Beitragvon gecko » 15.10.11 @ 9:50
Tagi: Sa. 15.10.2011
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Interview mit Ancillo Canepa
«Hinter Gitter stecken»
FCZ-Präsident Ancillo Canepa über den Kampf gegen Kriminelle und Chaoten im Stadion – und den sportlichen Frust.
Mit Ancillo Canepa sprachen Peter M. Birrer und Thomas Schifferle
Der Fussball macht Ancillo Canepa (58) derzeit so zu schaffen, dass er sich fragt: «Wieso tue ich mir das an?»
Wie lange bleiben Sie noch FCZ-Präsident?
Das kann ich nicht konkret beantworten. Aber wenn die Frage in die Richtung zielen soll, ob ich noch wahnsinnigen Spass an dieser Aufgabe habe, komme ich schon ins Grübeln. In letzter Zeit musste ich mich mit vielen anderen Dingen beschäftigen als mit Fussball, Stichwort Sicherheit. Das kostet eine Menge Substanz.
Am Abend des abgebrochenen Derbys wirkten Sie sehr demoralisiert.
In Zürich Profifussball zu betreiben, ist per se sehr anspruchsvoll. Wir kämpfen um jeden Zuschauer, um die Infrastruktur, natürlich um ein gutes Image. Wir wollen Familien ins Stadion bringen, wir suchen Sponsoren. Dann passieren aber solche Dinge wie beim Derby, die von aussen provoziert werden und alles kaputt machen können. Logischerweise ist der Frust deswegen riesengross. Ich würde nicht aus einer kurzfristigen Emotion heraus den Bettel hinschmeissen. Aber ich stelle mir schon die Frage: Wieso tue ich mir das an?
Ja, wieso?
Weil mir der Verein und seine Mitarbeiter am Herzen liegen.
Machen Sie sich selbst auch den Vorwurf, Fehler begangen zu haben?
Ich glaube nicht, dass ich oder wir beim FCZ wesentliche Fehler begangen haben, im Gegenteil. Seit Jahren unterstützen wir alles, was die Sicherheitsfragen betrifft. Wir stehen in gutem Dialog mit den Fans, auch mit der Stadt, mit der Polizei. Wir sind an allen Fronten aktiv. Aber es gibt Bereiche, für die nicht wir zuständig und kompetent sind . . .
. . . für den Bereich im Stadion . . .
. . . genau. Ich möchte einmal mehr festhalten: Für den ganzen Stadionbetrieb inklusive Sicherheit und Zugangskontrollen ist das Stadionmanagement der Stadt Zürich zuständig. Wir sind nur Mieter und bezahlen dafür mehr als zwei Millionen Franken.
Schieben Sie damit nicht Verantwortung ab, die der FCZ eben doch hat? Schliesslich waren es Leute aus der Südkurve, die beim Derby wüteten.
Was da passierte, ist abgrundtief zu verurteilen. Wir haben einzelne Idioten, die möglicherweise unter Einfluss von Alkohol nicht zu kontrollieren sind. Aber es soll mir einer konkret sagen: Wie hätten wir vom FCZ das verhindern können? Wichtig wäre, dass alle, die involviert sind, ihre Aufgabe wahrnehmen, auch die Justiz. Wenn ein Fall vorliegt, dauert es teilweise Jahre, bis er erledigt ist oder bis Übeltäter nur schon vor Gericht stehen. Ausserdem muss die Bestrafung viel härter ausfallen, damit sie wirklich abschreckend wirkt. Seit wir den runden Tisch in der Stadt Zürich haben, sind wir in dieser Hinsicht immerhin auf einem guten Weg. Beim FCZ machen wir, was wir machen müssen, oft noch mehr. Wir stellten auch schon Bilder von Petardenwerfern ins Internet und wussten zwei Stunden später, wer diese Kriminellen sind. Aber dann erhielten wir sofort einen Brief vom Datenschützer aus Bern.
Wie viele Gewaltbereite bewegen sich im Umfeld des FCZ?
Vielleicht 50.
Dazu kommen entsprechend viele Mitläufer.
Es gibt unter den Fangruppierungen den Ehrenkodex, dass keiner verraten wird. Das stellt auch für uns ein Problem dar. Die Selbstregulierung in der Kurve müsste wieder intensiver ausgeübt werden. Aber auch für die Leute in der Südkurve ist es nicht einfach. Es kommen immer wieder Neue, Junge hinzu, die die Regeln missachten.
