Knapp daneben

Hier kommt alles über Fussball rein, das nicht mit dem FCZ zu tun hat.
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captain tsubasa
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Beitragvon captain tsubasa » 23.11.06 @ 11:41

bitzli hat geschrieben:hammer!
weiss jemand, wann die "gc-fans" geschichte geschrieben wurde? da steht nur 'nr 13/04' daneben - wird wohl aus dem zine sein, oder?

kommt auf jeden fall nicht von der woz...


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devante
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Beitragvon devante » 23.11.06 @ 11:56

absolut GEILER text!
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Drogenkind
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Beitragvon Drogenkind » 23.11.06 @ 12:38

bitzli hat geschrieben:hammer!
weiss jemand, wann die "gc-fans" geschichte geschrieben wurde? da steht nur 'nr 13/04' daneben - wird wohl aus dem zine sein, oder?


in der 13. Ausgabe des KnappDaneben... erschienen 2004. War glaub eins der letzten. Ich habe es jedenfalls nicht mehr... meine Sammlung hört mit 12/03 auf

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captain tsubasa
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Beitragvon captain tsubasa » 01.12.06 @ 9:55

http://www.woz.ch/artikel/archiv/14161.html
Die Runde spricht zum Eckigen
Knapp daneben
Von Pascal Claude
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Vergangenen Dienstag war in einer grossen Zürcher Buchhandlung Vernissage von «Die Nati. Die Geschichte der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft». Zur Lancierung des eben erschienenen Buches fand ein Podiumsgespräch statt: René Botteron, Nationalspieler in den siebziger und achtziger, Georges Bregy, Nationalspieler in den achtziger und neunziger, Paul Wolfisberg, Nati-Trainer in den achtziger und Gilbert Gress, Nati-Trainer in den neunziger Jahren bildeten die Runde. Es wurde ein heiterer Abend. Vor allem dank Gilbert Gress.

Der Elsässer, der Schweizer ist, war gekommen, die Leute zu unterhalten. Der Mann hat einen in der Szene dünn gesäten Witz, und es ist allen Berufsfussballern zu wünschen, dass er nie mehr an einer Seitenlinie steht, dafür umso öfter in Talkrunden sitzt. Vom Freundschaftsspiel Schweiz-Brasilien, so Gress, sei er sechzig Minuten lang enttäuscht gewesen: «Keine Ideen, kein Risiko ging von den Schweizern aus. Da muss man doch mal in die gegnerische Verteidigung reingehen, Freistösse rausholen, damit der Georges mal einen reinmacht.» Dann der Blick nach rechts, «oder hast du gegen Brasilien nicht gespielt, Georges?»

Georges schmunzelt. Und erzählt von USA ’94. Ob das stimme, dass der Roy Hodgson so ein gnadenloser Schleifer gewesen sein. «Nein, ich finde nicht. Aber einige im Team haben damals einfach nicht begriffen, dass wir an einer WM sind.» Und dann bringt Georges den mit dem Frühstück: «Am Abend assen die Frauen bei uns im Hotel. Als nach dem Essen die Pflege anstand, wollte Hodgson, dass die Frauen gehen. Es gab ein Riesentheater. Ich fand: Es ist WM, jetzt müssen die Frauen halt gehen, was solls. Die andern sahen das anders. Also blieben die Frauen. Am nächsten Morgen wollten sie mit uns frühstücken, doch es hatte nur Platz für das Team. Die Frauen mussten in die Bar zum Frühstück, und schon gabs wieder Terror. Am Ende mussten sie es dann noch selber bezahlen.» Bregy findet, man hätte für Deutschland 2006 viele Lehren ziehen können aus USA ’94 und Portugal 2004. Das sei eventuell nicht vollumfänglich geschehen. Später, beim Gläschen, erzählt er noch von denen, die 1994 vier Stunden in der Detroiter Mittagssonne gelegen und sich die Köpfe verbrannt hätten, «nur weil sie wussten, dass sie am nächsten Tag sowieso nicht spielen». Hodgson verbot darauf allen die Sonne. Bregy regt sich noch heute auf.

