Beitragvon oma » 04.06.07 @ 17:38
der charakter von vogel kommt im folgenden sportmärchen ganz gut rüber. aus dem heutigen NZZ-Folio, Seite 13 (ein bravo dem verfasser RICHARD REICH! wenn ich nur wüsste, wie man verlinken tut. eventuell könnte dies ja ein admin/moderator übernehmen.):
Eines Sommertages war es in Feld und Wald plötzlich ruhig. Zuerst konnten sich weder Fuchs noch Hase die seltsame Stille erklären, doch bald ging die Kunde, wonach die Heuschrecke krank geworden sei. Das grüne Tierchen sass traurig in einem abgemähten Kornfeld, liess Kopf und Fühler hängen und dachte nicht daran, seine Schrillleiste über die Schrillkante zu ziehen, um so seine Vorderflügelchen standesgemäss zum Schwingen und Singen zu bringen. Litt es etwa unter Gicht? Oder war es die Galle? Niemand wusste Genaueres zu sagen.
«Klar ist sie verstummt», unkte die Kröte, «wie soll die Heuschrecke ohne Heiserkeit einen ganzen Sommer durchsingen, jetzt, wo schon der April so tut, als wäre er zum August geboren?!» – «Aber nein», nuschelte der Mistkäfer, «sie ist bloss deprimiert, weil sie im Fussball andauernd verliert!»
Freilich war es so, dass die Heuschrecke in letzter Zeit auf dem Sportplatz keinen Fuss und keinen Flügel mehr vor den andern brachte. Ob sie gegen die Scheckente oder gegen den Schlitzrüssler, gegen den Schuppensäger oder gegen den Schwarzwedelhirsch antrat – stets schlich die Schrecke als Verliererin vom Feld. Und das, obgleich sie die Landesmeisterschaft immer dominiert hatte, dank ihrer Sprungkraft, versteht sich.
«Wir sollten Hilfe holen», sprach der Mistkäfer, «die Heuschrecke geht mir zwar meist auf den Geist, aber ohne ihre Tafelmusik fehlt mir der Appetit.» – «Genau!» pflichtete ihm die Schlammfliege bei, «die alte Grashüpferin muss bloss wieder gewinnen, und gleich wird sie wie ehedem singen. Rufen wir einen Arzt!»
Der Medicus kam, sah sich die Patientin an und befand: «Es ist evident, die Dame leidet an Schwermut und muss daher dringend zur Kur. Es gibt da ein famoses Heilbad im Allgäu …» – «Krrrrrr!» Vor Schreck knirschte die Kranke schrecklich mit den Zähnen, denn bekanntlich fürchten Heuschrecken das Wasser wie der Teufel das Weihbecken. Der Arzt aber wusste nun auch nicht mehr weiter, darum verschrieb er dem armen Tierchen zur Stimmungsaufhellung eine Flasche Johanniskrautöl.
Indes kam der Gärtner daher, sah die Versammlung und fragte: «Was blast ihr Trübsal an diesem blühenden Tag?» – «Es ist wegen Kollegin Heuschrecke», murmelte der Mistkäfer und erläuterte dem Gärtner den Sachverhalt. Da lachte der Grüne und sprach: «Wie soll die Heuschrecke auf diesem miesen Stoppelfeld auch guten Fussball spielen? Bauen wir ihr doch ein neues Stadion!» Gesagt, getan. Mit vereinten Kräften mähten die Tiere eine stattliche Wiese, die war lang und breit und saftig genug, um sieben biblische Heuschreckenschwärme zu sättigen; der Gärtner aber säte eigens original englischen Rasen an. Allein, die Heuschrecke verlor weiterhin jedes Heimspiel.
«Ihr Sumpfwachteln!» tönte es da aus dem Geäst eines Apfelbaums, «mit euren Weicheiermethoden kommt ihr in tausend Jahren auf keinen grünen Zweig!» Auf dem Baum sass ein Vogel und glotzte mit rollenden Augen auf das Häufchen Elend herab. «Halt den Schnabel, Rabe», krakte die Kröte, «du hast uns noch nie etwas anderes als Unglück gebracht.» – «Wer wird denn so abergläubisch sein?» kicherte der Vogel und flatterte herab. «Meine Methoden mögen nicht ganz unumstritten sein, aber ich habe bisher noch jedes Problem gelöst.»
Der Schwarze hüpfte auf die bleiche Patientin zu und beäugte sie mit kritischem Blick, von oben und unten wie auch von sämtlichen Seiten. Manchmal schüttelte er den Kopf, dann wieder nickte er befriedigt. «Und wie willst du Schwester Heuschrecke jetzt helfen?» fragte der Mistkäfer zaghaft. «Weisst du», antwortete der Vogel, « im Grunde ist alles eine Frage der richtigen Ernährung.» Damit öffnete er den Schnabel und frass den Grashüpfer mit einem Bissen auf.
Ein halbtoter Patient, so sagt uns diese Fabel, ist für manche Leute ein gefundenes Fressen.
Der krisengeschüttelte Traditionsverein Grasshopper-Club Zürich bekam neulich eine neue Führungsriege. Präsident wurde ein Arzt, das Geld stammt von einem Gärtner, und über Gedeih und Verderben entscheidet ein etwas umstrittener Mann namens Vogel.
Richard Reich ist Autor; er lebt in Zürich.
Urheberrecht gilt auch im Internet: Verlinken erlaubt, Kopieren verboten.
92:47...und live dabei...