Knapp daneben

Hier kommt alles über Fussball rein, das nicht mit dem FCZ zu tun hat.
Benutzeravatar
captain tsubasa
Beiträge: 983
Registriert: 21.06.03 @ 13:33
Wohnort: zureich

Beitragvon captain tsubasa » 18.01.07 @ 8:36

http://www.woz.ch/artikel/archiv/14385.html
Stadionstar
von Pascal Claude
Bild
Brügglifeld, oh Brügglifeld, du bist es wert, das viele Geld, das du den Gästefans abknüpfst. Umarmt wirst du von Einfamilienhäuschen, deren Vorgärten Spieltag für Spieltag frisch gedüngt werden, seit Menschengedenken. Geduckt stehst du da, bescheiden, klein und schön. Deine Würste sind gut, und du hast den Mut, sie von Frauen verkaufen zu lassen, die Tätowierungen tragen für den Staatsschutz. Niemand braucht eine Mittellandarena, denn mehr Mittelland als du ist niemand. Du bist nah bei den Menschen, und wir sind nah bei dir - du kriegst eine 9,2.

Joggeli, oh Joggeli, mal ohne jede Ironie, in dir findet der Fussball statt. Doch ist er dir vielleicht etwas schnell zu Kopf gestiegen. Ein paarmal warst du wirklich voll, und das ist ja auch dein Zweck, und schon streckst und reckst du dich, hebst dein Dach aus den Angeln und machst dich grösser als du bist. Warum? Deine Mutter war anders, bescheiden, tolerant. Sie erlaubte den Gästen Spaziergänge durchs Rund und Ziegelhof einen Bierstand. Heute sagst du allen, wo sie hingehören, und der Zapfhahn wird aus Kopenhagen ferngesteuert. Besinne dich deiner selbst, sei nicht schneller als die Zeit - eine 8,5.

Hardturm, oh Hardturm, gegen dich läuft das Quartier Sturm, nein, nicht gegen dich, sondern für dich! Du sahst der Abrissbirne ins Gesicht, ehe ein Schattenwurf dich rettete. Und vielleicht ein Fahrtenmodell. Viel hast du erlebt, hast nicht nur Gäste empfangen aus Kroatien, Nordirland, Albanien oder Leningrad, du hast dich als Heimat auch immer ausgeliehen, an Basel, Wil, St. Gallen und gar an den FCZ. Am Zaun in deinem Gästesektor steht, es sei verboten, am Zaun zu stehen, doch lässt dein Manager so viele Menschen rein, dass sie nicht anders können. Du warst der Erste mit Logen, heute wirkst du alt - alt und erfahren. Für dich eine 9,3.

Allmend, oh Allmend, wer dich richtig kennt, weiss: Du hattest es nicht leicht. Du warst besetzt von Meuterern, Hochstaplern und Stuhldieben, und der Freudenschrei blieb dir oft im Halse stecken. Nirgendwo ist die Sicht aufs Feld schlechter als in deiner Horwer Kurve, und doch ist es gemütlich dort und gar nicht weit zum Stand mit Kafi Schnaps. Deine Haupttribüne versammelt vierundzwanzig Stuhlmodelle, und vom Stehplatz zum Pilatus ist es nur ein rascher Blick. In dir ist die Innerschweiz, und sie wird es auch sein, wenn du nicht mehr bist - doch wird sie weinen um dich. Eine 9.

Breite, oh Breite, auf deiner einen Seite steht ein Zaun, und der tut weh. Wer in dir spielt, lässt Schweiss und Tränen und ab und zu den Finger, am Zaun, mit Ring, aua. Es ist ein Marsch zu dir, die Gass hinauf mit Schnauf, doch einmal oben belohnst du alle. Bäume säumen deinen Rasen, und von all deinen Plätzen sind nur dreizehnhundert zum Sitzen. Dein Bier ist ein Vogel, gebraut im Ort. Man will dir an den Kragen mit dem FCS-Park, doch du machst dich ganz gut in deinem Flickwerk aus Stahlrohr und Plastik. Bleib wie du bist - eine 8,8.

