Diesen hier stammt von der Feder eines gewissen Patrick Mäder...
sport.ch hat geschrieben:03.03.2008
Verdammter Strich
Schlusslicht Thun wäre momentan unter dem Strich.
Wenn ich mich richtig erinnere, war es im Spätherbst 1992, in der Hochblüte des Strichs, der die Fussballrangliste der Schweizer NLA damals in oben und unten, in Final- und Abstiegsrunde, in die Ränge 1 bis 8 und 9 bis 12 trennte. Oder anders ausgedrückt: in gut und schlecht, in Helden und Versager. Der FC Zürich hatte ein Heimspiel, war aber derart unter Strichdruck, dass das Team sich jeweils schon einen Tag vor der Partie ins Hotel Panorama zurückzog, der heutigen Nati-Basis in Feusisberg zwanzig Autominuten vom Letzigrund entfernt.
Die schöne Panorama-Aussicht von dort oben hinunter auf den Zürichsee interessierte uns Spieler damals nicht. Unsere Blicke schweiften nicht über die Landschaft, sondern starrten gebannt auf Teller und Besteck, die unheilvoll vor uns auf dem kleinkarierten Tischtuch lagen. Im Esssaal war es derart still, dass es weh tat. Appetit hatte keiner. Schamhaft kreuzten sich Messer und Gabel oder kratzten sachte an den Tellerböden, da und dort wurde vorsichtig ein Stuhl gerückt oder räusperte sich einer verstohlen: mehr gabs nicht zu hören. Die Stimmung war zum zerreissen gespannt. Sie war miserabel; kein Lachen, kein Wort, kein Körperkontakt, kein positiver Gedanke. Jeder in sich versunken. Gebannt in der Hoffnung, es möge nicht zu schlimm kommen am nächsten Tag.
Der nächste Tag war Strichkampftag. Fussball machte uns keinen Spass. Die Kunst des Spiels wurde in den Teamsitzungen gar nie angesprochen, schon gar nicht gefordert. Wen interessiert die, wenn allein das Resultat über Sein oder Nichtsein entscheidet? Punkte (damals gab es noch zwei pro Sieg) mussten her. Ganz egal wie. Kein Wunder, waren unsere Kicks meist unterirdisch schlecht. Wir hatten die präsidialen Drohungen im Nacken, einen disziplinierenden Strafenkatalog für Verfehlungen im Kopf und unerklärbare Unsicherheit in Händen und Füssen. Wir waren am Arsch und nicht die einzigen. Jedes Jahr im Herbst wars das gleiche Drama: Fast alle Teams mussten zittern, um sich im Dezember unter die ersten Acht retten zu können. Diesem verdammten Strich konnte sich einfach keiner entziehen.
Die Verantwortlichen kämpften verzweifelt, kauften neue Spieler. Irgendwelche halt, die grad zu haben waren um diese Jahreszeit. Oder sie ersetzten den Trainer durch einen harten Hund, für den kurzfristigen Erfolg, der Finalrunde hiess. Blinder Aktionismus. Ein Strichgebaren, das nicht nur den FC Zürich in finanzielle Nöte brachte. Aber nur der FC Zürich hatte einen Sven Hotz, den finanzstarken und herzensguten Präsidenten, der die roten Löcher stopfte. Der Schweizer Fussball schlitterte in eine grosse Krise. Die Klubs verloren Kontrolle und Vernunft. Ihre verzweifelte Suche nach Geld machte die NLA zum Treff- und Tummelplatz von dubiosen Gestalten, die ein freundliches Gesicht zu unlauteren Absichten machten, auf schnelle Publicity aus waren, sich in der Rolle des vermeintlichen Rettungsengel gefielen oder schlicht die grosse Kohle durch ein glückliches Transfergeschäft witterten. Furchtbare Zeiten, die zum Glück vorbei sind.
Vorbei? Leider nein, kürzlich erschallte der Ruf nach der Rückkehr des Strichs. Es war zu vernehmen, dass die «Swiss Football League» (so heisst das heute) ganz konkret an diesem Projekt arbeite und dass die Chancen für eine Rückkehr des Strichs in den Schweizer Fussball sehr gross seien. Auf den ersten Blick ist die Idee legitim. Mit dem Strich wird künstliche Spannung und zusätzliche Brisanz erzeugt. Das gibt Schlagzeilen, die den einen oder anderen Zuschauer mehr ins Stadion locken wird. Aber es ist auch ein Eingeständnis: Denn eine Liga, die künstlich Spannung erzeugen muss, ist qualitativ eine schlechte Liga und gesteht dies selber ein. Die Strich-Idee passt also so gar nicht zum neuen grossartigen Selbstbewusstsein, dass sich der Schweizer Fussball durch erfolgreiche Auslandtransfers vieler Spieler und guten Leistungen unserer Nationalmannschaften in den letzten Jahren erschaffen hat.
Die Probleme, welche den Strich im Jahr 2003 nach 16 Jahren der Angstherrschaft zum Verschwinden zwangen, werden bei seiner Rückkehr an die Macht wieder dieselben sein. Er wird Trainern den Schlaf und manch einem den Job rauben. Präsidenten zum finanziellen Spagat zwingen. Jedem vernünftigen Wirtschaftsplan einen Strich durch die Rechnung machen. Zu Panikeinkäufen verleiten, welche selten zum Erfolg führen, aber immer den eigenen Talenten schaden, welche auf der Bank versauern, weil die Verantwortlichen keine Zeit mehr für den langfristigen Aufbau haben. Und nicht zuletzt wird der Strich, weil nur noch das Ergebnis zählt, vielen Spielern den Spass am Fussball verderben. Und den Appetit.
Patrick Mäder, 43, ehemaliger FCZ-Goalie, heute Chefredaktor des Sportmagazin