Knapp daneben

Hier kommt alles über Fussball rein, das nicht mit dem FCZ zu tun hat.
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captain tsubasa
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Beitragvon captain tsubasa » 30.08.07 @ 6:29

http://www.woz.ch/artikel/rss/15327.html

Eins weniger
von Pascal Claude

Bayern München, Neuchâtel Xamax, und dann ist Schluss. Eines der verdientesten, stimmungsvollsten Stadien der Schweiz darf abdanken. Bald werden sie mit Baggern auffahren, mit Abrissbirnen, Schlagbohrern und Dynamit und den Hardturm in Schutt und Asche legen. Was danach kommt, weiss niemand. Die CS beteuert, am geplanten Fünfeck festzuhalten, doch glauben mag das kaum noch jemand. Die EM wird auf der anderen Seite der Geleise gespielt, und für GC und den FCZ braucht es keinen zweiten Vorzeigebau mit 30000 Plätzen. Das wissen auch die knochenharten Kalkulierer bei der Grossbank. Noch spricht es niemand aus, doch ein einfacher Weg, das Beschwerdeduell mit den AnwohnerInnen unblutig zu einem Ende zu bringen, wäre die Projektierung eines maximal 20000 Plätze fassenden viereckigen Fussballstadions mit schönen Stehplatzsektoren hinter den Toren.

Bis es so weit ist, heisst es trauern, erreicht das Stadionsterben mit dem Ende des Hardturms doch seinen vorläufigen Höhepunkt. In der Schuhschachtel, in der ich die Matchtickets aufbewahre, fand ich über vierzig Erinnerungen an die GC-Heimstätte. Für siebzig Franken - was wir damals unverschämt teuer fanden - waren die drei Spiele der Champions League 1995/1996 zu sehen. Den Auftakt machte Ferencváros Budapest, das mit einer Hundertschaft Neonazis angereist war, die ihren ausgestreckten rechten Arm nur dreimal einzogen, beim Jubel über das 0:1, das 0:2 und das 0:3. Diesen Auftritt vor Augen, verwundert die eben erfolgte Gründung der Ungarischen Garde wenig; es hatte sich abgezeichnet.

Zwei Jahre später war Croatia Zagreb zu Gast, «Preis Fr. 15.00, Sektor freie Wahl». Die Dinamo-Fans, mitten im Kampf gegen die von Klub- und Staatspräsident Franjo Tudjman durchgesetzte Umbenennung, prügelten sich im eigenen Sektor und feuerten eine Fackel nach der andern aufs Feld. Der dribbelnde Türkyilmaz im leuchtenden Strafraum war selbst der «L.A. Times» ein Bild wert. GC verlor null zu fünf, Zuberbühler sah rot, Smiljanic stand für ihn ins Tor, und hinter ihm brüllten die GC-Fans «Scheiss Jugos» in Richtung der Kroaten.

Im Hardturm genossen immer auch Mannschaften Gastrecht, die aus irgendwelchen Gründen ihre Spiele nicht bei sich zu Hause austragen konnten. Als 1997 Albaniens Staatsstrukturen in sich zusammenzufallen drohten, musste die Nationalmannschaft ihre Qualifikationsspiele für die WM 1998 ausser Landes austragen. Albanien schlug vor Tausenden von Landsleuten im Hardturm Nordirland mit 1:0, und die drei bärtigen Zürcher, die sich als Fans der Nordiren ausgaben, hörten irgendwann auf zu singen. Auch zahlreiche Schweizer Vereine, deren Stadien nicht internationaler Norm entsprachen, empfingen ihre Gäste in Zürich. Hier warf St. Gallen Chelsea aus dem Uefa-Cup und scheiterte in letzter Minute an Brügge. Hier spielte der FCB gegen Feyenoord Rotterdam (26. Oktober 2000), was den Hooligan-Fahndern den Schweiss auf die Stirn trieb, weil Lausanne-Sport am selben Abend Ajax Amsterdam empfing. Hier trat der FCZ gegen Aston Villa an (Preis: Fr. 25) und YB gegen Roter Stern Belgrad (Fr. 20). Der Hardturm war eine Adresse. Fans von Zenit St. Petersburg (19.9.2002, Fr. 20) zeigten der Schweiz, was besoffen sein wirklich bedeutet. Die Tifosi der AC Fiorentina (20.10.1998, Fr. 20) tauchten den Gästesektor in Violett und beglückten das Rund mit den schönsten Gesängen. Und einige Fans von Leeds United (22.11.2001, Fr. 25) strandeten nach dem Spiel in der nahen Buch- und Kulturbar Sphères: «Was wollen wir hier? Das ist eine gottverdammte Bibliothek!» «Ja, aber eine, in der die Leute Bier saufen!»