Tourbillon, oh Tourbillon, du Stolz der kleinen Stadt Sion. Platte Reime hast du nicht verdient, du Schmuckstück an der Rhone. Bist in allen Ecken offen und lässt deine Gäste das Wallis sehen, und doch schützt du dein Feld auf allen vier Seiten und lässt den Lärm die Spieler begleiten, wie man es sich wünscht. Du lässt den Weissen fliessen und den Käse auch, nur zäher, und wer in dir war, hatte Urlaub einen schönen Sonntag lang. Nun knabbert ein Nager an deinem Gebälk - die Tollwut vielleicht? - und will dich nach Martigny zügeln. Doch das reimt sich nicht auf dich. Hab keine Angst - 9,4.

Espenmoos, oh Espenmoos, was soll einst ohne dich sein bloss? Im Schatten deines Muscheldachs findet Wunderbares statt. Spieler, Pflügen gleich, beackern deinen Rasen für die nächste Anbauschlacht. In dir geht es um den Biss. Selbst die «Neue Zürcher Zeitung» schrieb, statt von Zuschauerzahlen, von der Anzahl abgesetzter Bratwürste. Stadionrekord, hiess es, und du dampfst stolz vor dich hin. Unter deinen Behelfstribünen beginnt die Unterwelt, aus Dreck, Bier und Matchprogrammen, und die Untoten Hutter und Mock röcheln leise: Wir wollen Fussball, keine Einbauküchen - eine 9,7.

Lachen, oh Lachen, in deinem kleinen Rachen ruhen viele Millionen. Was tun damit? Es weiss es weder du noch er. Vielleicht brauchst du das Friendshipticket gegen Ende der Saison, um nicht als reicher schöner Rasen Amateurtrübsal zu blasen. Den See vor dir, den kalten, und die Jungfrau fest im Blick, bliesest du den Gästen steif die Brise um die Ohren, früher. Für die richtig grossen Feste warst du deinen Herren aber niemals gut genug. Weine, Lachen, denn du hast viel Grund, macht zu allem Übel eine Rennbahn dich zum Rund. In Anteilnahme - eine 8.

Wankdorf, oh Wankdorf, kein andres Wort passt als amorph. Und es passt ganz gut. Mit einem Erbe reich beschenkt, hast du ihn abgeschüttelt, deinen ganzen Ballast, entsorgt in der Mulde der Geschichte. Nun stehst du da, von einer Migros nicht zu unterscheiden. So sehr scheust du Erdverbundenheit, dass selbst der Rasen nicht mehr sein darf, dafür nun Eishockey und Williams. Du bist alles und nichts, könntest überall stehen und allen gehören. Du verwöhnst deine Gäste mit allem, was sie nicht brauchen, bist noch jung, doch den andern weit voraus. Zu weit - eine 7.

Letzigrund, oh Letzigrund, du warst so eckig, jetzt wirst du rund. Ein frühes Urteil soll nicht sein, doch die Furcht ist da, dass mit den Ecken auch die Kanten weichen. Deine Masten gaben Halt, sie waren schief und trotzdem gut verankert. Du liessest deine Gäste stehen, nicht im Regen, sondern da, wo sie wollten. Bald wirst du sie sitzen lehren, D4 R35, A6 R78, und deine flache Kneipe wird zur tollen Lounge. Du kriegst - beweis das Gegenteil! - eine 7,5.

Kommentare und Reaktionen zu dieser Kolumne bitte an: sport@woz.ch



• Weitere Texte im Dossier: «Knapp daneben»

WOZ vom 18.01.2007


Benutzeravatar
captain tsubasa
Beiträge: 983
Registriert: 21.06.03 @ 13:33
Wohnort: zureich

Beitragvon captain tsubasa » 25.01.07 @ 17:55

http://www.woz.ch/artikel/archiv/14418.html
Kampfzone Sicherheit
von Pascal Claude
Bild
Im Internet stiess ich vor kurzem auf ein Fussball-Fanzine im pdf-Format: «Der Stelzbock. Das Blatt für den Block». Herausgegeben wird es von den United Supporters des FC Luzern, dem Dachverband der unabhängigen, aktiven FCL-Fans. «Der Stelzbock» zeigt auf eindrückliche Weise, dass die Zeit der maschinengeschriebenen, mit Schere und Leim gelayouteten und von Hand kopierten Fanzines ohne jeden Zweifel vorbei ist. Es ist das grosse Verdienst des «Stelzbocks», dass der Übertritt ins papierlose Zine-Zeitalter praktisch schmerzfrei vollzogen werden kann.

