Knapp daneben

Hier kommt alles über Fussball rein, das nicht mit dem FCZ zu tun hat.
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captain tsubasa
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Beitragvon captain tsubasa » 29.11.07 @ 7:38

Zeit der Besinnung
Von Pascal Claude

Sie muteten ein bisschen seltsam an, die Solidaritätsbotschaften an die Adresse der Familie Sandri. Zu sehen waren sie in verschiedenen Stadien ausserhalb Italiens, auch in der Schweiz, und zu lesen war meist «Assassini» (Mörder) und «Ehre dem toten Gabriele» oder etwas in der Art. Gabriele Sandri, Anhänger von Lazio Rom, starb vor etwas mehr als zwei Wochen, getroffen von der Kugel eines Polizisten nach einer Rauferei mit Juve-Tifosi auf einer Autobahnraststätte. Der Polizist, der anfänglich von einem Versehen sprach, steht inzwischen unter Mordanklage. Was genau passiert ist, ist noch Gegenstand der Ermittlungen und wird vielleicht nie restlos geklärt werden.

Der Tod von Filippo Raciti ist ebenfalls noch nicht geklärt. Nachdem zu Beginn klar schien, der Polizist sei bei den Ausschreitungen in Catania im Februar dieses Jahres durch einen harten Gegenstand aus den Händen eines Ultra gestorben, geisterte irgendwann die Version durch die italienischen Medien, Raciti sei im Verlauf der Tumulte von einem Polizeifahrzeug überfahren worden. Während Ultras verschiedener Länder in der Causa Raciti nicht müde werden, die ungeklärten Umstände und die mutmassliche Unschuld der Fans zu betonen, gilt der Mord an Gabriele Sandri als Fakt.

Wer sich im Krieg «sie gegen uns» wähnt, lässt die Vernunft aussen vor. Mit der Familie Sandri zeigt man sich tief verbunden, weil Gabriele Fussballfan war. Das reicht als gemeinsamer Nenner. Wie er dachte, mit wem er verkehrte, wen er wählte, wo sein Herz schlug, egal. Er war «einer von uns». Die pathetische Pose, im heroischen Kampf gegen Polizeigewalt schon wieder einen tapferen Mitstreiter verloren zu haben, ist schwer auszuhalten. Ob Sandri selber sich gefreut hätte über die Instrumentalisierung seines Todes, fragt niemand; ist die Polizei im Spiel, lässt man Tote nicht ruhen. Gefangen im System des internationalen Ultratums, wird alles ausgeblendet, was die enge Sicht zu erweitern droht.

Immer enger wurde es auch in den Köpfen jener FCZ-Ultras, die nach zahlreichen Aktionen gegen Anhänger des Stadtrivalen schliesslich auf die Idee gekommen waren, bei einem der Feinde einzubrechen und ihn mitzunehmen, um auf diese Art ihre geklauten Fahnen zurückzuerhalten. Es war wohl ihr grosses Glück, kam ihnen die Polizei auf die Spur, sodass sie den Genötigten laufen liessen. Wozu sie in ihrer bizarren Sehnsucht nach grossstädtischen Ghetto-Verhältnissen letztlich imstande gewesen wären, möchte man sich lieber nicht ausmalen.

Was diese Zürcher Geschichte mit der Solidaritätswelle für Sandri verbindet, ist der dogmatische Irrglaube an die Unfehlbarkeit der Kurve und die Umnachtung, die dieser Glaube mit sich bringt. So ist - so vieles auch im Argen liegt bei der Bekämpfung der sogenannten Gewalt im Fussball - die Repression nicht an allem schuld. Und es ist zu bezweifeln, ob das Leid der Familie Sandri auch nur im Geringsten gelindert wird, wenn im Ruhrgebiet oder im Mittelland irgendwelche Scheinbetroffenen ihre Verschwörungstheorien auf Transparente malen.

Was das eigene Verhältnis zu gegnerischen Fans betrifft, bietet der Advent Zeit zur Besinnung. Eine Kurve, aus deren innerster Mitte Leute losziehen, um systematisch irgendwelche «Gegner» zu drangsalieren, hat ein Problem. Es liegt vielleicht darin, dass das Streben nach Vorherrschaft und Grösse zwangsläufig in Chauvinismus mündet. Und dass, wer den Gegner zu oft als «Scheisse» besingt, es irgendwann glaubt.