Irgendwann wurde die alte Westtribüne abgerissen, die klaffende Lücke gab den Blick frei auf den Zürcher Hausberg. Weil GC dann während einiger Spiele kaum mehr ins westseitige Tor traf, gebar der «Blick» die unerreichte Schlagzeile vom «Üetliberg-Komplex». Mit dem Bau des neuen Gästesektors 1998 normalisierte sich die Situation, was wieder vermehrt Heimspiele der Nationalmannschaft zur Folge hatte. Als am 2. September 2000 Russland in der WM-Quali zu Gast war (0:1), tischte der Schweizerische Fussballverband im Stadioncafé russischen Salat auf - eine schöne, nahe liegende Geste, von den russischen Journalisten leider mit totaler Nichtbeachtung bestraft. Ob man in Russland den russischen Salat überhaupt kennt? In England wird man ja auch oft auf die Swiss Roll angesprochen, und ich weiss bis heute nicht, was das ist.

Der Hardturm wird fehlen. Die ganze internationale Prominenz einmal weggerechnet, war er einfach ein ausgezeichnetes Nationalligastadion, mit den Vorzügen der Nähe zum Spielfeld, der idealen Grösse und der guten Akustik und einigen hübschen Eigentümlichkeiten wie den Durchsagen des berndeutschen Platzspeakers im Falle von Feuerwerk («Bitte, lööds doch eyfach la sii») oder die am seltsamsten Ort angebrachte Anzeigetafel. Vor dem Freundschaftsspiel gegen die Bayern setzte sich ein geföhnter Zürcher zu drei Münchnern an den Tisch und spendierte ihnen eine Flasche Bier. «Was wollt ihr hier», fragte er sie beim Anstossen, «das ist eine alte, furchtbare Bruchbude. Wir haben in der Schweiz keine Allianz-Arena.» «Och», fand der kahlrasierte Münchner im roten Umbro-Shirt und leerte die halbe Flasche in einem Zug, «ich mag solche Stadien ganz gern. Das findest du bei uns nicht mehr.»


Stadionverbot
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Beitragvon Stadionverbot » 30.08.07 @ 8:35

Knapp daneben Nr. 13/04 von Pascal Claude

Mutige Family
Wer sich selber lustig findet, macht sich über GC-Fans lustig. Dabei zeigen genau die, was Klubtreue wirklich heisst.