Botteron und «der Wolf» redeten etwas weniger, und es war nicht klar, ob sie sich an gewisse Momente nicht mehr erinnern konnten oder nicht mehr erinnern wollten. Ihre Analysen waren dafür angenehm sachlich. Botteron: «Man muss auch sehen, dass die Schweiz an dieser WM sehr viel Glück hatte. Gegen Togo hätten dem Gegner beim Stand von null zu null zwei Elfmeter zugesprochen werden müssen. Die Anzahl Punkte war gut an dieser WM, das fussballerische Niveau weniger.» Und der Wolf zu den Gründen für die stets verpasste Qualifikation: «Es gab damals nur ein Russland, nur ein Jugoslawien. Sowas wie Lettland gab es damals noch nicht. Und es kam nur einer pro Gruppe weiter.» Das stimmt, aber einer wie der Wolf muss sich nicht rechtfertigen. Er ist der einzige Natitrainer, der mittels Unterschriftensammlung von der Bevölkerung zum Rücktritt vom Rücktritt bewegt werden konnte.

Das steht in «Die Nati», und vieles mehr. Aufgrund einer gewissen Befangenheit kann ich mich nicht wertend zum Buch äussern. Ich kann es jedoch vorbehaltlos empfehlen, denn es ist das wohl beste je erschienene Schweizer Fussballbuch, eine umfassende historische Aufarbeitung und eine mit zahlreichen unbekannten Details ausgeschmückte kritische Würdigung der populärsten Sportmannschaft des Landes.

Die letzte Frage in die Runde war: Wer wird Nachfolger von Köbi Kuhn? Botteron: «Ich weiss es nicht.» Wolfisberg: «Keine Ahnung. Es gibt viele Anwärter.» Gress: «Georges und ich, wir sind zu haben.»


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WOZ vom 30.11.2006

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captain tsubasa
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Beitragvon captain tsubasa » 07.12.06 @ 7:50

http://www.woz.ch/artikel/archiv/14193.html
Der Flächenbrand
von Pascal Claude
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Am 1. Januar 2007, also bald, tritt in der Schweiz das «Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit» in Kraft. Gewahrt werden muss die innere Sicherheit vor den Hooligans. Da wäre es sicher hilfreich, wüsste man, was ein Hooligan so treibt.

Vor wenigen Tagen veröffentlichte «20minuten» einen Text zu den geplanten neuen «Haftanstalten für Hooligans» im Hinblick auf die Europameisterschaft 2008. Der Text war auf der einen Seite schräg abgefräst von einer wohl zum Rausreissen gedachten Anzeige für mietbares Wintersportmaterial, auf der andern bebildert mit einer Szene vom Meisterschaftsspiel FCZ - FCB vom 26. November. Auf dem Bild ist der Gästesektor im Stadion Hardturm zu sehen. Grob geschätzte dreizehn Leuchtfackeln lassen die Basler Kurve in einem grellroten Licht erscheinen. Fahnen werden geschwenkt. Auf einem Zaun, der die Tribünen vom Spielfeld trennt, sitzen zwei Menschen, die selber je eine Fackel in der Hand halten. Die Bildlegende lautet: «Die EM-08-Organisatoren wollen solche Szenen verhindern.» Daneben, klein gedruckt: Keystone.

Bei der Fotoagentur Keystone gibt man mir freundlich Auskunft auf die Frage, unter welchen Schlagwörtern das betreffende Bild abgelegt ist: Fussball, Fans, Petarden, FCZ, FCB, Axpo Super League. Der «Hooligan» gehört nicht dazu. «20minuten» ist demnach selber auf die Idee gekommen, dieses Bild untermale den Inhalt des Textes am besten.

Ich frage den zuständigen Bildredaktor, ob jene, die auf diesem Bild zu sehen sind oder deren Werk das Bild zeigt, Hooligans seien. Sie gehörten ganz sicher dazu, antwortet er. Sind also Hooligans solche, die Feuerwerk zünden? Diese Fackeln seien in Fussballstadien verboten, kommt es zurück. Sind denn die Leute, die diesen Sommer im Kanton Zürich trotz Feuerwerkverbot Feuerwerk zündeten, auch Hooligans? Auf diese Frage antwortet der Bildredaktor, der dieses Bild ausgewählt hat, nicht mehr. Er erklärt dafür, er habe keine Zeit, mit mir zu telefonieren. Das kann man nachvollziehen, denn es hat wirklich viele Bilder in «20minuten», da ist ein Bildredaktor gefordert, Tag für Tag. Er klang aber nicht nur so, als hätte er keine Zeit, sich eingehender zu erklären, sondern auch keine Lust.

