Der Moment am Ende des Traums

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pexito
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Der Moment am Ende des Traums

Beitragvon pexito » 16.05.06 @ 15:35

Commissario Tecnico und der Moment am Ende des Traums

Ich schaue auf mein Pult und muss es nochmals ansehen, das Bild auf dem Tagi mit dem jubelnden Graf Dracula. Er, der rumänische Erlöser, der unbarmherziger Rippenbrecher, der sonst besonnene und unbeirrbare Abwehrhühne, der Anti-Torschütze. In meiner schwer leidenden Brust - der Zigarettenkonsum war ebenso rekordverdächtig wie die Serie des FCZ – macht sich wieder Freude, Wärme und Licht breit. Sowie gestern, als ich mindestens einige Dutzend Male das Entscheidungstor von der SF-Homepage angesehen habe, mit dem Live-Kommentar des ungläubigen Moderators. Es ist schlicht weg nicht fassbar, was vor knapp zwei Tagen passiert ist. Es ist immer noch so nah, hier, jetzt, dort. Immer. Es ist der Moment, der Moment am Ende des Traumes, eines Traums den wir – zumindest für jenige die wie ich, stückweise altersbedingt, nie eine Meisterschaft feiern konnten – niemals fertig geträumt hatten, eines Films den wir nie zu Ende gesehen haben. Fabelhaft. Traumhaft. Bilderbuch eben.

Commissario war in guter Begleitung nach Basel unterwegs. Nach den üblichen Umwegen und dem Ratespiel „Wie komme ich hinter die Feindlinie in den Sektor A?“ ist man schlussendlich im Stadion angelangt. Danach kam noch ein Hütchenspiel, weil jeder noch so doofe Fussballfan auf seinen Platz beharrte, als wäre die tragikkomische Situation an sich nicht genug umständlich, das Basler und FCZler durchmischt sitzen müssen, so als wären sie in einer Oper oder am Konzert. Fussball hat schon was mit Kunst zu tun, aber definitiv nicht an diesem Tag. Zanni reisst nicht nur Cesar um, sondern auch alle anderen vom Hocker. Van Buyten ist doch der Sohn eines Wrestler, Bieli einer Rübe und Zanni? Und dann wollen es Pensionierte Basler besser gesehen haben: „he yooo, me mies nyd flüeche deswäge“, und ob man fluchen muss. Beim Poropopo stehen wir auf und singen natürlich laut mit. Mir scheint als hätten die Basler Spieler Schiss, das zumindest war meine Antwort auf die Frage eines Kumpans, der wissen will was den los sei. Eingraviert in seinem Gesicht Unverständnis, der FCB hätte das gar nicht nötig. „Fast wie Schweiz – Türkei“, antwortete ich und erinnere an die Schlagzeile des tagimagi „Wie aus Türken Basler werden“. Und der Tagi vom Montag kommentiert danach: „Noch schlimmer als Istanbul“. Knapp daneben ist auch vorbei. Rafael muss auch raus, dafür Premiere die auch noch einmalig bleiben wird; wetten dass Favre nie mehr in seiner Karriere zwei Spieler vor der 30. Minute auswechseln wird? Aber Alphonse aus der Banlieu weiss wie der Hase läuft, Nef schiesst den Japaner an, Keita trifft. In solchen Momenten stockt der Atem, man möchte noch nicht jubeln, Offside? Wo ist der Linienfrosch? Ich finde nichts, aber die Spieler jubeln immer noch, also darf ich auch.