In der ersten Ausgabe des übersichtlich gestalteten und inhaltlich reichen Heftes findet sich ein ausführliches Interview mit dem Luzerner Sicherheitschef Daniel Ryter. Ryter fährt darin gegen die Swiss Football League (SFL) und den später zurückgetretenen Präsidenten der Sicherheits- und Fankommission, Thomas Helbling, schweres Geschütz auf. Helbling war Hauptverantwortlicher der von der SFL auf die Saison 2006/2007 eingeführten Registrationspflicht für Auswärtsfans. Als im ersten Spiel der Saison die Fans des FC Zürich vor den Toren der Luzerner Allmend standen, registrierungsunwillig, entschied Daniel Ryter eigenmächtig, die Tore zu den herkömmlichen Bedingungen zu öffnen. Helbling stiess das damals sauer auf, was Ryter im «Stelzbock» wie folgt kommentiert: «Als es hart auf hart ging, als wir uns vor Ort in den Stadien mit den Folgen der Registrationspflicht auseinandersetzen mussten, liess es sich Thomas Helbling in den Ferien gut gehen. Trotzdem liess er es sich nicht nehmen, mir via an den Karren zu fahren. Obs mich gekratzt hat? Nicht im Geringsten!»

Ryter wendet sich in seiner Kritik auch an die SFL als solche, spricht von einem «unsinnigen Ligabeschluss» und von von der SFL diktierten baulichen Veränderungen, die eher eine Gefahr darstellten und «aus sicherheitstechnischer Sicht ein völliger Quatsch» seien. Angesprochen auf die von Ryter erhobenen Vorwürfe, nimmt Roger Müller, Marketing- und Kommunikationsverantwortlicher der SFL, als Erstes Thomas Helbling aus der Schusslinie: «Es war Thomas Helblings Aufgabe, Vorschläge für ein neues Sicherheitsreglement auszuarbeiten. Seine Vorschläge wurden aber vom Komitee der SFL und von den Klubs an einer Generalversammlung abgesegnet, das Reglement ist ein Gemeinschaftswerk.» Wenige Wochen nach ihrer Einführung war die Registrationspflicht bereits Geschichte, der Boykott breiter Fankreise hatte Wirkung gezeitigt. Müller war derjenige, der anstelle Helblings die Streichung des betreffenden Passus aus dem Sicherheitsreglement vor den (teils empörten) Medien bekannt geben musste. Er kann Ryters Ärger in gewissen Punkten nachvollziehen und blickt selbstkritisch auf den vergangenen Sommer zurück: «Wir wollten nach den Vorkommnissen vom 13. Mai in Basel wahrscheinlich zu schnell zeigen, dass wir aktiv sind. Dabei haben wir die praktische Umsetzung nicht genug bedacht.» Mit mehr Vorlauf und besserer Kommunikation, so Müller, hätte die Geschichte womöglich einen anderen Verlauf genommen. Trotzdem ist die Registrationspflicht bei der SFL nun vom Tisch. «Unser Weg ist heute ein anderer», versichert Müller.

Dieser andere Weg trägt zwei Namen, wie die SFL vor zehn Tagen in einem Communiqué bekannt gegeben hat: Peter Landolt und Christian Schöttli. Landolt, der neu die Sicherheits- und Fankommission präsidiert, war viele Jahre GC-Stadionmanager im Hardturm und wird in dieser Funktion im neuen Letzigrund tätig sein. Bekannt wurde Landolt auch durch seine eigenwillige präventive Arbeit: So lud er Basler Hooligans zu einem Spiel gegen die dritte Mannschaft der Grasshoppers nach Zürich ein, mit anschliessendem Abendessen im Hardturm-Stadioncafé. Der «Tages-Anzeiger» berichtete damals in Farbe. Schöttli, der mit Landolt auf Mandatsbasis für die SFL arbeitet, ist Sicherheitschef des FC Zürich und hat sich als Geschäftsführer einer privaten Sicherheitsfirma bei vielen Fans einen Namen gemacht.