Die Schweizer Fussballlandschaft ist erfreulich vielseitig. Da haben wir Basel, wo eine Stadt und ihre Umgebung vollkommen vorbehaltlos und in einzigartiger Weise hinter ihrem Verein stehen. Wir haben St. Gallen, wo der Stadtklub sinnstiftend ist für eine ganze Region bis weit ins Rheintal und sich die Hingabe für den FCSG selbst in Krisenzeiten in einer Art manifestiert, die Gästefans beeindruckt. Wir haben den FC Aarau mit seinem Schrebergarten-Charme und dem bezaubernden Brügglifeld, das hoffentlich nie abgerissen wird. Wir haben den FC Zürich mit seinem seltsamen Präsidenten und einem Anhang, der das sonderbarste und stimmungstötendste Stadion der Welt zu beleben vermag. Wir haben Bern, wo wieder etwas entstanden ist rund um den BSC YB und alle gespannt darauf warten, was nächstes Jahr passiert. Und wir haben Genf, Neuchâtel, Thun und Wil, die allesamt etwas zu bieten haben, ausser Geld. In ihrem Facettenreichtum verdient die Superleague ihren Namen. Und doch gibt es diesen einen Punkt, der allen gemeinsam ist und der alle vereint: Man findet GC Scheisse. Das kann man ja auch verstehen, bis zu einem gewissen Grad. Immer diese Verflechtungen mit der Hochfinanz, fast immer dieser Erfolg, immer dieses abgehobene Gehabe der Chefetage, immer zuviel Gel in den Haaren der Spieler und Event-Manager. Und immer diese dummen PR-Aktionen ; das alles macht einen Verein nicht wirklich anmächelig. Interessanterweise zielt der Spott der Gegner aber nicht darauf, sondern auf die Fans. Sie sind Zielscheibe für all die pauschale Abscheu, die dem Grasshopper Club of Zürich entgegengebracht wird. Das ist dumm. Und die GC-Fans haben es nicht verdient. Denn sie beweisen Mut. Viel mehr Mut als alle anderen Fans zusammen.
Nehmen wir die Stadt Zürich : Was passiert denn, wenn der FCZ mal wieder mehr als ein Spiel in Serie gewinnt ? Alle, wirklich alle sind plötzlich und waren schon immer FCZ-Fans. Die Stadt an der Limmat, eine einzige Südkurve. Der Tages-Anzeiger glänzt seit Jahren jeden Samstag mit der Rubrik des armen « Kroll », einem (meist leidenden) FCZ-Anhänger, der von seinem Leben rund um den Letzigrund berichtet. Erscheinen im Kulturteil der Tageszeitung Berichte zum Fussball, stecken in neun von zehn Fällen FCZ-Fans dahinter. Auf der Redaktion des Tagi gibt es durchaus auch GC-Fans, doch hüten die sich, jemals dazu zu stehen. Denn sie wissen um den Spott.
Ähnliches bei der NZZ : Wenn Journalisten mal was Abseitiges schreiben dürfen mit etwas Humor drin, waren sie meist im Letzigrund unterwegs, vielleicht noch im Hallenstadion. Im Hardturm sicher nie. Geht die NZZ bei GC (oder beim GC, in diesem Fall) mal etwas tiefer, so meist in Form einer Schelte. Leichtes, Nettes, Witziges aus den Hardturm-Katakomben war seit Jahren nicht mehr zu lesen. Beim Fussvolk dasselbe. In welcher Bar hängt denn schon ein GC-Wimpel ? Sein Mobiliar kann sich ein Wirt ja auch selber zertrümmern, wenn er Lust hat. In Zürich ist man FCZ-Fan. Und findet es super. Weil es ja alle andern auch sind. Weil man es eben ist. Schon immer war. Weil es cool ist. Stadtklub. Arbeiterklub. Subkultur. All das. FCZ eben. Sicher nicht GC.Es braucht kein Gramm Mut, FCZ-Fan zu sein, wenn alle andern es auch sind, wenn die ganze Stadt es ist. Es braucht aber sehr viel Mut, zu GC zu stehen, wenn man weiss, dass das ungefähr das Uncoolste ist, was man sich zwischen Aare und Töss aussuchen kann. All jenen, die als Kind GC-Fans werden, später merken, wie unpopulär das ist, aber trotzdem GC-Fans bleiben, all jenen gebührt grösster Respekt. Schliesslich gilt lebenslange Klubtreue in Fan-Kreisen noch immer als das höchste Gut. Oder was soll in den Augen all der GC-Hasser ein 15-Jähriger machen, der mit GC aufgewachsen ist? FCB-Fan werden ?