Ich hab Minuten danach mich bei Allmächtigen für die blasphemischen und nicht druckreifen Ausdrücke entschuldigt und ein Kreuz geschlagen. Welcher Konfession ich angehöre? Fussball. Leoni hingegen ist wohl Druide und zaubert dem Eduardo den Ball von den Füssen. Chipperfield ist ebenfalls ein exzellenter Täuscher, aber der Druidenblick durchschaut alles. Pause. Tief Luft holen. Eigentlich steht es 0-0, von Führung wollen wir alle nicht sprechen. Es ist verhältnismässig ruhig oder eher angespannt. Interessanterweise ist die Pause verdammt schnell rum. In der zweiten Hälfte sehen unsere Götter blass aus, Basel drückt gewaltig auf die Tube, von welcher sie zuvor rausgeschossen kamen. Chipperfield ist ein Dorn auf der rechten Seite, der Stahel konnte einem Leid tun. Dafür sind Filipescu und Von Bergen konzentriert und räumen alles weg. Gökhan macht ein gutes Spiel, aber ein dummes Foul führt zum Ausgleich, Druide Leoni ging dem Zaubertrank aus als Petric seinen Freistoss versenkt. Basel sichert nun nach hinten ab und fährt Konter, unsere Jungs legen sich ins Zeug, aber die Genauigkeit fehlt nun in jedem Pass und Abschluss. Joker-Stanic ist auf dem Feld und in meinen Gedanken wird er uns zum Titel schiessen, aber Kretsch sieht kaum einen Ball. Ein weiterer Kumpane fährt jetzt voll die Negativschiene: „Wir kriegen noch eine Kiste“ oder „wir brechen noch ein“, ich drehe durch und kann längstens nicht mehr sitzen. Stehe nun neben dem Gitter zum B1. Sehe Leoni den Freistoss ausführen und Basel den Ball spielen, ich kann gar nicht mehr hinschauen. Noch ein langer Ball, Berner drescht die Kugel in die Tribüne, Nef beim Einwurf, irgendeiner spielt den Ball in die Mitte, irgendeiner von uns steht dort, die Perspektive macht mich zum Sklaven der Reaktionen. Jubel der Zürcher, anhaltend, das muss ein Tor sein. Ich drehe voll durch, springe an ein Gitter. Rufe, Schreie, Unglauben, Freude, Ventile öffnen, Sau rauslassen. Stimmt es wirklich? Ich schau nochmals auf die Anzeigetafel, der Torschütze wird angezeigt: Nummer 25, Iulian Filipescu. Moooooment, ich glaube das Tor war echt, aber Graf Dracula trifft? Nein, nein, glaube ich nicht. Und wieso rennen alle Zürcher nun zurück?

Das war so etwa der letzte Gedanke der mit dem Spiel in Verbindung gebracht werden konnte. Der Schiri hatte Sekunden nach Wiederanpfiff das Spiel beendet, darum rannten die FCZ-Spieler schneller als jemals zuvor auf dem Platz herum und konnten es selbst nicht fassen, dass sie soeben Schweizer Meister geworden sind. Das jüngste Team der SL, in Basel. Im Joggeli, in der Festung des FCB. Meine liebe Basler, mittlerweile ist es Fakt, alle Eure Serien werden von uns beendet, egal wie eindrucksvoll diese auch sein mag. Und auch wenn wir statistisch schon mal Leader waren in dieser Saison (5. Spieltag, zusammen mit Basel und Thun), wollen wir trotzdem noch eine weitere Fusballweisheit niederschreiben: „Man muss keine ganze Minute (alleiniger) Leader sein, um eine Meisterschaft zu gewinnen.“

Hotzsche Freude oder wie im Fussball die Zinsen bezahlt werden

Die Gedanken aller FCZ Fans sind sicherlich kurz über lang zum Präsidenten gerichtet. Keiner von uns hat es mehr verdient als er, der Mäzen, der Patron, der Presidente. Alle, aber auch alle gratulierten ihm, national, international, per Telefon, per Mail, am Helvetiaplatz. So sieht die Rückzahlung von 50 Millionen CHF im Fussball also aus. Für jeden andern eine sinnlose Verschwendung, aber wer Hotz kennt weiss, auch wenn der „Tänzer“ nur den einen Titel in 20 Jahren voraus gesehen hätte, er hätte trotzdem investiert, sehr wahrscheinlich dann erst recht. In den letzten 6 Jahren hat sich seine Bilanz doch wesentlich verbessert, zwei Cupsiege und eine Meisterschaft, immerhin. Aber wir wissen auch, vielleicht lässt er sich nun zu Abenteuer verleiten. Wir hoffen Hotz bleibt seiner Linie treu. Der neue FCZ ist bescheiden und hat damit Erfolg.

