steve-o hat geschrieben:es hat gestern jemand einen artikel in der NZZ vom 06.10.2011 erwähnt, in welchem es um die fotoveröffentlichung im blick geht ("zeitungen sind keine hilfssheriffs" oder was in der art). gibt es allenfalls eine möglichkeit, den text online einzusehen (bin auf nzz.ch nicht fündig geworden)? oder hat jemand noch zugriff auf die printausgabe und könnte den artikel allenfalls einscannen?
Die Öffentlichkeit ist kein Hilfssheriff (NZZ, 6.10.11)
«Die Schande von Zürich» nach dem Derby zwischen GC und dem FCZ hat in der Öffentlichkeit ein grosses Echo hervorgerufen. Bilder mutmasslicher Täter dürfen jedoch nicht ohne weiteres veröffentlicht werden.
Jü. · Die Öffentlichkeit ist sich einig: Die Krawallmacher vom Letzigrund, die unter anderem Leuchtpetarden ins Publikum der gegnerischen Mannschaft geworfen haben, gehören bestraft.
Die Staatsanwaltschaften haben sich in der Vergangenheit verschiedentlich des sogenannten «Internet-Prangers» bedient, um mutmassliche Täter nach Gewaltausschreitungen bei Fussballspielen identifizieren zu können. So wurde die Internet-Fahndung bereits in den Kantonen Luzern, St. Gallen, Bern und Basel erfolgreich angewendet. Zuletzt hat auch die Stadtpolizei Zürich Bilder von den Krawallmachern vom 1. Mai im Internet publiziert.
Die Internet-Fahndung der Staatsanwaltschaft ist zulässig, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Laut Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel, dürfen Bilder mutmasslicher Täter im Internet veröffentlicht werden, wenn andere Ermittlungen nicht zum Ziel führen und es als letzte Massnahme angesehen wird, um sie identifizieren zu können. Dabei braucht es einen konkreten Tatverdacht, und die Tat muss schwerwiegend sein. Eine Petarde in den gegnerischen Fan-Bereich zu werfen, die Körperverletzung mit Verbrennungen hervorrufen könnte, kann diese Voraussetzung erfüllen.
Die Internet-Fahndung darf laut Schefer nur zur Identifizierung von mutmasslichen Straftätern eingesetzt werden, keinesfalls jedoch, um «jemanden an den Pranger zu stellen». Das informationelle Selbstbestimmungsrecht sei grundsätzlich geschützt, und es gelte die Unschuldsvermutung.
Die Medien haben in der Vergangenheit verschiedentlich Bilder, die von der Polizei im Internet veröffentlicht wurden, auf ihren eigenen Webpages publiziert. Dies ist laut Schefer rechtlich mit der Pressefreiheit zu begründen. Die Presse dürfe Informationen, soweit von der Staatsanwaltschaft freigegeben, an ihre Leserschaft weitergeben.
Das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zu stillen, sei eine zentrale Aufgabe der Medien, sagt Schefer. Alle Informationen zu den Umständen eines Straffalls, über die Folgen oder zur Ermittlungstätigkeit der Polizei könnten im öffentlichen Interesse zugänglich gemacht werden. Die Identität eines mutmasslichen Straftäters zu enthüllen, sei jedoch nicht die Aufgabe der Presse. Gemäss Praxis des Bundesgerichts sei es nicht zulässig, dass Medien die Identität von aus ihrer Sicht mutmasslichen Tätern entblössten, sei es durch Nennung der Namen oder durch die Veröffentlichung eines Bildes, auf dem die Gesichter erkennbar seien. Dies ist laut Schefer persönlichkeitsverletzend und dient nur dazu, das Sensationsbedürfnis der Öffentlichkeit zu stillen. Nur wenn es sich beispielsweise um gemeingefährliche Täter handle, von denen eine Gefahr für die Öffentlichkeit ausgehe, sei der Abdruck erkennbarer Gesichter gerechtfertigt, so Schefer.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Dennoch haben sich einzelne Medien dazu hinreissen lassen, das Bild eines mutmasslichen Petarden-Werfers vom vergangenen Wochenende zu veröffentlichen, ohne dass die Polizei diese Fotos veröffentlicht hätte. Laut Markus Schefer ist der «Zeitungspranger» unzulässig: «Es ist nicht Aufgabe der Presse, Strafverfolgung zu betreiben.» Schliesslich sei die Presse kein Hilfssheriff, diese Arbeit obliege der Staatsanwaltschaft.
Ermittlungen in eigener Sache werden vereinzelt auch privat vorangetrieben. So erschien das durch ein Zürcher Lokalradio auf Facebook veröffentlichte Bild des Zürcher Petarden-Werfers noch gleichentags auch auf privaten Accounts. Dies ist laut Markus Schefer persönlichkeitsverletzend, selbst wenn eine Privatperson Bilder von den Medien kopiert. Publiziert die Staatsanwaltschaft Bilder im Internet, ist sie für allfällige Persönlichkeitsverletzungen verantwortlich. Es ist nicht Aufgabe der Öffentlichkeit, solche Recherchen anzustellen und Bilder zu veröffentlichen, so gross die Wut der Gesellschaft auf die Krawallmacher auch sein mag.