Überhaupt : Was wird den GC-Fans denn vorgeworfen ? Dass sie Kinder seien, zum Beispiel, dass in ihrer Kurve alle noch zur Schule gingen. Na und ? Abgesehen davon, dass in manch anderer Kurve sich auch noch nicht alle Protagonisten täglich rasieren müssen, wäre mir neu, dass Jungsein etwas Anrüchiges ist. Dann das Stimmungs-Argument : GC-Fans hört man nicht, in ihrer Kurve ist nichts los, heisst es. Tatsächlich ? Für die 90er-Jahre mag das zutreffend gewesen sein, auswärts vor allem. Doch heute ? Es wäre einmal sehr gründlich abzuchecken, vor wem ausser Basel sich die Hoppers wirklich verstecken müssen, was den Support ihrer Mannschaft angeht. Bleibt der beliebteste Vorwurf an die GC-Gemeinde, jener des Nobelklubs, der sich mit Bonzen-Geldern alimentiert und in dessen Logen Cüpli serviert werden. Fans des FC Aarau oder des FC Thun kann man die Freude lassen, in dieser Weise über GC herzuziehen, so sie denn das Bedürfnis dazu haben. Aber Baslern ? Oder Zürchern ? Wer ist denn nun die Frau, die seit einer Weile ein paar Promille ihres Vermögens in den FCB pumpt ? Mutter Theresa ? Und hat sie ihr Geld mit harter, ehrlicher Arbeit verdient, oder haben da vielleicht auch Dinge wie Heiraten, Erben und Glück eine Rolle gespielt ? Und was die Cüpli-Logen angeht : Ist es ein Gerücht, dass im St.-Jakob-Park nicht nur Landjäger und Rivella serviert werden? Wo, wenn man genau hinsieht, findet denn tatsächlich der in den Kurven so verhasste « moderne Fussball » statt, im Hardturm oder im Joggeli ? Und der FCZ : Hat er Pfarrer Sieber als Präsidenten ? Oder einen steinreichen Mann, einen Bonzen ? Und würden im Letzigrund nicht schon seit Ewigkeiten Cüpli ausgeschenkt, so man denn Logen hätte dafür ? Und sind zur Zeit nicht gerade Pläne sich am Konkretisieren, den lang ersehnten VIP-Raum unter der Haupttribüne einzurichten, um endlich Pöbel von Prominenz zu trennen ?
Was sich GC-Fans anhören müssen, ist letztlich nur eine Sammlung all dessen, wovor sich die Fans der Gegner fürchten (FCZ) oder wovor sie die Augen verschliessen, weil es bei ihnen zuhause schon lange viel schlimmer ist (FCB). GC stand vielleicht einst tatsächlich für Abgehobenheit, Noblesse und zuviel Geld. Inzwischen ist der Klub aber nur noch Projektionsfläche für all das Unbehagen, das der heutige Fussball produziert : Man hasst Logen - und lässt es an GC aus. Man fürchtet Investoren mit viel Geld und schlimmen Ideen - und lässt es an GC aus. Man regt sich über die Amerikanisierung der Stadionatmosphäre auf - und lässt es an GC aus. Ein Glück, dass sich die GC-Fans dadurch nicht beirren lassen. Ihre Kurve wird Jahr für Jahr dichter, daheim wie auswärts, ihre Gesänge werden lauter, ihre Choreographien ein bisschen besser. Der GC-Anhang, beheimatet in einem der besten Fussballstadien der Schweiz, bereichert den Liga-Alltag. Das wissen auch die andern. Und wären sie ehrlich, sie wären froh darum. Doch sie verharren lieber in ihren uralten, längst überholten Stereotypen. Und vielleicht muss das ja auch so sein, vielleicht gehört das einfach dazu. Den GC-Fans, so scheint es, hilft es letztlich nur

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captain tsubasa
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Beitragvon captain tsubasa » 30.08.07 @ 11:30

Wer sich die Knapp Daneben Texte als RSS-Feed abonnieren möchte, ich habe eine Yahoo-Röhre erstellt:
http://pipes.yahoo.com/pipes/pipe.run?_ ... render=rss

Pieder
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Beitragvon Pieder » 30.08.07 @ 15:06

Werter Pexito

Nerv dich ab meiner Meinung und nicht deswegen, weil ich ein Secondo aus Südeuropa bin. Idiot.

Genau das habe ich ja gemacht. Den Idiot kannst du dir deshalb sonst wohin stecken. Vielleicht hätte ich statt "die (Secondos)", "jene" schreiben sollen, vielleicht wolltest du mich aber ganz einfach nicht verstehen.