Seine Ansprache am Hevetiaplatz ist rührend wie erfreulich und jeder hat ein freundliches Lächeln übrig. Commissario der natürlich einmal mehr es nicht rechtzeitig aus dem Bett geschafft hatte, sucht in der Menge seine Kumpane. Und bei diesem Irrgang auf dem Helvetiaplatz fällt ihm etwas Unglaubliches auf. Keiner der sich negativ über Hotz auslässt, keiner der lacht oder quatscht, alle hören ihm zu. Auch wenn er seinen, zuweilen etwas peinlichen, Tanz hinlegt, alle freuen sich mit ihm. Hotz hat die Akzeptanz der Massen und kaum einer mag widerlegen, dass er ein herzlicher und gutmütiger Mensch ist. Keiner von uns hat den Titel mehr verdient als er. Trotz seiner Fehlentscheidungen vergangener Tage, wir alle wünschten ihm, dass er noch einen Meistertitel erleben könne. Herzlichen Glückwunsch Präsident.

Die Mutter aller Niederlagen

Des einen Glück, des andern Leid. Doch viel Mitleid können wir für den FCB nicht aufbringen. Das ist keineswegs ein egoistisches Verhalten, sondern mehr eine logische Konsequenz. Auch wir hätten uns über einen eventuellen Meistersieg von YB gefreut. Ganz Fussball-Schweiz hoffte indirekt auf einen Bruch dieser nicht enden wollenden Dominanz, dieser Überheblichkeit eines Trainers, der auf den Rückhalt eines unendlichen Kapitals und eines ganzen Kantons, oder zwei Halbkantone zählen konnte. Geld regiert, aber Leidenschaft gewinnt. Es war absehbar, der FCB spielte nicht mehr mit Herz und verliess sich auf die Wahrscheinlichkeit und der Quoten aller Wettbüros. Der FCB war zu Beginn der Meisterschaft schon neuer Meister, es bestand kein Zweifel. Aber an Stelle eines Meister Pokers (4 Titel in 5 Jahren), gabs nur ein Meister Full House (Champions full of Vicechampions). Und was schlimmer ist, es setzte die Mutter aller Niederlagen ab.

Der Start war die Niederlage gegen Young Boys, die Augen und die Körpersprache der Spieler war deutlich: Die Angst wahr nicht nur spürbar, sondern in den Gesichtern lesbar. Man hielt an halben Wahrheiten fest (59 Liga-Spiele im Joggeli ungeschlagen), aber unterdrückte jeweils den Fakt dass eben der FCZ vor wenigen Monaten den FCB auf dessen Terrain aus dem Cup geworfen hatte. Einzig Alt-FCB-Idol Odermatt wagte es auszusprechen: „Die Zürcher sind immer da, wenn es darauf ankommt.“ Alle andern wiederholten die Durchhalteparolen die man im Baselbiet hören wollte. Aber es konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass Delgado nicht derjenige der Vorsaison war, dass Eduardo und Carignano nur bedingt Rossi und Gimenez ersetzen konnten. Auf einmal musste man sich an den verhassten Petric halten, vor allem dann wenn der Goldesel Chipperfield verletzt war. Mit Majstorovic konnte der FCB seine schwindende Dominanz noch verschleiern, aber nicht verhindern. Selbst die Psychoanfeuerungen mit und um Zubi verkamen zur Farce. Er wird wohl einer der grossen Sündenböcke sein, seine Tage beim FCB sind gezählt. Auch die Oeri wird nicht lange Ihren Posten halten, der Jäggi-Bonus ist nun weg. Was der einstige FCB-Präsident so eindrücklich aufgebaut hatte, ist nun nur noch ein fleischloses Skelett. Und somit verkommt der FCB zu dem Millionären Klub, den sie nie sein wollten. Aber irgendjemand musste ja die GC-Rolle ausfüllen. Der FCB wurde ausgehöhlt, von Funktionären und Fans, die es erst in und um den Klub geschafft hatten, als er zu profilieren und brillieren begann. Reiches Basel, armes Basel.

