammen mit dem Trainer Lucien Favre mit wenig Geld versteckte Spieler wie Cesar, Raffael, Alphonse, Inler oder Von Bergen, und der FC Zürich machte aus ihnen überdurchschnittlich gute Fussballer. Bickel spürte auch Tihinen auf; und mit ihm kam mehr als nur ein Verteidiger; Tihinen, der Finne, wurde zum Zürcher und noch mehr: Er lieh dem FCZ seine Aura. Tihinen war wohl Bickels Meisterstück.
Kritische Stimmen
Doch das alles ist sehr lange her. Fast neun Jahre arbeitet Bickel nun schon als Sportchef im FC Zürich. Doch sein Ruf, dem lange etwas von Unfehlbarkeit anhaftete, ist seit einiger Zeit beschädigt. Bickel, der früher den ganzen Verein zusammenhielt, ist umstritten wie noch nie zuvor, auch im Umfeld. Er spürt die Unzufriedenheit auch intern.
Lange galt seine Arbeit als unantastbar, doch das ist vorbei. Man wirft ihm vor, ausgebrannt zu sein, sein Instinkt sei eingeschlafen und noch schlimmer: Er habe auch bei den früheren, erfolgreichen Transfers nur die Vorschläge Favres umgesetzt. Es sind die Stimmen seiner Gegner, die nie ganz verstummt sind, jetzt aber deutlicher vernehmbar sind als auch schon. Es genüge nicht, das Team auszuwechseln, sagen sie, der FCZ habe ein Führungsproblem. Denn auch nach dem grossen Umbruch des letzten Winters hat der FCZ wieder eine seltsam ausdruckslose Mannschaft zusammengebaut, und das Organigramm benennt den Verantwortlichen für deren Zusammensetzung eindeutig: Es ist Bickel, der Sportchef. Er muss sich für eine Transferpolitik rechtfertigen, die dem FCZ zuletzt dank Spielerverkäufen zwar 17 Millionen Franken in die Kasse gespült hat. Aber seit dem Ende der Ära Favre hat der FCZ keinen Spieler mehr verpflichtet, der sich vom Mittelmass auffallend abhebt (vergleiche Kasten). Chikhaoui ist eine Ausnahme und ein Sonderfall, doch bei ihm verschwindet seit einigen Jahren die Angst nicht mehr, er könnte zum Sportinvaliden werden. Eigene Talente wie Mehmedi, Rodriguez, Buff, Philippe Koch oder Drmic haben sich zwar entwickelt, aber auf dem Transfermarkt hat Bickel keine aussergewöhnlichen Spieler mehr aufgestöbert. Einige sagen, Bickels Bilanz sei «katastrophal». Er sagt: «Meine Performance ist durchschnittlich.» Das ist ein Bekenntnis, aber kein Schuldgeständnis. Vielleicht kann er sich nicht mehr so wie früher auf sein Bauchgefühl verlassen. Aber nur daran liegt es nicht.
Seit einigen Monaten gibt es eine Transfer-Kommission im FC Zürich. Einsitz nehmen Bickel, der Präsident Ancillo Canepa und die Verwaltungsräte George Tzionas, ein ehemaliger Fussballer, sowie Gregor Greber und Hans Ziegler; die beiden Letztgenannten sind Finanzfachleute. Greber hatte schon bei der Entlassung des Trainers Urs Fischer im März stark Einfluss genommen und damit auch Bickel desavouiert, der länger an Fischer festhalten wollte. Es sei nicht immer einfach, im Gremium Lösungen zu finden, sagt Bickel. Er spricht von einem Kampf, «ich versuche meine Gedanken einzubringen, aber nicht immer macht mich das Ergebnis glücklich».
Bickel hatte schon im Winter den Argentinier Zarate (jetzt YB) verpflichten wollen, «aber finanziell war der Transfer nicht machbar». Es ging damals weniger um die Ablösesumme als um Zarates Lohn, den sich der FCZ nicht leisten wollte. Statt des Argentiniers engagierte der FC Zürich Pedro aus der dritten brasilianischen Liga. Ausserdem hätte man gerne einen weiteren Stürmer unter Vertrag genommen; gekommen ist Frimpong, ein Leihspieler vom FC Grenchen aus der 1. Liga. Gehälter, wie sie sich die Grasshoppers mit Salatic und Grichting leisten könnten, seien für den FC Zürich unerschwinglich, sagt Bickel. Er spricht damit eine Wahrheit aus, die bisher nur der Trainer Rolf Fringer öffentlich anzudeuten wagte: Der FCZ muss sparen, mehrere Millionen Franken. Nur seine Ambitionen hat der Verein dem Sparkurs bisher nicht angepasst. Ein Europacup-Platz ist unverändert das Ziel. Bickel sagt: «Wir hätten vielleicht defensiver kommunizieren müssen. Etwas mehr Wirklichkeitsnähe wäre wichtig.» Es ist klar, warum: Auch seine Arbeit würde in ein milderes Licht rücken.
Gebundene Hände
Leute im Verein, die Bickel wohlgesinnt sind, sagen, ihm seien bei seinen Wunschtransfers die Hände gebunden, deshalb die dürftige Leistungsbilanz. Aber vermutlich ist es vielmehr das Schicksal eines Sportchefs, der auch in der Geschäftsleitung Einsitz nimmt und stärker als früher Rücksicht auf Geldfragen nehmen muss. Bickel sagt: «Mir ist es lieber, der Verein kann Ende Monat die Löhne bezahlen, als dass wir uns mit Transfers in Unkosten stürzen, die wir uns nicht leisten können.»
Bickel äussert zwar Verständnis für die veränderte Klubpolitik, aber er war von ganz anderen Voraussetzungen ausgegangen. Bevor er Ende des letzten Jahres nach langem Zögern den auslaufenden Vertrag mit dem FCZ bis 2014 verlängerte, hatte er in einem Interview gesagt: «Ich möchte eine Garantie, dass der FC Zürich in den nächsten zwei, drei Jahren auf gleichem Niveau weiterarbeiten kann wie bis anhin, auch finanziell. Ich möchte Planungssicherheit.»
Aber genau das ist nicht geschehen. Bickel muss gezwungenermassen damit leben lernen. Der FC Zürich auch.