Die SFL erhofft sich von den Sicherheitsleuten Landolt und Schöttli die nötige Praxisnähe, um Rohrkrepierer wie die Registrationspflicht und Rundumschläge wie jene Daniel Ryters in Zukunft zu vermeiden. Ob der Graben zwischen den Ansprüchen der SFL und der Wirklichkeit vieler Klubs wirklich so gross ist, wie Ryters Aussagen vermuten lassen, wird sich in den nächsten Monaten zeigen; ebenso, welcher Platz Fananliegen in der ganzen Debatte eingeräumt wird. Ganz abgesehen davon, und auch wirklich nur ganz am Rande, stellt sich dann als Letztes noch die Frage, was die schleichende Fusion der beiden Zürcher Klubs auf Sicherheitsebene zu bedeuten hat.

Kommentare und Reaktionen zu dieser Kolumne bitte an: sport@woz.ch



• Weitere Texte im Dossier: «Knapp daneben»

WOZ vom 25.01.2007

Benutzeravatar
captain tsubasa
Beiträge: 983
Registriert: 21.06.03 @ 13:33
Wohnort: zureich

Beitragvon captain tsubasa » 03.02.07 @ 13:47

Erlebe Emotionen in der UBS-Arena
Von Pascal Claude

Drei Prozent der Schweizer Bevölkerung ärgern sich laut einer Demoscope-Studie über die Euro 08. Das ist eine fiese Zahl, denn drei Prozent, das sind die ewigen Miesmacherinnen und Calvinisten, die meinen, alles müsse seine Ordnung haben.
Bild

Das sind die drei Prozent, die immer irgendwo dagegen sind, gegen Skirennen bei fünfzehn Grad plus, gegen Crevettenspiesschen, gegen die GegnerInnen der Südanflüge, gegen die Zeitungen, die gegen den Verzicht auf Formel 1 beim Schweizer Fernsehen sind. Die drei Prozent sind die, zu denen niemand gern gehört. Ausser man wird gezwungen.

Wie auch immer: Es war zu befürchten, dass sie sich irgendwann zu Wort meldet, die UBS, schliesslich ist sie nationaler Sponsor der Euro 08. Jahrzehntelang hat sie sich vom Fussball ferngehalten, diesem unterschichtigen und anlagefeindlichen Minenfeld, bis sie merkte, dass dem Tretsport nun auch Eintritt gewährt wird in den «Salon», dass Politikerinnen und Soziologen, Literatinnen und Philosophen sich dazu äussern und dass bei Länderspielen nun auch Offroader mit Zuger Kennzeichen vor dem Joggeli parkieren. Der Fussball, hat sich die UBS gesagt, entflieht dem Proletenmilieu. Zeit, einzusteigen. Als erstes stach sie die Credit Suisse aus und wurde offizielle Bank der Euro 08 und nationaler Sponsoringpartner der Uefa. Die CS, die die Nachwuchsarbeit des Fussballverbandes während der letzten zwölf Jahre finanziert hat und vielleicht dachte, vom Verband dafür etwas zurückzubekommen, schaute ziemlich dumm aus der Wäsche. Und nun schenkt uns die UBS in einem Akt seltener Selbstlosigkeit siebzehn UBS-Public-Viewing-Arenen für die Zeit der Euro 08. Der für die Umsetzung verantwortliche Patrick Magyar jubelte in «Sport aktuell», es werde wie in einem Stadion sein, bloss liege das Sitz-/Stehplatz-Verhältnis in den UBS-Arenen bei 1:5 bis 1:6. «Wie früher in den Fussballstadien also?», fragte demütig der SF-Sportreporter. Und Magyar strahlte: «Da, wo es noch richtig abgegangen ist mit der Stimmung, jawohl.»