Die Kehrseite der Medaille

Mit diesem Sieg ändern die Dinge nicht nur in der Ferne sondern auch im eigenen Hause. Dem FCZ stehen schwierigen Zeiten bevor. Zum einen scheint das Loser-Image endgültig gestrichen und damit auch der grossteil der Identifikation, die den Kern der Fans ausmachte. Nicht dass die Fans sich damit rühmen wollten erfolglos zu sein, aber ihren Support trotz der launischen und unkonstanten Leistungen des FCZ, war eben ‚unconditioned’. Erfolglosigkeit bindet und liess den Kult im Letzigrund aufleben. Der Kern wird nun von einem Hype überrannt, der alle anderen Mannschaften überkommt, sobald sich die Erfolge abzeichnen. Es war in den vergangenen Spieltagen schon ersichtlich und erreicht nun einen Höhepunkt. Aussagen wie „Gsesch, chuum bini für de FCZ, werdets scho Meischter!“ oder „Es hat sich bi mier scho als chind abzeichnet das ich Fussballfan wird, aber es isch erscht jetzt uusbroche“ lassen jeden langjährigen Supporter schaudern. Es gibt unzählige Beispiele.

Die Argumentationen verschiedener Leute, die neue Fans seien OK, weil somit mehr Geld in die Kassen des FCZ gespült werde, erscheint mir lapidar. Im Beispiel von Basel und/oder GC zeigen, Geld ist nicht von Dauer und garantiert keinen Erfolg. Die wahre Liebe zum Verein versengt hingegen nie. Auch wenn sie sich zwischenzeitlich zurückzieht und abwartet, wenn der Zeitpunkt kommt und der Verein wieder auf diese Fans zählen muss, werden sie wieder vor Ort sein. Ihr glaubt mir nicht? Was werden die Kernaussagen sein, wenn ich Euch bitten würde die Freundschaft zu Eurem besten Freund zu definieren?

Wir alle hatten diesen Traum, nun sind wir am Ende des Traums angelangt. Keiner von uns weiss wie er weiter geht. Wir wollen hoffen, dass unser FCZ welcher uns vom Volkhaus grüsste, weiter für uns da sein wird. Und vor allem wir für ihn. Ungeachtet der Hype’s und der Massen. ‚Unconditioned’ eben. Unconditioned Love. FCZ.

Pexito

EDIT: Nachbearbeitet. PS: Zufälligerweise handelt es sich bei diesem Post um mein 2000ste. Ein würdiges Thema, wie ich meine.
Zuletzt geändert von pexito am 18.05.06 @ 10:15, insgesamt 3-mal geändert.
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Liquid
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Beitragvon Liquid » 16.05.06 @ 15:37

gibts da auch eine lesbare kurzfassung ?.....
Noch einmal ein Einwurf für Zürich!

ähn wenn du dich versteckst kann ich dir keine PN schicken.

F R E D

Beitragvon F R E D » 16.05.06 @ 15:38

Liquid hat geschrieben:gibts da auch eine lesbare kurzfassung ?.....


habe ich mir auch gerade gedacht

Drogenkind
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Beitragvon Drogenkind » 16.05.06 @ 15:39

Liquid hat geschrieben:gibts da auch eine lesbare kurzfassung ?.....


er findets gut

platzwart
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Beitragvon platzwart » 16.05.06 @ 15:47

der commissario tecnico schreibt mir immer wieder aus dem herzen...
danke für diesen gut geschriebenen text.

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Kampfsau
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Beitragvon Kampfsau » 16.05.06 @ 15:48

platzwart hat geschrieben:der commissario tecnico schreibt mir immer wieder aus dem herzen...
danke für diesen gut geschriebenen text.


WORD, starker Text!

Züri Bueb
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Beitragvon Züri Bueb » 16.05.06 @ 15:49

hammer text.... hühnerhaut is garantiert....
Immer nume Züri


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