Ich habe immer gedacht, ein Hooligan sei einer, der zuschlage. Aber wahrscheinlich war das früher so. Heute muss man nicht mehr zuschlagen, um ein Hooligan zu sein. Heute ist es viel leichter, Hooligan zu werden, und darum gibt es auch immer mehr. Kein Wunder, liest man nun dauernd von ihnen in der Zeitung. Sie füllen ja inzwischen ganze Gästesektoren. So aberwitzig viele sind es, dass wir neue Gesetze brauchen, um der Lage Herr zu werden. Sorry Feinstaub, die Hools zuerst!

Wenn ab Januar 2007 Fussballfans, die sich knapp oder völlig daneben verhalten, in der Hooligandatenbank HOOGAN landen, gehören nun auch Feuerwerklerinnen und Zeuseler dazu. Im Gesetzestext wird «gewalttätiges Verhalten» explizit auf das «Mitführen oder die Verwendung von pyrotechnischen Gegenständen oder ähnlichem in geschlossenen Räumen wie Stadien oder Sporthallen ausgedehnt.» Die Fackeln sind heiss, und wer sie trotz Verbot aus kurvenästhetischen Gründen zünden will und dabei erwischt wird, kassiert Busse und Stadionverbot. Und braucht sich nicht zu beklagen. Steht er deswegen aber auf einer Stufe mit jemandem, der einem am Boden Liegenden ins Gesicht tritt? Gehören die beiden in die selbe Datenbank? In den selben EM-Knast? Neben den selben «20minuten»-Text?

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WOZ vom 07.12.2006

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captain tsubasa
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Beitragvon captain tsubasa » 06.01.07 @ 13:33

http://www.woz.ch/artikel/archiv/14302.html
Carraghers Vater
Von Pascal Claude
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Neujahr, mittags um Viertel vor zwei. Im kleinen Pub im Zürcher Niederdorf sitzen zwei junge englische Paare, die Frauen trinken Alcopops, die Männer Lager. An der Bar stehen zwei junge Engländer, ebenfalls Lager. Am Ecktisch sitzt ein grauhaariger Engländer um die fünfzig, Lager, bei ihm eine jüngere osteuropäische Frau, Kaffee, mit ihrer kleinen Tochter, die etwas malt und nichts trinkt. Draussen regnet es. Der ältere Engländer wird sich im Verlauf der nächsten zwei Stunden sehr oft erheben und sich wieder setzen, gestikulieren und rüde Schimpfwörter von sich geben. Dazwischen wird er in Rekordtempo einen Teller Fish and Chips essen und mit dem letzten Bissen im Mund einen Kaffee bestellen. Und dann schnell eine rauchen. Auf vier im Lokal verteilten Bildschirmen pfeift der Schiedsrichter die erste von acht Neujahrspartien der Englischen Premierleague an: Liverpool - Bolton Wanderers. Bei Liverpool spielte einst der Schweizer Stéphane Henchoz an der Seite Sami Hyypiäs in der Innenverteidigung. Hyypiä durfte bleiben. Für Henchoz spielt jetzt Jamie Carragher.

In England werden auch dann Vollrunden gespielt, wenn der Rest der Welt seinen Kater ausschläft. Liverpool und Bolton sind meine zwei Teams auf der Insel. Liverpool seit dem Meistercupfinale 1984, als Torhüter Bruce Grobbelaar im Penaltyschiessen mit seinen «Spaghetti-Beinen» die Römer zum Wahnsinn trieb (was Grobbelaars Nachfolger Jerzy Dudek 2005 gegen die AC Milan erfolgreich kopierte). Auf einer Reise nach London durfte ich mir kurz darauf bei Marks and Spencer ein Liverpool-Trikot kaufen, das mir dank Umbros Stretch-Fasern heute noch passt.

Die Bolton Wanderers tragen «Wanderers» im Namen, weil sie zur Gründungszeit noch kein Stadion hatten und deshalb stets auf der Suche waren nach einem eignen Spielfeld. Bolton packte mich wegen ein paar Freunden, die dort wohnen und die ich seit fünfzehn Jahren regelmässig besuche. Bolton ist eine grosse Stadt, die niemand kennt und gemäss meinen Freunden auch niemand kennen muss. 2001 war ich kurz davor, die Wanderer zum ersten Mal live zu sehen, auswärts bei Crewe Alexandra. Wir verweilten kurz an Crewes Bahnhof, der damaligen «Station of the year», und dachten, was für eine lobenswerte Auszeichnung das doch sei - Bahnhof des Jahres -, und dass Winterthur diesen Preis wohl nie gewinnen würde. Dann machten wir uns bei strömendem Regen auf zum kleinen Stadion des alten Eisenbahnervereins. Es war niemand da, dafür alles sehr nass. Der unerhört seltene Fall war eingetreten, dass in England ein Spiel wegen Regens abgesagt wurde. Wir fanden auf dem Rückweg dann die Bolton Fans, ebenfalls vergebens angereist, dumme Lieder singend in einem Pub. Ich fühlte mich nicht sehr verbunden.