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captain tsubasa
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Beitragvon captain tsubasa » 05.12.07 @ 19:47

Gute Ideen
Von Pascal Claude

Genf folgt dem leuchtenden Beispiel anderer Schweizer Städte und stellt das Betteln unter Busse. Eine gute Idee, gerade zur Weihnachtszeit, und so barmherzig! «Hätten Sie mir vielleicht einen Franken?» «Ja, aber das kostet Sie achtzig Franken Busse.» «Gut, hätten Sie mir dann vielleicht einundachtzig Franken?» Der Cafetier-Verband fürchtet Umsatzeinbussen während der Europameisterschaft 2008. Das Szenario: alle mit Alk beim Public Viewing, keiner mit Kaffee im Café. Deshalb empfiehlt der Verband seinen Mitgliedern, für den Toilettenbesuch im kommenden Juni zwei Franken zu verlangen. Eine gute Idee! «Komm, lass uns hier an den Baum pissen.» «Nein, ich geh lieber ins Café, dort kostet es zwei Franken.»

Die Zürcher Volkswirtschaftsdirektion will für die EM das Nachtflugverbot lockern, um unter Problemverdacht stehende Fangruppen direkt nach Schlusspfiff unplafoniert heimzufliegen. Eine gute Idee! Und so nett, denn: Nach dem Spiel in den Shuttlebus einzusteigen sei freiwillig, sagt der Volkswirtschaftsdirektionssprecher. Zwingen könne man niemanden, aber Anreize schaffen. Zum Beispiel mit dem Sparargument: «Guten Abend, Herr Brutalescu. Sie sind doch Rumäne, also arm und gewaltbereit. Möchten Sie nicht vielleicht hier in diesen Shuttlebus einsteigen und heim nach Bukarest fliegen? Sie sparen sich so die teure Hotelübernachtung.» «Nein, danke. Ich habe noch vier Franken. Ich gehe jetzt in ein Café auf die Toilette, dann schlage ich der Reihe nach einen Italiener, einen Holländer und einen Franzosen zusammen, dann gehe ich noch einmal in ein Café auf die Toilette.» «Wie Sie wünschen. Einen schönen Aufenthalt noch. Erleben Sie Emotionen!»

Die Stadtpolizei Zürich hat während der Uefa-Cup-Partie des FCZ gegen Toulouse Drohnen getestet, die sie an der EM einsetzen will. Eine gute Idee! Und so erfolgsversprechend, denn: Das Drohnenauge erkennt Menschenansammlungen! Keine einzelnen Gesichter zwar und auch keine Autonummern, aber Menschenansammlungen! Und davon wird es an einer EM ja hoffentlich welche geben. «Geh mal näher ran hier. Noch näher. Stop. Siehst du, was ich sehe? Troubles, Kamerad, troubles.» «Meinst Du die fünfzehn, zwanzig Stück dort, die sich rumschubsen?» «Genau. Troubles. Böse Jungs. Vermutlich Türken.» «Nein, Italiener. Und Franzosen. Corner in der Nachspielzeit.»

Der FC Sion geht hart gegen Wohlstandsverwahrloste vor. Weil Luzerns Torhüter Zibung von einem Gameboy aus dem Sittener Block getroffen wurde, drohte der Verein, die ganze Nordtribüne zu sperren, bis der Täter identifiziert war. Gute Idee! Es geht schliesslich nicht an, dass sie in Genf das Betteln verbieten und gleichzeitig im Wallis mit Unterhaltungselektronik um sich werfen. So wird das nichts mit dem sozialen Frieden. Auch die Kollektivstrafe heiligt hier als Mittel den Zweck. Findet auch Ex-Schiedsrichter Pierluigi Collina. In seiner Autobiografie zeigt er sich entzückt über Newcastles St. James Park. Dort würden, sobald einer aus der Reihe tanzt, dem ganzen Sektor die Jahreskarten entzogen, und zwar so lange, bis einer den Fehlbaren verpfeift. So geht das doch! Gute Idee! Und ausbaufähig! «Hast du gehört, Michel, Wettskandal in all unseren Wettbewerben. Was sollen wir tun?» «Betrieb einstellen, tout de suite. Bis es einer zugibt.» «Und wenn es keiner zugibt, alles absagen? Auch die Euro?» «Ja, auch die Euro.» «Michel, bist du im Cafetier-Verband?»

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tscho
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Es kommt teuer zu stehen

Beitragvon tscho » 28.01.08 @ 23:17

http://www.woz.ch/artikel/archiv/15861.html


Es kommt teuer zu stehen
Von Pascal Claude

«Ich bin beunruhigt, weil ich nicht will, dass Leute über den Preis aus dem Stadion verdrängt werden. Der Fussball muss sich überlegen, woher er kommt und welche Fanbasis er in Zukunft will.» So spricht Gerry Sutcliffe, Anhänger des englischen Drittligisten Bradford City. Sein Wehklagen über zu hohe Eintrittspreise im englischen Fussball bliebe wohl ungehört, wäre Sutcliffe nicht gleichzeitig britischer Sportminister.