Die Südkurve muss doch selbst ein Interesse daran haben, dass Chaoten bestraft werden. Sonst heisst es nur, die ganze Kurve sei eine Gewaltzone . . .
. . . was ja sicher nicht stimmt.
Deshalb muss sie ihren Teil zur Problemlösung beitragen.
Das sagt sich so einfach. Die Chefs der Südkurve sind vernünftige Leute.
Beim FCZ ist die Kurve auch zuständig für den Verkauf der Tickets für Auswärtsspiele.
Im Sinn des gegenseitigen Vertrauens machen wir das, ja. So wird sichergestellt, dass die Tickets nur an Leute verkauft werden, die sie kennen. Das ist ein Grund dafür, dass wir seit langem auswärts keine Probleme mehr haben.
Wenn es etwas Gutes gab an diesem Derby, war es der Abbruch durch den Schiedsrichter. Jetzt kann sich keiner mehr vor seiner Verantwortung drücken.
Man kann damit einverstanden sein, obwohl: Rein sicherheitstechnisch war der Abbruch nicht zwingend. Es hätte auch anders herauskommen und zu einem Chaos führen können. Glücklicherweise war das nicht der Fall.
Aber die Diskussionen würden kaum derart dezidiert geführt, wäre das Spiel zu Ende geführt worden. Dann wäre alles nur wieder vernebelt worden, es hätte geheissen: Alles nicht so schlimm.
Das Problem ist, dass wir es teilweise mit Leuten zu tun haben, die man mit keiner Massnahme, mit keinen Worten erreicht. Der Vorschlag, beim Abbrennen der ersten Fackel sofort das Spiel abzubrechen, erfreut nur die, die genau das wollen. Die provozieren dann Spielabbrüche. Solche Leute erreicht man nur, indem man sie hinter Gitter steckt.
Ist der Vorschlag, ein Spiel abzubrechen, sobald Pyros gezündet werden, also nicht durchdacht?
Der ist zwar gut gemeint, um zu zeigen, dass man drastische Massnahmen ergreifen will. Aber bei aller Sympathie: Dieser Vorschlag ist nicht realisierbar.
Eines bleibt trotzdem: Pyros haben im Stadion nichts verloren.
Als Bub und Fan hatte ich auch nie das Bedürfnis, Pyros zu zünden. Aber für gewisse Fans gehört das zu ihrer Kultur. (Pause) Ein anderes Problem: Sprechen wir gegen gewalttätige Typen Stadionverbote aus, rücken sie teilweise mit einer Armada von Anwälten an. Oder mit Mamis, die sagen: Nein, mein Sohn macht so etwas nicht, das ist ein Lieber. Für den Pyrowerfer vom Derby gibt es nur eine Strafe: ab in die «Chischte»! Und nicht eine unbedingte Busse von 20 Stutz!
Warum wirft einer überhaupt Pyros?
Den Alkoholeinfluss darf man nicht unterschätzen. Aber die Wurzeln liegen in den Familien. Was wir heute haben, ist eine Folge dessen, was in einigen Elternhäusern in den letzten Jahren vernachlässigt wurde: die Erziehung. Die Probleme haben am Schluss unter anderem wir, die Vereine. Wir müssen Sozialprojekte auf die Beine stellen, wir müssen diese Leute resozialisieren und reintegrieren. Von allen Seiten werden Ansprüche und Erwartungen an einen Fussballklub gerichtet, die er gar nicht erfüllen kann und die einfach nur absurd sind. Ich kann nur nochmals sagen: Der Frust ist gross, riesengross.
Sie bieten so den nahtlosen Übergang zur sportlichen Situation des FCZ.
(gequält) Ja, ja . . . Dieser Frust ist auch gross. Der Herbst 2011 ist bis jetzt nicht sehr erfreulich. Mit einer Ausnahme: dem Erreichen der Gruppenphase der Europa League.
In erster Linie aber geht es um die Meisterschaft. Da klebt der FCZ auf Rang 8 fest.