Zum Glück bin ich in Zürich aufgewachsen und jahrelang nur unter Secondos gelebt (kannst somit deine Tirade gleich weiterführen).

Wie du meinen Text als Tirade interpretieren konntest, verschliesst sich mir. Aber eben, vielleicht wolltest du es einfach als Tirade verstehen. Eventuell verhindert ja gerade die Tatsache, dass du (und auch Elim13) nur euer "Ghetto" in Zürich kennt, eine etwas differenzierte Sicht auf die Schweiz und die Schweizer. In Zürich die weltoffenen, urbanen und liberalen Schweizer, während im Rest der Schweiz nur konservative, reaktionäre, ausländerfeindliche, geranienzüchtende und schwulenfressende Bünzlischweizer zuhause sind, zu welchen gemäss deinem superkreativen Wortspieli ja auch ich gehöre. Aber stell dir vor, ich bin einem CVP-Elternhaus in einem Dorf in der Pampa mit 100 Einwohnern und 20 Misthaufen aufgewachsen, habe so ca. 250 Diensttage im Militär hinter mich gebracht, sitze sehr gerne in der Dorfbeiz am Stammtisch, habe aber noch nie bürgerlich gewählt (was sich diesen Herbst allerdings angesichts der unheilvollen Polarisierung ändern wird) und dann auch noch eine Ausländerin geheiratet, deren Mutter trotz über 30 Jahren in der Schweiz kein Wort deutsch spricht. Aber es ist halt schon so, mit einem sehr einfach gehaltenen Koordinatensystem geht es sich einfacher durchs Leben.

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Beitragvon captain tsubasa » 06.09.07 @ 8:26

Krebse, Schwalben, Stiche und Striche
von Pascal Claude

Wie niveauvoll Leserinnen und Leser sind, ist unter anderem daran zu erkennen, wie gut sie sich in Speisefragen auskennen. Die «Swiss Rolls», schrieb Leser D. als Reaktion auf die letzte «Knapp daneben»-Kolumne, seien «diese Himbeerrouladen mit dem weichen Teig». Noch weiter ging Leser U., der mit einem gezielten Hinweis Licht in die undurchsichtige Beziehung der Russen zum russischen Salat brachte. Der russische Salat nämlich wurde von einem Franzosen erfunden, er heisst in Wahrheit «Oliviersalat». Olivier kochte im zaristischen Moskau und wurde für seine fette Salatsauce berühmt. Dank Leser U. wird auch klar, weshalb die russische Delegation damals beim Länderspiel im Hardturm einen weiten Bogen um den russischen Salat machte: Während wir hier einfach ein paar Erbsen, Rüebli und Eier mit Mayonnaise zudecken, verwendete Olivier Haselhühner, Kalbszunge, Kaviar und Flusskrebse. Es hat also nicht nur Nachteile, wenn in der Schweiz alte Stadien das Zeitliche segnen - es kommen dafür auch neue Rezepte ins Land.

Wobei so ein Nachruf auf ein Stadion gar nicht so ungefährlich ist, wie ein Journalist eines immer grösser werdenden Verlagshauses erfahren musste. Seine samstäglichen Zeilen zum Hardturm erschütterten die kleine Welt zwischen Töss und Reuss so sehr, dass er sich am Montag zu einem entschuldigenden Kommentar genötigt sah. Genötigt von wem?, möchte man nachfragen, lässt es aber bleiben. Sicher ist, dass ein, zwei Belehrungen in Essensfragen gut zu verdauen sind angesichts des Orkans, der über den armen Reuigen von der Werdstrasse hinweggefegt ist.