Was soll man da sagen? Ist das nicht alles irgendwie pervers? Da wartet die Grossbank, bis sich der Fussball von all dem Pöbel und Gesocks befreit, bis er die wirklichen Massen erreicht hat, auch die mit viel Geld und wenig Skrupel, bis er clean ist und gezähmt, bis er strahlt und glänzt und Milliarden umsetzt, und dann steigt sie ein, top down, überzieht das Land mit Plastikstadien und lässt in diesem Fussball-Disneyland die gute alte Zeit hochleben. Das ist kaputt. Das ist einfach total kaputt.

Zur gleichen Zeit lässt die Uefa verlauten, sie werde an die Euro 08 Detektive entsenden im Kampf gegen Ambush-Marketing, und der «Tages-Anzeiger» berichtet, die Uefa wolle Gebühren erheben auf jeden verdammten öffentlichen Fernseher. Das stimme nicht, wehrt sich die Uefa, das gelte nur für Leinwände, und sie verklemmt sich dabei ein «leider». Soll mir keiner erzählen, der neue Präsident Michel Platini werde hier die Notbremse ziehen und gleichzeitig Moldawien einen Champions-League-Startplatz garantieren. Mehr Spektakel, weniger Markt? Wer’s glaubt. Und seit Platinis Jubel nach seinem Penaltytor im Heysel und seiner Erklärung «wenn der Trapezkünstler stirbt, bringen sie den Clown» möchte ich mit diesem Herrn sowieso nie über seine Definition von Spektakel reden.

Am 7. Juni 2008 fahr ich vielleicht nach Grenchen in die UBS-Arena, weil sich bei mir in der Nähe niemand die Uefa-Euro 08-Leinwand-Gebühren leisten kann. Ich werde vielleicht das T-Shirt der Brauerei Einsiedeln tragen, das ich zu meinem letzten Geburtstag geschenkt bekommen habe. Uefa-Ambush-Marketing-Detektive werden mich erwischen und der Polizei übergeben, weil Feldschlösschen das offizielle Arena-Bier ist. Ich werde viele Emotionen erleben, mich wehren und schreien: «Maisgold ist besser als Gold! Dinkel ist besser als Urtrüb!» Wegen blöden Verhaltens anlässlich einer Sportveranstaltung werde ich in der Hooligendatenbank landen. Nun bin ich vom Fussball ausgeschlossen. Ich bleibe jedes Wochenende zu Hause und schaue Bahn-TV. Und wenn mich jemand fragt, wie ich mich fühle, sage ich: «Wie drei Prozent.»

Kommentare und Reaktionen zu dieser Kolumne bitte an: sport@woz.ch



• Weitere Texte im Dossier: «Knapp daneben»

WOZ vom 01.02.2007

Benutzeravatar
captain tsubasa
Beiträge: 983
Registriert: 21.06.03 @ 13:33
Wohnort: zureich

Beitragvon captain tsubasa » 15.03.07 @ 14:53

Kilowattköbi
Von Pascal Claude

Nun sitzt er schon im «Fussballtalk» auf SF 2, der Rainer Meier, und spricht über den Zustand der Schweizer Liga. Er ist zurück im Geschäft. Als «Blick»-Sportchef war er 1996 verantwortlich für die Kampagne gegen den damaligen Nati-Trainer Artur Jorge. «Jetzt spinnt er», titelte Meier nach Jorges Verzicht auf Adrian Knup und Alain Sutter, und mit dem Spinnen spielte die Zeitung auf den Hirntumor an, den sich der Portugiese einst hatte entfernen lassen. Rainer Meier verliess den «Blick» kurz darauf, liess es sich aber nicht nehmen, die Geschichte in einem «Magazin»-Artikel später erneut aufzuwärmen: Jorge hätte damals, vor der EM 1996, in der Kabine die Spieler zum Teil verwechselt, behauptete Meier, ohne eine Quelle zu nennen.