Zwei Jahre später war es so weit, das FA-Cup-Spiel gegen Sunderland im heimischen Reebok-Stadium, einem der frühesten Beispiele für den Verkauf des Stadionnamens zu kommerziellen Zwecken. Es war ein furchtbares Spiel für rund sechzig Franken mit kaum Heimfans, dafür eine rot-weisse Wand aus Sunderland, die bei jedem Pieps der vierzehn Bolton-Ultras sangen «What the fucking, what the fucking, what the fucking hell was that?» - eine Demütigung sondergleichen. Am Ende stand es 1:1, was im FA-Cup ein Wiederholungsspiel bedeutet. Die Leute hatten sechzig Franken bezahlt für eine sinnlose Partie. Es schien niemanden zu kümmern. Ich hielt trotz allem zu Bolton, dem traurigsten Verein aus der überflüssigsten Stadt.

Das Neujahrsspiel gegen Liverpool ist lange ein Graus, bis zur Pause hat Liverpool einmal aufs Tor geschossen, Bolton nie (laut Statistikeinblendung), bis dann nach einer Stunde Liverpool mit zwei Toren innert 60 Sekunden alles Vorherige vergessen macht. Zweimal leistet der im Pub sehr unbeliebte Holländer Kuyt grossartige Vorarbeit, zweimal vollenden Crouch und Gerrard volley. Die zwei Engländerinnen und fünf Engländer jubeln, die Osteuropäerin und ihre Tochter lachen. Als Kuyt noch ein drittes Tor schiesst, raunzt mich der ältere Engländer an: «Für welches Team bist du?» Ich spüre eine gewisse Unbehaglichkeit in mir aufkommen und eine plötzliche Unvereinbarkeit der zwei Herzen in meiner Brust. Und verrate mein Bolton, auch ohne zu lügen: «Liverpool». «Brillant», sagt der Mann, «I’m Jamie Carragher’s Dad.» Ich hatte zwei Stunden geschlafen und schaute kurz in mein zweites leeres Glas Guinness. Dann wieder zum Engländer. «Glaubst du mir nicht? Du kannst jeden fragen hier drin.» Alle nicken. Was er denn in Zürich mache, frage ich ihn. Sein Akzent ist die Hölle, doch es hat mit der Frau zu tun, so viel steht fest. Am 3. Januar fliege er heim, sagt er. Wohin heim, nach Liverpool? «Sicher, wohin denn sonst? Und übrigens: Ich bin Philly. Gib mir deine Adresse, und ich schicke dir was von meinem Sohn.» Zu Hause durchstöbere ich Jamie Carraghers Biografie. Vater Philly führte einst ein Pub in der Nähe der Liverpooler Docks. Vorbestraft, Knasterfahrung. Ein Bild finde ich nicht.

Anmerkung der Redaktion: Jamie Carragher, 28, ist englischer Nationalspieler und spielt seit seiner Jugend beim FC Liverpool.


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Beitragvon captain tsubasa » 12.01.07 @ 13:58

http://www.woz.ch/artikel/archiv/14334.html
Der Hausbesuch
Von Pascal Claude
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Der englische «Guardian» pflegt auf seiner Online-Fussballseite eine sehr sinnlose und sehr schöne Rubrik namens «The Knowledge». Hier sammelt sich das unnütze Wissen von Britanniens und oft auch Europas Fussballgemeinde. Leserinnen und Leser senden der Redaktion Fragen, Leserinnen und Leser antworten. Vor einiger Zeit war einem Fussballfan aus Cardiff während der Partie Wales - Russland aufgefallen, dass die im Fernsehen eingeblendeten Abkürzungen WAL-RUS zusammen ein Tier ergeben, das englische Walross. Er fragte nun via «The Knowledge», ob jemand noch weitere Beispiele für Tiernamen kenne, die sich aus den Abkürzungen von Länderspielgegnern ergeben. Und bekam tatsächlich eine Antwort: «Sollten Belgien und Uganda je gegeneinander antreten, hätten wir den BEL-UGA».