Das ist für mich auch nicht erklärbar. Wir besiegen die Grossen (Basel und YB) und verlieren gegen die scheinbar weniger Grossen (Servette, Lausanne, Xamax). Es ist nicht so, dass die Mannschaft nicht will, dass sie leger ist oder so. Sie will an ihre Leistungsgrenze gehen, aber das reicht im Moment nicht. Weil ein paar Spieler nicht in Form sind, müsste sie eben weiter gehen, an ihre Schmerzgrenze. Und das tut sie nicht.
Das war schon im Frühjahr in der entscheidenden Phase des Titelkampfes zu erkennen. Und das ist genau das Problem: dass Sie im Sommer nicht mit personellen Veränderungen darauf reagierten.
Wir rasselten mit dieser Mannschaft knapp am Meistertitel vorbei. Zweitens: Sie hat nominell ein grosses Potenzial . . .
. . . es geht aber auch um mentale Stärke …
. . . drittens: Wir hatten schon letzte Saison ein grosses Kader. Neue Spieler hätten wir aus finanziellen Gründen nur holen können, wenn wir entsprechende Abgänge gehabt hätten. Unser Laden wurde aber nicht leergekauft. Und viertens: Es kann auch ein Vorteil sein, eine eingespielte Mannschaft zu haben und sie weiterzuentwickeln.
Einmal sagen Sie, die Mannschaft sei selbstverliebt. Ein 2:2 bei Vaslui genügt, um zu loben: toll gekämpft. Drei Tage später nach dem Derby wirft Urs Fischer ihr Arbeitsverweigerung vor. Und die Führung reagiert, indem sie die Punkteprämien streicht. Das alles deutet darauf hin, dass eine Strategie dafür fehlt, wie die Mannschaft in den Griff zu bekommen ist.
Dass wir keine Strategie hätten, stimmt nicht. Und ja, man ist abhängig von dem, was auf dem Platz passiert. Und dann ist man gelegentlich gezwungen zu reagieren, in die eine oder andere Richtung.
Aber beim FCZ haben die Reaktionen zuweilen extreme Ausschläge.
Man kann schlechte Leistungen nicht schönreden, höchstens nicht noch zusätzlich negativ kommentieren. Wir Insider wissen doch viel mehr über das Innenleben der Mannschaft oder über die Arbeit im Training. Viel mehr, als in der Öffentlichkeit bekannt ist. Entsprechend ist unser Verhalten, gelegentlich auch unser Verständnis. Vielleicht wäre auch alles anders gekommen, wenn dieser unselige Penalty im ersten Spiel gegen Sion verwandelt worden wäre.
Dann muss Sie ein Xavier Margairaz doppelt ärgern. Er verschoss nicht nur diesen Elfmeter. Er war es auch, der dem Schiedsrichter gegen YB so lange den Vogel zeigte, bis er die Rote Karte erhielt.
Natürlich bringt mich das zur Weissglut. Aber das will ich ja nicht öffentlich zeigen.
Vielleicht wäre genau das einmal gut, weil Margairaz dem ganzen Verein schadet.
Wir haben intern darauf reagiert.
Mit 5000 Franken Busse.
Das ist intern.
Die Chance zur Kaderkorrektur besteht Ende Saison. Wenn einige Verträge auslaufen, etwa jener von Margairaz.
Das hängt davon ab, wie es im Europacup läuft, in der Meisterschaft. Aber ich denke schon, dass wir Anpassungen vornehmen werden.
Wie unantastbar ist Urs Fischer als Trainer?
Das ist kein Thema. Nächste Frage bitte!
Er darf also einfach verlieren und verlieren.
Einfach verlieren? Er verliert nicht einfach.
Aber er ist der Trainer einer Mannschaft, die Achte ist.
Wir sind uns alle einig, dass für das, was auf dem Platz passiert, primär die Mannschaft verantwortlich ist.
Mit diesem Argument können Sie nie mehr einen Trainer entlassen.
Das ist gar nicht mein Ziel. Ich bekomme erst dann ein Problem, wenn ich befürchten muss, dass ein Trainer die Mannschaft nicht mehr erreicht. Fischer erreicht sie.
Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass der FCZ wieder zu Konstanz findet?
Ganz einfach: Es braucht wieder Siege. Es braucht den Erfolg, der Selbstvertrauen und Sicherheit gibt. Und mit dem Siegen müssen wir schon am Samstag im Cup in Aarau beginnen. Mit Reden allein erreicht man gar nichts. Die Antwort muss die Mannschaft auf dem Platz geben.