Nach der Lancierung der gänzlich erfolglosen Deutschschweizer Fussballzeitschrift «Matchmag» und einer Anstellung in der Swissair-Kommunikationsabteilung landete Meier bei der Axpo, als Leiter Corporate Communications. Die Axpo, Hauptsponsorin der höchsten Schweizer Fussballliga, drehte mit Nati-Trainer Köbi Kuhn einen Solarstrom dissenden Werbespot für Atomenergie, der Bundesrat Leuenberger und einigen andern sauer aufstiess. Rainer Meier bezeichnete in Axpos Namen den Spot süffisant als Diskussionsbeitrag in der Energiefrage und nahm Hauptdarsteller Kuhn in Schutz. Dieser war in der Zwischenzeit wütend geworden und davongelaufen, als ihn ein «10vor10»-Reporter fragte, wie er selber denn zu Atomstrom stehe. Die Axpo zog den Spot zurück, und Köbi Kuhn musste sich gequälten Blickes eine Solaruhr schenken lassen. Das interessiert aber nicht weiter, und es ist auch anzunehmen, dass Kuhn für all die negativen Schwingungen von der Axpo atomar entschädigt worden ist. Bemerkenswert ist viel mehr, dass Kuhn, dessen persönlicher Berater Erwin Zogg ebenfalls ein ehemaliger «Blick»-Journalist ist, mit Rainer Meier nun einen Fürsprecher gefunden hat, der einen von Kuhns Vorgängern auf beispiellose Art fertiggemacht hat.

Das WM-Spiel gegen die Ukraine war das wichtigste der Schweizer Nati seit dem Achtelfinale 1994 gegen Spanien. Kuhn wechselte falsch aus, nominierte seltsame Penaltyschützen und verlor. Seine Erklärung: «Hätte ich Frei drin gelassen, hätten wir das Penaltyschiessen halt statt mit 0:3 mit 1:3 verloren.» Damit kam er durch. Obwohl alle wussten, dass nach dem ersten verschossenen Penalty der Ukraine und einem möglichen Tor Freis alles anders gewesen wäre. Seit der WM bringt die Nati kein Bein vors andere, 1:2 gegen Österreich, 1:2 gegen Brasilien, 1:3 gegen Deutschland; knappe Niederlagen, grosse Defizite. Jeder andere Nati-Trainer wäre nach dieser Halbjahresbilanz auf dem Seziertisch der Boulevardpresse gelandet. Nicht aber Köbi. Nicht Köbi National.

Jetzt hat Kuhn Captain Johann Vogel telefonisch entlassen. Er hätte den Entscheid mit niemandem besprochen, sagt Kuhn. Als müsste man es tapfer finden, wenn einer Entscheide solcher Tragweite alleine fällt. Es zu glauben fällt ohnehin etwas schwer. Der «Blick» konzentriert sich auf Vogels emotionale Reaktion auf den Rausschmiss und gibt ihn damit der Lächerlichkeit preis. Köbi Kuhn, Trainer des Jahres, Schweizer des Jahres, Werbesujet der Credit Suisse, der Axpo, des Bauernverbands, einer Schoggifirma und eines Bierkonzerns, lächelnd mit Frau Alice auf dem Titelblatt der «Schweizer Illustrierten», Köbi Kuhn, gut vernetzt, gut beraten, gut bezahlt, darf bleiben. Er möchte gern Europameister werden.
quelle: http://www.woz.ch/artikel/archiv/14664.html

Benutzeravatar
captain tsubasa
Beiträge: 983
Registriert: 21.06.03 @ 13:33
Wohnort: zureich

Beitragvon captain tsubasa » 23.08.07 @ 7:57

Missmut, verständlich
Von Pascal Claude

«Wir haben euch gerettet. Der Krieg in Jugoslawien ist vorbei. Es ist Zeit, Danke zu sagen und zu gehen.» Solche Briefe erhält Luka Rakitic, wohnhaft in Möhlin AG, der Jugoslawien verlassen hat, als es Jugoslawien noch gab, lange vor dem Krieg. Luka Rakitic hat einen Wunsch: Er möchte den Schweizer Pass. Doch «der wird abgelehnt», heisst es auf den Strassen von Möhlin. Das hat die «Basler Zeitung» (BaZ) herausgefunden. Und sie ist voller Mitgefühl: «Der Missmut der Möhlemer wird verständlich, wenn man betrachtet, dass der junge Rakitic im Dorf seine Ausbildung durchlaufen hat», schreibt die Journalistin.