Aktuell wird in «The Knowledge» die Frage behandelt, ob Fussballfan zu sein gesundheitsschädigend ist. Vom fragenden Iren und den Antwortenden werden diverse seriöse Studien zitiert, die allesamt zum Ergebnis kommen: Ja - zumindest auf die Dauer. In den Regionen Newcastle/Sunderland und Leeds wurde nach Niederlagen des Heimteams eine deutliche Zunahme von Herzattacken festgestellt. In Florenz kommt es nach Niederlagen der Fiorentina zu einer signifikanten Häufung von Magenbeschwerden, betroffen sind grösstenteils Männer. Nach dem WM-Finale 1994 zwischen Italien und Brasilien stiegen die Testosteronwerte der Brasilianer um 20 Prozent, während jene der italienischen Anhänger um den gleichen Wert sanken. Ein englischer Arzt hat festgestellt, Fussball zu schauen schade den Augen.

Nachdem ich all dies erfahren hatte, freute ich mich über die Schlagzeile in der Sonntagspresse, wonach man Fussballfans in der Schweiz fortan Hausbesuche abstatten will. Doch dann malte die Druckerschwärze dunkle Wolken an den Himmel. Es geht gar nicht um die Gesundheit der Fans. Und es werden auch keine Ärztinnen und Ärzte sein, die plötzlich vor der Tür stehen, zuhause oder am Arbeitsort. Sondern die Polizei.

In Deutschland, so ist zu lesen, hätte man sehr gute Erfahrungen gemacht mit der «Gefährdeansprache», wie es im Fachjargon heisst. Polizisten in Zivil besuchen Fussballfans, die in einer zentralen Datei gespeichert sind, und sagen ihnen vor ihren Eltern, Ehefrauen, Kindern oder ArbeitgeberInnen: «Hallo Hans. Wir kennen dich. Pass auf, was du tust an der WM.» Das will man in der Schweiz nun auch tun auf die Euro 2008 hin, jetzt, wo man mit der HOOGAN-Datenbank das nötige Instrument dazu hat.

In einer der schätzungsweise 134 Reportagen zum Thema Sicherheit im Vorfeld der WM 2006 begleitete ein Team der ARD zwei Berliner Polizisten auf einen solchen Hausbesuch. «Hallo Heiko. Wir kennen dich, BFC Dynamo, du weisst schon. Bleib zuhause an der WM.» Heiko nickte. Als die Polizisten weg waren, fragten die Reporter nach. «Auf keinen Fall bleib ich zuhause. So was wie ’ne WM vor der Haustür lass ich mir nicht entgehen», sagte Heiko. Und seine Frau: «Was solls. Heiko ist nun mal Hooligan, das ist sein Hobby. Das kann ich ihm nicht verbieten.» Nebenan spielte der Sohn.

Klar, Heiko hatte vielleicht wirklich was vor im letzten Sommer. Und so eine Reportage ist nicht repräsentativ. Dennoch irritiert der euphorische Ton, den Martin Jäggi, Schweizer Sicherheitschef der Euro 2008, anschlägt. Solche Hausbesuche erinnerten an den Pranger, gab der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür auf Radio DRS zu bedenken, so was sei in der Schweizer Rechtssprechung nicht vorgesehen. Ausserdem ist noch vollkommen offen, wer hierzulande in die Datenbank aufgenommen wird und also für Hausbesuche in Frage kommt: «Hallo Jürg, wir kennen dich, du bist registriert. Wir wissen, was du getan hast, tu das an der EM besser nicht noch mal», heisst es dann vielleicht an einer Haustür in Bern. «Aber ich habe doch nur Schneebälle aufs Feld geworfen, damals im Espenmoos. Und die EM ist im Sommer», sagt dann Jürg. Und es muss nicht einmal ein Witz sein.

Die EM 2008 dient seit fünf Jahren als Katalysator einer repressiven Vorwärtsstrategie, die das WEF vor Neid erblassen lassen könnte. Plötzlich ist alles möglich, alles erlaubt, alles nötig. Damit sich die Uefa mit Sitz im schönen Nyon ordentlich die Kassen füllen kann, biegen wir unser Rechtssystem im Wochentakt zurecht. Sportminister Schmid, der mal drei Champions-League-Heimspiele lang Thun-Fan war, feiert derweil Geburtstag. Fussballfan zu sein kostet Nerven dieser Tage, und ein bisschen schmerzt es auch. Bloss: Die Hausbesuche werden kaum von der Krankenkasse übernommen. Da blättert einmal mehr die Steuerzahlerin. Oder der Steuerzahler.

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WOZ vom 11.01.2007


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