Der Vollständigkeit halber darf nun aber auch der unbekannte Gastleser J. nicht unerwähnt bleiben, für dessen Geschmacksnerven die Beschreibung der Budapester Fussballfans, die 1997 im Hardturm zu eindeutigem Grusse ansetzten, eindeutig zu weit ging. In einem Mail an die WOZ weist er darauf hin, dass das normale Begrüssungsritual der Ferencváros-Fans zu Spielbeginn «Ähnlichkeit hat mit der nationalsozialistischen Begrüssung» und ich mich deshalb wohl geirrt hätte. Damit ich mich, statt wild zu spekulieren, mit Fakten befassen könne, verlinkte mich J. mit der englischen Wikipedia-Seite über Ferencváros Budapest. Dort ist zum Beispiel über das Uefa-Cup-Heimspiel gegen Millwall 2004 zu lesen: «Inside the ground, Millwall’s black players were subjected to racist abuse and ‹monkey chanting› for the duration of the entire match.» Dass vor dem Spiel zwei Millwall-Fans von einem Ferencváros-Anhänger niedergestochen worden waren, soll hier nicht mehr als eine Randnotiz sein.

Leider führt die zitierte Wikipedia-Stelle mehr oder weniger direkt zum hiesigen Tagesgeschäft, hat der YB-Spieler Frimpong, nachdem er gegen den FC St. Gallen zur Faust gegriffen hatte, doch verlauten lassen, die von ihm angegangenen Spieler hätten ihn zuvor rassistisch beleidigt. Auslöser des Aufruhrs war ein von Frimpong herausgeschundener Elfmeter inklusive Platzverweis für St. Gallens Torhüter. Die Frage ist nun: Gelingt es, die beiden Vorfälle getrennt zu beurteilen? Ein Blick ins Forum der Fans des FC St. Gallen bestätigt die schlimmsten Befürchtungen nicht: Bis zur Forderung nach sofortiger Ausschaffung Frimpongs samt Frau ist zwar nahezu alles zu lesen, doch wird immer auch wacker dagegen gehalten und differenziert. Bevor Frimpong mit den Vorwürfen an die Öffentlichkeit ging, hatte ich gedacht, seinen auffälligen Auftritt gegen St. Gallen (ein Tor, eine Schwalbe, eine Rote) zum Anlass zu nehmen, kurz über seinen Vornamen nachzudenken: Joetex. Frimpongs Eltern haben nämlich Geschmack bewiesen bei der Taufe, stand ihrem Sohn doch in Joe Tex eine wilde Soulgrösse Pate, die mit Hüftschüttlern wie «I gotcha» und «I can’t see you no more» die Tanzböden polierte. Darauf näher einzugehen wäre zum jetzigen Zeitpunkt aber unpassend.

Vielleicht nur unpassend, vielleicht auch ungut ist die orthografische Verrenkung, mit der die «Sportinformation» dem Phänomen der Doppelbürgerschaften Herr zu werden versucht: «Die beiden ‹Schweizer› Mladen Petric (Dortmund) und Ivan Rakitic (Schalke 04) sind für die EM-Qualifikationsspiele Kroatiens gegen Estland und in Andorra aufgeboten worden», war in der NZZ zu lesen. Was ist ein Schweizer in Anführungszeichen? Ein vermeintlicher? Ein Möchtegern-? Ein halber? Striche sagen mehr als tausend Worte.

http://www.woz.ch/artikel/archiv/15348.html

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Beitragvon pexito » 06.09.07 @ 16:43

Pieder hat geschrieben:Werter Pexito

Nerv dich ab meiner Meinung und nicht deswegen, weil ich ein Secondo aus Südeuropa bin. Idiot.

Genau das habe ich ja gemacht. Den Idiot kannst du dir deshalb sonst wohin stecken. Vielleicht hätte ich statt "die (Secondos)", "jene" schreiben sollen, vielleicht wolltest du mich aber ganz einfach nicht verstehen.


Zum Glück bin ich in Zürich aufgewachsen und jahrelang nur unter Secondos gelebt (kannst somit deine Tirade gleich weiterführen).