Der junge Rakitic, es ist bekannt, hat sich als Doppelbürger dafür entschieden, für die kroatische Nationalmannschaft zu spielen. Man hatte ihm bei der Einbürgerungsfeier in Möhlin vergessen mitzuteilen, dass nach Fricktaler Recht der Schweizer Pass dazu verpflichtet, sein Doppelbürgertum zu verleugnen. Jetzt ist der junge Rakitic weg, auf Arbeit im Ruhrgebiet, doch geblieben ist seine Sippe, und die wird nun in Haft genommen, dass es kracht. Auch von der «Basler Zeitung».

Der Missmut auf einen Vater, dessen mündiger Schweizer Sohn eine freie und aus sportlicher Sicht hochgradig vernünftige Entscheidung getroffen hat (Kroatien hat sich seit der Staatsgründung ausser für die EM 2000 für alle Europa- und Weltmeisterschaften qualifiziert), ist für die «Basler Zeitung» verständlich, weil der Sohn im Dorf die Lehre gemacht hat. Mit anderen BaZ-Worten: Vor dem Hintergrund, dass Sohn Rakitic nicht für die Schweiz Fussball spielt, wird die Tatsache, dass er in der Schweiz eine Lehre absolviert hat, zu einer solch bodenlosen Frechheit, dass eine Retourkutsche in Form einer verweigerten Einbürgerung des Vaters geradezu auf der Hand liegt.

Es wird einem leicht anders bei alledem. Die BaZ hat für ihren stimmungsvollen Report in Möhlin sogar einen SP-Mann aufgetrieben, der über den jungen Rakitic den Kopf schüttelt und von «Öl ins Feuer» redet. Ich rief den Mann an, damit er erklärt, er denke in Wahrheit ganz anders, doch er sei in den Ferien, sagte eine Frauenstimme. Vielleicht ruft er irgendwann zurück. Vielleicht liegen wir bis dann aber auch in den Schützengräben, im heiligen Krieg gegen die Undankbaren.

«Wir haben euch gerettet.» Wir. Euch. Wir, das sind wir Schweizerinnen und Schweizer, ganz Liebe, Flotte, allesamt. Jeder und jede von uns ist damals Anfang Neunziger an die Grenze gefahren, die Arme ausgebreitet, im Rucksack heissen Tee und Wolldecken, bereit und willig, alles Elend aufzunehmen, das da kommen mag. Wir. Was haben wir uns nicht alle die Hände schwielig gekrüppelt in der Flüchtlingshilfe. Und dann dieser verdammte Undank. Dieser Hochverrat von diesem wasserstoffblonden Sauhund. «Komm mir nicht mit diesem Verräter», das sagte auch der Barkeeper in der kleinen Luzerner Kneipe, als bei der Bundesliga-Konferenzschaltung der kleine Rakitic ins Bild rückte. «Huere Verröter», nickte der Gast am Tresen. Man ist sich einig, an Reuss und Rhein.

Mit Blaise Nkufo kehrt ein Mann in die Nati zurück, der auf Fragen mit afrikanischen Sprichwörtern antwortet und der es verstanden hat, sich mit Köbi Kuhn zu versöhnen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Zu Rakitic sagt Nkufo in der «SonntagsZeitung»: «Doppelbürger müssen auf ihr Herz hören.» Dem Verband, der Nkufo für das Länderspiel gegen Holland aufgeboten hat, dürfte solches nicht gefallen. Dieser Verband, der seit Jahren an vorderster Front von der Migration profitiert, will junge Auswahlspieler mit Doppelpass schon im Knabenalter dazu bringen, sich der zweiten Haut zu entledigen; bislang mittels Unterschrift unter einen Ehrenkodex, am liebsten aber über eine Ausbildungsentschädigung. Eltern, deren Kinder sich am Ende doch noch umentscheiden, sollen zahlen. Luka Rakitic, der so gerne Schweizer wäre, würde sicher sofort zahlen. Doch für ihn hat man sich etwas Besseres ausgedacht.