Englands gebeutelte Klubfans freuen sich über die prominente Unterstützung. Mit dem Fussball als «the working man’s ballet», als Ballett des armen Mannes, ist es nicht mehr weit her, Ticketpreise kaum je unter fünfzig Pfund spotten jeden Bezugs zur Arbeiterklasse. Stimmen von Fans, die als Einzelempörte oder organisierte Supportervereinigungen auf die aus dem Ruder gelaufenen Preise aufmerksam machen, verhallen unter immer höher gelegten Stadiondächern; die erweiterten oder neu errichteten «Grounds» sind voll wie noch nie, die Nachfrage stimmt, so what? Keine Marketingverantwortliche, kein Finanzchef eines englischen Profiklubs hat bis heute eingesehen, weshalb armen Schluckern günstige Tickets angeboten werden sollen, solange weniger Arme die teuren kaufen. Drinnen spielt United, draussen der Markt, alles ist gut. Nur eben etwas zu leise.

«Wie auf einer Beerdigung» sei er sich vorgekommen, raunzte Alex Ferguson, Trainer von Manchester United, nach dem Heimspiel am Neujahrstag. Einige der jungen Männer, die sich nach Fergusons Anweisungen auf dem Feld abmühen, verdienen umgerechnet 250000 Franken. Pro Woche. Das will beglichen sein. In der «Süddeutschen Zeitung» erklärt Ronald Reng in einfachen Worten, wie Preise leise machen: «In Wirklichkeit schauen in England noch immer mehr fanatische Fussballliebhaber zu als anderswo. Aber sie sind alt. 43 im Durchschnitt laut einer Umfrage der Premier League. Jugendliche können sich die Tickets nicht mehr leisten. Und mit 43 singt man nicht mehr.»

Es hat eine Verschiebung stattgefunden, oder, wie es der «Tagesspiegel» schreibt: «Die Zusammensetzung des Publikums wird zunehmend über den Preis geregelt.» Alex Fergusons Lärmforderung ist so verständlich wie jene Roy Keanes, der sich als Captain von Manchester United schon vor Jahren über die Shrimpsbrötchenfresser in den Logen ausliess. Zudem gleicht sie den Äusserungen jener Bayern-Fans, die an der Jahreshauptversammlung des Vereins die seichte Stimmung beklagt und die Haupttribüne dafür verantwortlich gemacht haben. Bloss: Während Ferguson und Keane für ihre akustischen Einbussen siebenstellig entschädigt werden, fürchten die besorgten Münchner um ihre Existenz. Der «Tagesspiegel»: «In der Wertigkeit der Klubs sind die Kurvenfans ans untere Ende gerückt. Der wahre, echte, gute Fan ist ökonomisch gesehen zu einer vernachlässigbaren Grösse geworden. Er führt noch ein paar Scheingefechte gegen absurde Anstosszeiten und abstruse Stadionnamen.» Derweil im «Guardian» ein Exponent der Manchester United Supporters Association dem stillegeplagten Trainer den Sitzplatzalltag schildert: «Wenn du aufstehen willst, um Lärm zu machen, wirst du von Stewards rausgepflückt. Sie nehmen dir deine Saisonkarte weg. Was genau für eine Stimmung stellt sich Ferguson unter diesen Umständen vor?»

«Ich glaub ich gseh nöd rächt», schrieb die Südkurve des FCZ auf ein Transparent, nachdem ihr Verein im Sommer 2007 die neuen Ticketpreise publik gemacht hatte. «Fuessball ghört allne», hiess dieselbe Losung in Baseldeutsch. Die Fans des FCB fanden 38 Franken zu viel für einen Eintritt in den Gästesektor des Letzigrund-Stadions. Sie blieben - wie zuvor im Derby schon die Fans der Grasshoppers - dem Spiel fern. Anders als in England besetzen in der Schweiz keine Fussballbegeisterten aus dem oberen Mittelstand die frei werdenden Plätze, weil die Spieler noch immer Friedli und Zanni heissen statt Ronney und Nani. Das stärkt die Position der Fans: Der fehlende Lärm schlägt in Franken zu Buche, der Markt ist auf ihrer Seite. Und Gerry Sutcliffe auch.

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Derweil im «Guardian» ein Exponent der Manchester United Supporters Association dem stillegeplagten Trainer den Sitzplatzalltag schildert: «Wenn du aufstehen willst, um Lärm zu machen, wirst du von Stewards rausgepflückt. Sie nehmen dir deine Saisonkarte weg. Was genau für eine Stimmung stellt sich Ferguson unter diesen Umständen vor?»


Das ist wohl der vorläufige Tiefpunkt "im Teich der Massnahmen". Unfassbar und hochgradig faschistoid.
...seine ganz besondere Spezialität war es, in wichtigen Spielen Eigentore zu fabrizieren. Immer wenn ihm das passierte, fühlte er ein eigentümliches Kribbeln hinten an seinem Hals, das langsam über seine Wangen hochkroch.


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