Wie du meinen Text als Tirade interpretieren konntest, verschliesst sich mir. Aber eben, vielleicht wolltest du es einfach als Tirade verstehen. Eventuell verhindert ja gerade die Tatsache, dass du (und auch Elim13) nur euer "Ghetto" in Zürich kennt, eine etwas differenzierte Sicht auf die Schweiz und die Schweizer. In Zürich die weltoffenen, urbanen und liberalen Schweizer, während im Rest der Schweiz nur konservative, reaktionäre, ausländerfeindliche, geranienzüchtende und schwulenfressende Bünzlischweizer zuhause sind, zu welchen gemäss deinem superkreativen Wortspieli ja auch ich gehöre. Aber stell dir vor, ich bin einem CVP-Elternhaus in einem Dorf in der Pampa mit 100 Einwohnern und 20 Misthaufen aufgewachsen, habe so ca. 250 Diensttage im Militär hinter mich gebracht, sitze sehr gerne in der Dorfbeiz am Stammtisch, habe aber noch nie bürgerlich gewählt (was sich diesen Herbst allerdings angesichts der unheilvollen Polarisierung ändern wird) und dann auch noch eine Ausländerin geheiratet, deren Mutter trotz über 30 Jahren in der Schweiz kein Wort deutsch spricht. Aber es ist halt schon so, mit einem sehr einfach gehaltenen Koordinatensystem geht es sich einfacher durchs Leben.


Wer nur einen Satz aus einem ganzen Posting als Referenz nimmt, welcher noch als "Mist" angekündigt wurde, der soll mal vor eigener Haustüre kehren. Das Thema ist Rakitic und der Artikel dazu.


Jetzt wieder etwas bösartiger:
Ja, ich, Erkan und Stefan, wir sind halt Ausländer aus Prinzip. Nur so, weils Spass macht. Habe ja auch nicht miterlebt, wie in weniger "aufgeklärteren Zonen" diese Landes über Ausländer hergezogen wird. Und zwar so, dass sogar Secondos, aus Mangel an Alternativen und blinder "Integration", gleich mitwirken. Die stellen dann auch immer lustige Thesen auf und fragen neugierig den Stadtmensch, wie schlimm das in der Stadt sein muss. Weil im Plick die vielen pösen Ausländer, auch immer als "Ausländer" bezeichnet werden, anstatt des üblichen "Hans K.". Natürlich sind das nicht alle, aber es ist eine negative Tendenz erkennbar, und zwar schon seit mehreren Jahren. Zur These, dass in der ländlichen Gegend der Rassismus ausgeprägter sei, ist für mich klar ersichtlich. Wenn du das anders siehst, ok. Ausserdem interessierts hier niemand was du als einzelner wählst, aber die Wahlresultate können alle sehen. Vielen Dank auch, dass du eine verlorene Seele gerettet hast, indem du sie geheiratet hast, obwohl ihre Mutter kein Wort Deutsch kann. Wo kämen wir sonst auch hin. Bist mein persönlicher Retter aller Emmigranten. Nur dumm, dass im Unterschied zu Deutschland, hier eben nicht gilt: DU BIST SCHWEIZ!

Die Frage steht im Raum, mein lieber Pieder: Was hätte den Pieder schreiben müssen, damit man das "Secondo aus Südeuropa" weglassen hätte können? Was wenn ein Schweizer den Vorwurf des Rassismus gegen die Schweiz erhoben hätte? Was hätte Pieder dann Schreiben müssen?
"We will always rebel against a threatening defeat" RED REBELS

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Beitragvon captain tsubasa » 12.09.07 @ 19:36

Rayon vs. Raison
von Pascal Claude

Ende August wurden in Zürich die ersten 29 Rayonverbote gegen Fussballfans ausgesprochen. Seit vergangenem Freitag sind es noch 28. Einem Anhänger des FC Zürich, der mit Hilfe seiner Anwältin gegen die Massnahme Beschwerde eingereicht hatte, wurde Recht gegeben. Der junge Mann darf sich in der Stadt Zürich fortan wieder frei bewegen und erhält eine Prozessentschädigung von 1500 Franken. Mit dem Urteil kann er dennoch nicht zufrieden sein.