http://www.woz.ch/artikel/rss/15303.html

Soccerlove
Beiträge: 654
Registriert: 11.12.06 @ 18:43
Wohnort: Quartier Werd

Beitragvon Soccerlove » 23.08.07 @ 14:22

«Wir haben euch gerettet.» Wir. Euch. Wir, das sind wir Schweizerinnen und Schweizer, ganz Liebe, Flotte, allesamt. Jeder und jede von uns ist damals Anfang Neunziger an die Grenze gefahren, die Arme ausgebreitet, im Rucksack heissen Tee und Wolldecken, bereit und willig, alles Elend aufzunehmen, das da kommen mag. Wir.


Perfekt beschrieben, wie heuchlerisch wir mit so Aussagen umgehen. Jedenfalls ein wunderbarer Text der Fussball mit gesellschaftlichen und politischen Themen verbindet.

«Komm mir nicht mit diesem Verräter», das sagte auch der Barkeeper in der kleinen Luzerner Kneipe, als bei der Bundesliga-Konferenzschaltung der kleine Rakitic ins Bild rückte. «Huere Verröter», nickte der Gast am Tresen. Man ist sich einig, an Reuss und Rhein.


Stammtischbrüder, jeder "Jugo" ist zuviel, aber sobald er für die Nati spielt ist er hochwillkommen. Wehe, ein "Jugo" entscheidet sich aber für seine alte Heimat, eine Heimat in der der Patriotismusgedanke noch viel ausgeprägter ist, aus geschichtlicher Sicht auch verständlich. Sei es ein mazedonischer Albaner (Blerim), ein Serbe (Kuzmanovic), ein muslimischer Bosnier (Jakupovic) oder eben die Kroatien-Fraktion (Rakitic, Petric), für den grössten Teil der Stammtischbrüder bleibens Jugos.

Benutzeravatar
pexito
commissario tecnico
Beiträge: 3317
Registriert: 03.06.03 @ 11:36
Wohnort: Aussersihl, Alstetten, Albisrieden.
Kontaktdaten:

Beitragvon pexito » 23.08.07 @ 15:14

Sehr gute Texte...

Zum Fall Rakitic. Die meisten Secondos hätten in jenem Alter gegen die Schweiz entschieden. Wer in einem Umfeld, was hinter vorgehaltener Hand die Balkan Brüder nach Uzbekistan wünscht, die mediterranen Mitbürger auf dem Bau und die türkischen Genossen in Kebabhäuschen, kann sich nicht für die Schweiz entscheiden, sondern eben dagegen: Und mit "gegen" meine ich nicht zwingend für das Ursprungsland. Ein grosser Unterschied.

Als Jugendlicher erhoffte ich der Schweizer Nati jede erdenkliche Niederlage, mit Ausnahme von Begegnungen mit Deutschland und Spanien. Es lebe die Rivalität.

Heutzutage sieht die Sache ganz anders aus. In Zürich, traditionell weltoffen und mittlerweile gut integriert, kann ich heute angewachsene schweizerische Teilwurzeln nicht leugnen. Soweit dass ich gestern gar mehr vom Spiel Schweiz - Holland gesehen habe, als Ungarn - Italien (3-1). Allerdings bin ich auch in einem Alter in dem ich Fremdemhasser als Ignoranten entlarvt habe und deshalb mit Ignoration bestrafe. Und in der Zwischenzeit viele Menschen mit anderen Denkweisen kennengelernt habe. Aber selbst in meinem Alter unterscheiden viele Secondos noch zwischen Zürich und der Schweiz, was die "gefühlten" politischen Unterschiede aufzeigt.

Zum Schluss möchte ich in bester SVP Manier, die weissen Schafe anschwärzen und die schwarzen Schafe aufhellen. Unsere genannten Lieblinge wie Dzemaili oder Jakupovic, haben in Ihrem Heimatland fussballerischen Durschnittsbrei und somit wenig Chancen auf Grossanlässe. Anders halt eben bei Raklitic und Petric mit Kroatien.
"We will always rebel against a threatening defeat" RED REBELS


Zurück zu „Fussball allgemein“



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 367 Gäste