Grundlage des Rayonverbots war eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung anlässlich der Meisterfeier des FCZ am 24. Mai 2007. Dem Fan wurde vorgeworfen, ein Kamerateam von «Schweiz aktuell» angegangen und dabei am Equipment einen Schaden von einigen Hundert Franken verursacht zu haben, was der Angeschuldigte stets bestritten hat. Ohne Urteilsspruch sprach darauf die Stapo Zürich ein einjähriges Rayonverbot aus, gültig bis 21. August 2008 (also bis nach EM-Ende) «im Umfeld von Sportveranstaltungen, während des Zeitraums von sechs Stunden vor bis sechs Stunden nach der Veranstaltung». Das sind inklusive Spiel rund 14 Stunden, und dies an über 60 Tagen, rechnet man allein mit den Heimspielen von FCZ, GC und ZSC. «Sportveranstaltung» ist aber ein weiter Begriff und umfasst auch Anlässe wie den Zürich-Marathon und sämtliche Breitensportspiele. Die zu den Rayonverboten mitgelieferten Ausführungen ermächtigen die Stapo Zürich theoretisch, die Stadt - die sechs Rayons betreffen die Gebiete Letzigrund, Hardturm, Hallenstadion, Bahnhof Altstetten, Hauptbahnhof und Seebecken - für Betroffene während 365 Tagen zu sperren, denn irgendwo wird immer Sport veranstaltet.

Der Haftrichter am Zürcher Bezirksgericht ging auf die vom Rechtsdienst der Stadtpolizei Zürich fahrlässig formulierte Verfügung jedoch nicht ein, sondern stützte sich lediglich auf die Tatsache, dass das Strafverfahren gegen den FCZ-Fan in der Zwischenzeit eingestellt worden war. Und fügte an: Wäre der Fan an besagter Rangelei weit ab des Stadions tatsächlich in irgendeiner Art beteiligt gewesen, hätte er das Rayonverbot in diesem Ausmass als durchaus berechtigt erachtet.

Verhängung und Aufhebung dieses Rayonverbots führen erstmals an einem konkreten Fall vor Augen, wo es beim Hooligangesetz hapert: an allen Ecken und Enden. Hier wird mit Gummibegriffen um sich geknüppelt, dass jegliche rechtliche Sicherheit auf der Strecke bleibt: Was heisst «im Umfeld von Sportveranstaltungen»? Ist hier die Kneipe neben dem Stadion gemeint, der Weg vom Stadion in die Innenstadt (wie im vorliegenden Fall), die Disco, die einer weit nach Spielschluss mit ein paar Freunden aus der Kurve betritt? Befinde ich mich auch im Umfeld einer Sportveranstaltung, wenn ich an der Strecke des «Inline-Contests» an einer Stehbar eine Wurst esse? Was ist eine «Beteiligung an gewalttätigem Verhalten», die für eine Massnahme gemäss BWIS ausreicht? Gelte ich als beteiligt, wenn meine Freundin jemanden schlägt? Herrscht Sippenhaftung, wenn jemand aus meiner Fangruppierung ausfällig wird? Und ist Gaffen auch eine Form der Beteiligung?

Rayonverbote können maximal für ein Jahr ausgesprochen werden. Bisher ist in Zürich kein Fall bekannt, wo dieses Maximum nicht ausgeschöpft worden wäre. Müsste hier aber nicht die Schwere des Vergehens massgebend sein für die Dauer des Verbots? Oder wiegt im Zusammenhang mit Fussballspielen einfach alles gleich schwer, nämlich schwerstmöglich? Und wie steht es in Zürich um das rechtliche Gehör? Muss tatsächlich jeder mit Rayonverbot den mit hohen Anwaltskosten verbundenen Weg der Beschwerde gehen, um seine Sicht der Dinge darlegen zu können? Ist es schlichtweg normal, dass Rayonverbote, welche die persönliche Bewegungsfreiheit massiv einschränken, allein aufgrund laufender Verfahren ausgesprochen werden können? Und ist von einem Rechtsdienst der Polizei nicht zu erwarten, dass sie abklärt und festhält, was mit einem geschieht, der innerhalb eines Rayons wohnt oder arbeitet?

Was hier läuft, geht über den Fussball hinaus. Und soll 2010 verfassungstauglich werden.

http://www.woz.ch/artikel/rss/15384.html


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